Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Überlegenheitsgefühl zu verleihen). Und auch nicht etwa, weil Attilio studiert
hatte, mit seinem Beinahe-Abschluss. Der Grund lag in seiner Aura, die ihn
wie ein Lichtschein umgab und ihn als einen Günstling des Schicksals
auszeichnete, und in den langen, lässigen Schritten eines Menschen, dem die
Götter gewogen sind.
»Seit du hier bist, Attila«, sagte Nigro zu ihm, »ist der Feind wie aus
Butter.« Und als wäre das ein Beweis, stach er sein Taschenmesser in einen
Klumpen Fett und sah ihn dabei von unten herauf an.
Auch die Vorgesetzten hatten Profeti gern als Glücksbringer in ihrer
Nähe – wie es Generäle seit Menschengedenken tun. Attilio glaubte nicht
wirklich daran, mit seiner Ankunft den Durchbruch beim Vormarsch in
Abessinien bewirkt zu haben. Fakt war jedoch, dass Badoglio an der
Nordfront seitdem keine Niederlagen mehr erlitt und Graziani im Südosten
sich in Neghelli durchgesetzt hatte. Der Krieg hatte eine neue Wendung
genommen, wie ein über die Ufer getretener Fluss, der nicht mehr ins alte
Bett zurückkehrt und mit der neuen Jahreszeit auch seinen Namen ändert.
Weder Attilio noch die anderen Soldaten noch das italienische Volk
kannten den Grund für die plötzlichen militärischen Erfolge in einem
Feldzug, der sich hingezogen und allmählich den Schatten der Niederlage auf
die Moral der Generäle herabgesenkt hatte. Sie hatten die geheime Depesche
des Duce an Badoglio nicht gelesen: »Hiermit autorisiere ich Euch zum
Einsatz, auch im großen Umfang, von jedem beliebigen Gas und
Flammenwerfern.« Genauso stand es da: »jedem beliebigen«. Nach drei
Monaten erfolgloser Kriegsführung musste mit allen Mitteln eine erneute
schändliche Niederlage verhindert werden – nach derjenigen gegen Menelik
und seine Frau Taytu, die schwarze Königin der Albträume, die der Legende
nach über die Ebene von Adua geschritten war und die gefallenen Italiener
entmannt hatte. Das militärische Debakel und der Verlust der nationalen
Mannhaftigkeit waren fast ein und dasselbe: eine Obsession, eine Wunde, die
mit jedem beliebigen Mittel geheilt werden musste. Was machte es da schon,
dass der Völkerbund nein gesagt hatte, auch im Krieg sei es kein erlaubtes
Tötungsmittel, Menschen in ihrem eigenen Blut ersaufen zu lassen, während
ihnen die Lunge aus den Nasenlöchern quillt und die Haut aufplatzt, wie es
den Soldaten in Ypern ergangen war. Mussolini hatte mit den Achseln
gezuckt und einmal mehr gesagt: »Da pfeif ich drauf.« Und die italienischen

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