Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Ihr seid eine echte Landplage ...«
Cipriani hätte weniger mild reagiert, wenn er Attilios wahren
Beweggrund gekannt hätte, Abeba von der weißen Leinwand wegzuholen.
Denn als das Mädchen sich das Kleid aufmachte, spürte Attilio plötzlich
einen merkwürdigen Widerwillen. Die Vorstellung, dass alle – Bertoldi,
Cipriani, die Askaris – ihre Brüste sehen würden, war ihm unerträglich und
absurderweise nicht abzuschütteln. In dem ganzen Jahr in Afrika hatte keine
einzige Abessinierin, auch nicht die gefällige »gelbe Fahne« von Adua,
jemals diesen Gedanken in Attilio geweckt, wie Abeba in diesem Moment:
»Ich will sie für mich allein.«
In ihrer ersten gemeinsamen Nacht war Abeba nicht neben ihm auf der
Feldliege geblieben, sondern hatte sich auf einer Matte auf dem Boden
ausgestreckt. Daran war Attilio gewöhnt. Das taten alle Eingeborenenfrauen,
mit denen er sich vereinigt hatte. Wenn es Nacht war, ließen sie ihn allein in
dem Bett aus Binsen und Holz und legten sich auf den Boden. Tagsüber
warfen sie sich die shamma über die Schultern und setzten sich draußen vor
die Hütte, bis er aufwachte. Auch das war ihm neu: Als Abeba sich von ihm
abwandte und auf der Erde ausstreckte, empfand er ein Gefühl des Verlusts.
Er wollte sie auch beim Schlafen neben sich spüren, wollte seinen Bauch an
die Kurve ihrer Pobacken schmiegen, wollte in ihre Halsbeuge atmen. Das
war eigenartig. Noch nie in seinem Leben hatte er eine ganze Nacht neben
einer Frau geschlafen. Es war ihm nie wünschenswert oder notwendig
erschienen, so wie man auch den Ort seiner Notdurft schnell wieder verlässt.
Viermal legte das Mädchen sich zum Schlafen auf den Boden, viermal in
jener Nacht holte er sie zurück auf seine Feldliege. Dann, wenige Stunden
vor dem Sonnenaufgang, in diesem klaren Moment kurz vor dem
Einschlafen, hatte er seinen Entschluss bereits gefällt: Wenn Cipriani nach
Italien zurückkehrte, würde er sie zu sich holen.
In Addis Abeba hatte er das Leben mit der Zeit als einsam empfunden.
Die Freudenhäuser genügten ihm nicht, obwohl sie von Anfang an
strategische Notwendigkeit des Regimes waren – das erste war wenige Tage
nach Ausrufung des Imperiums eröffnet worden, und die Mädchen rochen
noch nach dem Diesel der Principessa Maria. Er wollte auch nicht mehr in
der Kantine essen, sich von den Offiziersburschen die Hemden bügeln lassen,
sich abends langweilen, weil er niemanden hatte, zu dem er heimkehren
konnte. Kurz, es war an der Zeit, sich eine Frau zu nehmen.

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