Neue Zürcher Zeitung - 20.09.2019

(Ron) #1

Freitag, 20. September 2019 WOCHENEN DE 57


Ein Meister


in Mathematik, Astrologie


und Astronomie


Andrés de San Martín war der Ch eflotse


der Magellan-Expedition. Er sollte die Positionen


von fernen Küsten und Inseln bestimmen –


und damit die Gebietsansprüche de r Spanier


abstecken. Doc h er überlebte dieReise nicht.


GEORGE SZPIRO

Andrés de San Martín besass ein aus-
serordentlichesTalent für Mathematik
und wandte sich der Kartografie und der
Astronomiezu.SeineFähigkeit,dieStern-
kunde für die Seenavigation einzusetzen,
galt als einzigartig. Unter den damaligen
Navigationsoffizieren kam ihm bezüg-
lich theoretischen Know-hows und tech-
nischerFertigkeitkeiner auch nur nahe.
Trotzdem wurde er zweimal bei der Be-
rufung eines «piloto mayor», eines Chef-
lotsen der spanischen Flotte, übergangen.
Im Juli 1519 beorderte Kaiser KarlV.
(der spanischeKönig Carlos I) San Mar-
tín zum Dienst in Magellans Expeditions-
flotte. Zuerst hätte der anerkannteportu-
giesischeKosmographRuiFaleiroaufden
Posten berufen werden sollen. Doch die
spanische Behörde war nicht bereit, zwei
PortugiesenaufChefpostenzudulden.Als
sich beiFaleiro (angebliche) Anzeichen
ment aler Instabilität bemerkbar mach-
ten,wurdedieStelleSanMartínzugespro-
chen.UmihmdieneueAufgabeschmack-
haft zu machen, gewährte ihm derKönig
eine sehr grosszügige Besoldung und er-
liess ihm zudem eine Geldschuld.

Bloss 200 Kilometer daneben


Mindestens zweimal stellte San Martín
auf derReise seine ausserordentlichen
Fähigkeiten unter Beweis. Im März 1520
bestimmte er diePosition von Puerto San
JuliánanderargentinischenKüsteanhand
der Konstellationvon Sternbildern zum
Mond.Erkamzum Ergebnis,dass sich die
Bucht 61 Grad westlich von Sevilla be-
finde. Der wahreWert ist 62 Grad.
Ein Jahr später, im März1521, nahm
der Cheflotse seine Instrumente auf der
Insel Homonhon auf den Philippinen
an Land und berechnete anhandkosmi-
scherKonstellationen denLängengrad
der Insel. Sein Ergebnis wich bloss um
etwa 200 Kilometer vom richtigenWert
ab, wie sich später herausstellte.

Magellan lässtfoltern


Für San Martín schlimmeFolgen hatte
eine Meuterei in Puerto SanJulián, die
von Magellan bloss mit Mühe nieder-
geschlagen werdenkonnte. Der Astro-
nom war daran höchstwahrscheinlich
gar nicht beteiligt. SeineVerfehlung be-
stand einzig darin, eine streng geheime
Karte derReiseroute bei sich gehabt
zu haben; sie war für seine Arbeit un-
entbehrlich. Nun warf der inPanik ge-
ratene Cheflotse das belastende Doku-
ment insWasser. Wegen Verrats wurde

er vom Generalkapitän mit schwerer
Folterung bestraft.
San Martín wurde auch als Astro-
loge konsultiert. Als die «San Antonio»
im November 1520 mit der gesamten
Besatzung bei Nacht und Nebel spur-
los verschwand, befahl ihm der Gene-
ralkapitän, das Los des Schiffes aus den
Sternen zu lesen.Folgsam deutete San
Martín dieKonstellation der Himmels-
körper dahingehend, dass auf der «San
Antonio» eine Meuterei ausgebrochen,
der Kapitän inKetten gelegt und die Be-
satzung mit dem Schiff nach Spanien ge-
flohen sei.DieWeissagung sollte sichals
richtig herausstellen.
Zivilcourage bewies San Martín we-
nig später. Als die übrig gebliebenen
Schiffe der Flotte im November1520 in
der Meerenge herumirrten, die heute
als Magellanstrasse bekannt ist, holte
der Generalkapitän erstmals formell
den Rat seiner Offiziere dazu ein, ob die
Reise weitergeführt oder abgebrochen
werdensolle.Diemeistenwollteneigent-
lich umkehren, enthielten sich aber der
Stimme;sie mussten befürchten,alsVer-
räter behandelt zu werden.Nicht so San
Martín.ErwarnteMagellanvordendro-
henden Gefahren und sprach sich für
vorläufigesWeitermachen während des
Südsommers aus; dann solle man nach
Spanien zurückkehren.

Aufzeichnungenverschollen


Zusammen mit weiteren Seeleuten
wurde San Martín auf der Insel Cebu,
in den heutigen Philippinen,von Einhei-
mischen in einen Hinterhalt gelockt und
wahrscheinlich umgebracht.Zuvor hatte
San Martín seineAufzeichnungen Ginés
de Mafra,einem Lotsenkollegen auf der
«Trinidad», anvertraut. Dessen Schiff
wurde bei den Molukken vonPortugie-
sen gekapert,und de Mafra verbrachte
die nächsten sechsJahre in Gefangen-
schaft. Die ihm anvertrauten Notizen
und Aufzeichnungen wurden von den
Portugiesen beschlagnahmt. Sie kamen
nach Lissabon und gingen einJahrhun-
dert später an Spanien. Heute sind sie
verschollen.
Juan Sebastián Elcano, der Kapitän
der «Victoria», der dieWeltumsegelung
vollendete, verlor die Hoffnung nie, dass
der Astronom das Massaker auf Cebu
überlebt hatte. In seinemTestament be-
dachte er San Martín mit zwei Astro-
nomiebüchern und drei Ellen farbigem
LondonerTuch, «falls man auf ihn tref-
fen sollte».

Unter den damaligen


Navigationsoffizieren


kam ihm bezüglich


Know-hows und


technischer Fertigkeit


keiner auch nur nahe.


Der in Panik geratene


Cheflotse warf das


belastende Dokument


ins Wasser.


Wegen Verrats


wurde ermit schwerer


Folterung bestraft.


In den folgendenTagen werden alle Ein-
wohner der Insel getauft und damit zu
Untertanen desKönigs von Spanien ge-
macht. Auch auf andern Inseln wird ge-
tauft. Auf Mactan, gleich gegenüber von
Cebu,wirdeinDorfniedergebrannt,des-
sen Einwohner sich nicht taufen lassen.


„MagellansTod, 27.April 1521.La-
pu-Lapu, der Häuptling der Insel Mac-
tan,verweigertdengefordertenTributan


denStatthalterHumabonunddamitden
Gehorsam gegenüber dem spanischen
König. Magellan unternimmt eine Straf-
expedition und wird im Kampf getötet.


„Massaker, 1. Mai 1521.Die Spa-
nier machen sich zurWeiterfahrt bereit.
Der Statthalter Humabon lädt zum Ab-
schiedsmahl. Es ist eineFalle. 26 Spa-
nier werden umgebracht oder schaf-
fen es nicht mehr auf die Schiffe, unter
ihnen der neue Flottenkommandant,
Juan Serrano. Die übrigen Spanier flie-
hen mit ihren Schiffen.


„Schiffsversenkung, 2. Mai 1521.Die
Expeditionsflotte hat noch 113 Mann,zu
wenig für drei Schiffe. Vor der Insel Bo-
hol wird das schadhafte Schiff «Con-
cepción» angezündet, Mannschaft und
Ladung werden auf die beiden verblei-
benden Schiffe verteilt. DerAufbruch
von Cebu ist plötzlich erfolgt.Die Schiffe
haben kaum Proviant,man hungert.Die
Leute habenkeine Schuhe mehr, Holz-


schlagen wird zur Qual. Diekönigliche
Flotte wird vollends zur Piratenflotte.

„Entführung, 21. Juni 1521.Auf der
Philippinen-InselPalawan – dasPara-
dies auf Erden, hier werden zehnTon-
nen Reis beschafft – entführen die Spa-
nier drei einheimische Lotsen. Siesol-
len denWeg nach den Molukken zeigen,
hauenaber auf einer andern Insel ab.

„Seegefecht, 29. Juli 1521.Unter un-
klaren Umständenkommt es im Hafen
von Brunei zu einem Seegefecht. Die
Spanier kapern eine Dschunke mit wert-
vollerLadung, nehmen Geiseln, auch
drei Frauen; sie sind «fürden König» be-
stimmt, haben aber zunächst dem neuen
GeneralkapitänJoao Lopes Carvalho als
Sexs klavinnen zu dienen.

„Zimt, Oktober 1521.Auf Zamboanga
laden dieSpanier Zimt, imTausch gegen
Beutegut.Vor Mindanao überfallen sie
ein gross es Schiff, 20 Muslime bringen
sie um, 30 behalten sie als Gefangene.
Unter diesen befindet sich ein Lotse, der
den Weg zu den Molukken weisen kann.
Später werden noch zwei weitere Lotsen
gefangen genommen.

„Am Ziel, 8. November 1521.Die Spa-
nier erreichen die Molukken-InselTi-
dore und feuern ihre Artillerie ab. Der
Sultan al-Mansur empfängt sie mit gros-
sem Pomp, bekennt sich sogar als Unter-
tan des fernenKönigs von Spanien.Nun
tauscht man Scheren, Messer und Spie-
gel gegen Nelken, Muskat, Ingwer. Es
folgt einFreudenfeuer aus den Kanonen.

„Leck, 8. Dezember 1521.Die «Tri-
nidad» ist mit Gewürzen undVorräten
überladen und leckt.Das Schiff muss
überholt werden. Es wagt im April 1522
denRückwegüberdenPazifik ,mussaber
umkehren und wird von denPortugiesen
aufgebracht. Die Hälfte der Besatzung
kommt um,nur 5 von über 50 Mann wer-
den nach Europa zurückkehren.

„Westkurs, 21. Dezember 1521.Die
«Victoria» setzt dieReise allein fort, mit
47 Europäern und 13 «Indern». Kapitän

ist der Spanier Juan Sebastián Elcano.
Er nimmtKurs nachWesten,er will nicht
nochmals denPazifik durchqueren.Man
umfährtAfrika,geht aber nicht anLand,
denn hier ist portugiesisches Gebiet.Das
Schiff ist beschädigt,dieVorräte sind er-
schöpft, 21 Mann sterben.

„List, 9. Juli 1522.Die Spanier errei-
chen KapVerde, portugiesisches Gebiet.
Sie lügen, sie kämen von Amerika, und

können Proviant aufnehmen. 13 Besat-
zungsmitglieder werden aufLandgang
gefangen genommen,die Spanier fahren
schleunigst davon.

„Rückkehr, 8. September 1522.Die
«Victoria» erreicht Sevilla und feuert alle
Kanonenab.DieBesatzungbestehtnoch
aus 18 Mann, die meisten sind krank.
Barfuss und im Büsserhemd gehen sie
an Land und verrichten ihr Gebet.

„Ausladen, 10. September 1522.Die
Gewürzladung der«Victoria» wird ge-
wogen und später in Antwerpen ver-
kauft, zum Preis von 24000 Dukaten.
Damit sind dieKosten der Expedition
zu einem kleinenTeil gedeckt.

„Rechenschaftsbericht, September
1522.Der Kapitän der«Victoria» be-
richtet dem Kaiser über die «vielen Mü-
hen» der Seeleute. «Schweiss und Hun-
ger undDurst und Kälte» hätten sie er-
litten,schreibt Elcano.

Zurückkommen 18 Mann... ...auf einemSchiff,der «Victoria».

6Kühe6Kühe

3Schweine3Schweine

8700 kg Speck8700 kg Speck

QUELLE: COMPAÑÍA GENERAL DETABACOSDE FILIPINAS
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