Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Lange danach, als sie umschlungen im Bett lagen (auf der Bodenmatte
schlief sie schon längst nicht mehr), wollte Attilio etwas von ihr wissen, was
ihn zuvor noch bei keiner anderen Frau interessiert hatte.
»In unserer ersten Nacht«, flüsterte er ihr ins Ohr, »wolltest du mich da
genauso wie ich dich?«
Abebas lautes Lachen platzte in die wattierte Stille. »Hätte das etwas
geändert?«
Einen anderen Mann hätte diese Antwort gekränkt. Attilio nicht. Er fand
nichts falsch oder peinlich daran, ihre erste Begegnung als eine Ausübung
von Herrschaft zu beschreiben; das Heer, dem er angehörte, hatte ihr Land
erobert. Es gab also nichts daran zu deuteln, wer der Stärkere war. Zudem
hieß er genau darum Attila, weil er nie an seiner Wertschätzung seitens der
Frauen gezweifelt hatte. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, wegen Abebas
Worten die eigene Männlichkeit in Frage zu stellen. Wenn überhaupt
empfand er sie als Koketterie.
Und so war es auch. Abebas Antwort war nicht ganz aufrichtig gewesen.
Als an jenem Tag ein Askari gekommen war und ihr die Einladung – besser
gesagt den Befehl – des Scharführers ausgerichtet hatte, nach
Sonnenuntergang in sein Zelt zu kommen, war sie darüber nicht unglücklich.
Im Gegenteil. Manche talian hatten die Hautfarbe einer Schweineschwarte
und stanken nach vergammeltem Fleisch. Sie schauderte bei dem Gedanken,
so einen auf sich liegen zu haben, wie es einer Cousine von ihr auf dem
Kiesbett des Flusses geschehen war. Doch Attila hatte anders auf sie gewirkt.
Als sie wartend vor der weißen Leinwand stand, hatte sie ihn beobachtet, wie
er mit dem nervösen Mann mit der Brille sprach. Sie hatte die beiläufige
Eleganz seiner Gesten gesehen, seinen Blick in ihre Richtung, bei dem sie
unwillkürlich ein Lächeln hinter ihrer Hand verbergen musste. Außerdem war
sie kein junges Mädchen mehr, sie war geschieden. Sie wusste nur zu gut,
dass es selten genug vorkommt, dass eine Frau einem Befehl gehorchen
muss, der ihr gefällt. Wenn das passierte, musste man es nutzen.
Das hatte sie getan. Über ein Jahr war seitdem vergangen, und sie hatte es
nicht bereut. Ein paar Wochen nach ihrer ersten Begegnung war er zurück ins
Dorf gekommen, um sie nach Addis Abeba zu bringen.
Ihre Großmutter hatte ihn zu der Kaffeezeremonie eingeladen. Sie hatte
Abeba aufs Feld geschickt, um die grünlichen Beeren vom Busch zu
pflücken, während sie selbst eingehend diesen talian musterte, der wegen

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