Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

beseeltem Blick hob sie die Hand zu ihrer Brust und löste mit einem kleinen
Ruck die Nadel, mit dem der goldene Orden ihres Heldensohnes an dem
schwarzen Kleid steckte. Ein Zittern durchlief die Menge unter den
Schirmen. Eine Frau in erster Reihe stieß einen leisen Schrei aus. Andere
bissen sich auf die Lippen, um nicht aufzustöhnen, nein, dieses höchste, letzte
Opfer musste nicht sein! Doch, es musste. Zumindest hatte Paolina das so
entschieden. Vor dem ganzen Ort hielt sie den goldenen Orden für Verdienste
in der Armee von Francesco Baracca über den Kessel. Es folgte ein Moment
höchster Anspannung, nicht weniger aufgeladen als in Rom, während
Königin Elena auf dem Denkmal die beiden Eheringe zwischen den Fingern
hochgehalten hatte. In diesem schicksalhaften Augenblick zeigte Paolinas
Gesicht, wie laut Radiobericht dasjenige der Regentin, keinerlei
Gefühlsregung. Und ebenso wenig das ihres Mannes Enrico, was daran
liegen mochte, dass er sich gerade den Hut zurechtschob. Der Goldorden fiel
mit einem feinen metallischen Klirren auf den Boden des Behältnisses, das
viele, so wurde in den Folgejahren beteuert, gehört haben wollten. Dann erst
stieg die Gräfin von dem Podest, gefolgt von ihrem Mann, der zufrieden in
die Menge lächelte wie einer, dessen Leben nach Wunsch verläuft. Die
Frauen von Lugo hielten noch einen Moment ehrerbietig inne, dann traten sie
unter den ausdruckslosen Blicken ihrer Männer nach und nach vor. Nun war
die Reihe an ihnen.
Ein paar Tage vor der Zeremonie war ein Kommuniqué verbreitet
worden. Neben jedem Spendentisch, hieß es, stünde ein Goldschmied, der
kontrollieren würde, ob jemand Ringe aus falschem Gold in den Tiegel warf.
Doch nun war dort unter den Wimpeln und Trikoloren niemand, der mit
fachmännischem Blick die Gabe abwog. Auch die Parteispitzen warfen nur
einen oberflächlichen Blick auf die abgelegten Ringe. Dieses zur Schau
gestellte Desinteresse fiel nicht allen leicht. Manch ein Schwarzhemd-
Kommandeur hätte nur zu gern denjenigen eine Lektion erteilt, die es wagten,
einen unechten Ring in den Kessel zu werfen; die es sich leisten konnten,
extra zu diesem Zweck einen zweiten Ring zu kaufen; die einen Juwelier
gefunden hatten, der ihnen einen minderwertigen Silberring vergoldet hatte;
die sich einen Eisenring an den Finger gesteckt hatten, um so zu tun, als
gäben sie den Ehering, der in Wirklichkeit zu Hause in einer
Schmuckschatulle lag; kurz all jenen, die das Regime zum Besten hielten.
Aus Rom aber war die strikte Order an die lokalen Parteisekretäre und

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