schmetterling

(Martin Jones) #1

Das Wesen verändert seine Position um wenige Zentimeter, Schatten
verlagern sich – Flügel? Ganz sicher sogar Flügel, von enormer Spannweite,
und plötzlich glaubt Luther zu wissen, was er da vor sich hat, genauer, was es
einmal gewesen sein mag. Er zuckt zurück, als das Spalier sich spreizt –
ringförmig angeordnete Hakenkiefer, doch sie öffnen sich träge, ein Loch
von Schlund freilegend, dem weitere, dünne Extremitäten entwachsen.
Beinahe zärtlich gleiten sie über die mörderischen Haken, die sich in einem
bizarren Empfinden von Wohlgefühl dehnen, ein Schauspiel dermaßen
widerwärtig, dass Luthers Blick abirrt, die Containerschlucht hoch – und da
klebt ein zweiter Schatten. Ein dritter daneben. Noch einer. Kaum erkennbar
in der Dunkelheit haftet, was die Feuerwalze von der Wolke übrig gelassen
hat, in den Wänden. Abwartend, lauernd, vielleicht in einer Art Ruhemodus –
nichts drängt Luther, es näher zu ergründen.
Behutsam zieht er Jaydens Körper in die Höhe. Der Kybernetiker hustet
und erlangt das Bewusstsein wieder. Momente der Anspannung, doch die
Biester hängen teilnahmslos in der Wand, als ginge Jaydens Zustand nicht
auf ihre Kosten. Luther schlingt den Arm des Mannes um seinen Nacken und
hält ihn aufrecht, wägt ihre Möglichkeiten ab. Vierzig, fünfzig Meter, schätzt
er, bis auf freies Gelände. Der Querkorridor ist der kürzeste Weg raus aus
dem Containerblock, unter Umständen aber auch der gefährlichere, je
nachdem, wie viele der Dinger sich darin niedergelassen haben. Wenige
Schritte hingegen bis zum Hauptkorridor, viermal so lang. Der war vorhin
noch sauber, doch kann er sich dessen sicher sein? Unmöglich zu sagen, was
dort nistete, als er hindurchlief, aber dann hat es ihn immerhin in Ruhe
gelassen.
»Schaffst du ein paar Schritte?«, flüstert er.
Der Kybernetiker nickt. Auf wackeligen Knien lässt er sich in den
Hauptkorridor bugsieren. Luther sucht die Wände über ihnen ab. Keine
dunklen Flecken, die beim zweiten Hinschauen monströse Gestalt annehmen.
Jayden stolpert neben ihm her, Worte zwischen Delirium und Selbsttherapie

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