Deutschland
W
enn Christof Gramm im Bundes-
tag auftritt, verliert der sonst eher
gelassene Präsident des Militäri-
schen Abschirmdienstes (MAD) schon mal
die Contenance. In den vertraulichen Pro-
tokollen ist ein solcher Moment beschrie-
ben. Es ging um rechtsextreme Soldaten
bei der Bundeswehr-Eliteeinheit Komman-
do Spezialkräfte. Ein Abgeordneter wollte
von Gramm wissen, warum der MAD
nicht rechtzeitig eingegriffen habe.
Der Geheimdienstchef konterte für sei-
ne Verhältnisse fast zornig. Viele hier, fuhr
der Jurist die Abgeordneten an, verstün-
den die Aufgabe des kleinsten Geheim-
dienstes des Bundes nicht. Seine Behörde
mit knapp 1200 Mitarbeitern sei keine
»Bundeswehr-Stasi« oder Gewissenspoli-
zei. Er dürfe nur gegen Soldaten ermitteln,
wenn es tatsächliche Anhaltspunkte für
deren verfassungsfeindliche Gesinnung
gebe, zitierte Gramm die Gesetzeslage.
Die Szene aus dem Januar lässt erahnen,
unter welchem Druck der Präsident und
sein Nachrichtendienst stehen. Enthüllun-
gen über Neonazis in der Truppe, die erst
nach Jahren entlassen wurden, sowie Hin-
weise auf ein rechtes Netzwerk in der Bun-
deswehr haben dem Geheimdienst einen
miserablen Ruf beschert. Schließlich ge-
hört es zu seinen Aufgaben, genau diese
Art von Missständen aufzudecken. Auch
die neue Verteidigungsministerin fragt sich,
ob der ihr unterstellte MAD für den Kampf
gegen rechte Tendenzen in den eigenen
Reihen richtig aufgestellt ist.
Nun handelt Annegret Kramp-Karren-
bauer (CDU). Noch im Oktober will sie
beginnen, den MAD umzubauen. Bereits
ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen
(CDU) hatte den Eindruck gewonnen, dass
der Dienst in den vergangenen Jahren all-
zu behäbig geworden sei. Schon 2018 gab
von der Leyen deshalb eine genaue Ana-
lyse in Auftrag, wie der MAD renoviert
werden könne, damit er aggressiver und
schneller durchgreift. Im März wurden ihr
Vorschläge vorgelegt.
Intern läuft der Umbau als »Operation
Frischer Wind«. Mit Burkhard Even, bis-
her Leiter der Spionageabwehr beim Bun-
desamt für Verfassungsschutz, wird erst-
mals ein zusätzlicher ziviler Vizepräsident
und Geheimdienstfachmann eigens für die
Extremismusabwehr installiert. Bisher gab
es nur einen militärischen Vizepräsidenten.
Even soll den MAD nicht nur effi zienter
machen, sondern vor allem die Koopera-
tion mit dem Verfassungsschutz stärken.
Der neue Posten ist Teil des geheim ge-
haltenen Personaltableaus. Auch unter-
halb der Leitung wird der Dienst neu struk-
turiert. War bisher ein Militär beim MAD
sowohl für Extremismus- als auch für
Spionageabwehr zuständig, entstehen nun
zwei getrennte und von zivilen Beamten
geführte Abteilungen. Im Ministerium ist
eine Koordinierungsstelle geplant, die
auch einzelne Verdachtsfälle verfolgen
und regelmäßig an die Leitung berichten
soll.
Zwar arbeitete das Ministerium unter
der Ägide von Staatssekretär Gerd Hoofe
schon seit 2017 an einer MAD-Reform.
Mit dem zügigen Umbau des Dienstes rea-
giert die Leitung aber auch auf die harsche
Kritik des Sonderermittlers Arne Schlat-
mann. Er durchforstet seit Monaten für
das Parlamentarische Kontrollgremium
des Bundestags Tausende Seiten MAD-
Akten über die Suche nach rechtsextre-
men Netzwerken in der Truppe.
Im Juli stellte Schlatmann mündlich ein
erstes Fazit vor. Der Befund im geheim
tagenden Gremium fiel wenig schmei -
chelhaft aus: Der ehemalige Beamte des
Innenministeriums war auf gravierende
systemische Mängel gestoßen. So monier-
te er, dass der MAD in den vergangenen
Jahren bei den Ermittlungen zu lasch
agiert und kaum mit dem Verfassungs-
schutz kooperiert habe.
Die Lücken schockierten die Abgeord-
neten, von einem »schmerzhaften Kassen-
sturz« war die Rede. In mehreren Fällen
wurden demnach Erkenntnisse über er-
kannte Rechtsextremisten, die bei der Bun-
deswehr wegen ihrer Gesinnung entlassen
worden waren, nicht zur weiteren Beob-
achtung an den Verfassungsschutz über-
mittelt.
Der neue Vizepräsident Even soll nun
sicherstellen, dass der MAD in Zukunft
eng verzahnt mit den Verfassungsschüt-
zern ermittelt.
Der Sonderermittler fand aber noch
mehr. Aus den Akten gewann Schlatmann
den Eindruck, dass die beim MAD einge-
setzten Soldaten oft deswegen nicht hart-
näckig recherchierten, weil sie ihre Kame-
raden in der Truppe schonen wollten. An-
dere hätten sich allzu leicht mit Ausreden
beschwichtigen lassen.
Zur Reform gehört auch, dass der MAD
vermehrt technische Mittel einsetzt. Bis-
her griff der Dienst nur selten zu nachrich-
tendienstlichen Methoden wie der Über-
wachung von Telefonaten und Mails.
Durch eine eigenständige Technikabtei-
lung soll nun sichergestellt werden, dass
Verdachtsfälle schnell abgeklärt werden.
Auf weitere unschöne Schlagzeilen
muss sich Chef Gramm aber trotz des um-
fassenden Umbaus einstellen. Noch in die-
sem Jahr will Sonderermittler Schlatmann
dem Kontrollgremium seinen Abschluss-
bericht vorlegen. Das Dokument, im Bun-
destag ist von mehreren Hundert Seiten
die Rede, soll zwar als geheime Verschluss-
sache eingestuft werden. Die Opposition
aber besteht darauf, dass es eine öffent -
liche Zusammenfassung gibt.
Matthias Gebauer
Frischer
Wind
Geheimdienste Der Militärische
Abschirmdienst wird
umgebaut und aufgerüstet: Er
soll offensiver nach Extremisten
in der Truppe suchen.
MICHAEL KAPPELER / DPA
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan 2018: »Schmerzhafter Kassensturz«
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