schmetterling

(Martin Jones) #1

»Was musstest du hier auch auftauchen, du blödes Stück Scheiße! Wenige
Minuten noch, und wir hätten –«
»Mein Gott! Da!«
Jaydens zitternder Finger zeigt auf das Wrack des Volvos, kaum mehr als
solcher zu erkennen, begraben unter Auftürmungen grotesk verbogenen,
dicht ineinanderverkeilten Schrotts – doch aus dem Seitenfenster krallen sich
Arme, schiebt sich ein blutiges, von Splittern übersätes Gesicht. Luther läuft
so dicht es geht heran, sucht nach einer Lücke, groß genug, um den
Verletzten nach draußen zu ziehen, sieht die blauen Flämmchen wie
freundliche kleiner Tänzer Ringe bilden und noch etwas anderes,
Widersinniges, das seiner überhitzten Phantasie zuzuschreiben sein muss, als
begännen sich die aufgerissenen Seiten des Tanks zu entmaterialisieren,
aufzulösen und zu etwas Neuem zu strukturieren, nicht mehr Stahl, noch
nicht – ja, was? – ein blubbernder, schillernder Brei – ein brodelnder
Übergang –
Dann erkennt er, es ist weder die Zersetzung von Tank noch Verstand, die
das Bild in ihm erzeugt.
Es ist das, was der Tank hervorbringt.
Panik flutet ihn. Ein im Dämmer von Jahrmillionen wurzelnder, der
Ewigkeit eingeschriebener Horror, dem Großstädter Phobien gegen Spinnen
und Schlangen statt gegen Steckdosen, Revolver und Autos verdanken, jene
uralte Angst, die den Körper in ein chemisches Chaos verwandelt. Beschämt
und wütend ringt er die Empfindung nieder, zwingt sie in den Abgrund
zurück, sucht weiter nach Möglichkeiten, zu dem Mann zu gelangen. Pilar
zerrt ihn weg. Schreit ihn an, er könne hier nichts mehr tun: »Bring dich in
Sicherheit!« Hört das Knistern und Tuscheln der Flammen, tückisch jetzt,
hungrig, auf Raub aus, reißt sich los, weigert sich aufzugeben. Unerträglich
der Leidensgesang des Eingeklemmten, sein im Falsett verschraubtes
Wimmern, weil auch er sieht, was Luther sieht, und im Gegensatz zu diesem
weiß, was es zu bedeuten hat.

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