Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1

der portugiesischen Insel Madeira hat es
ein schweres Busunglück gegeben.«
Und er hört den Satz: »Eine Sprecherin
des Aus wärtigen Amts sagte, dass mög -
licherweise auch Deutsche unter den To-
ten seien.«
»Ich habe sofort feuchte Hände bekom-
men«, sagt Stefan Ulrich.
Die Zahl der Toten wird sich später auf
29 erhöhen, 27 Menschen überleben ver-


letzt, darunter der Fahrer und die portu-
giesische Reiseleiterin.
Für die Angehörigen daheim beginnt
mit einer solchen Nachricht eine Zeit
der Qual. Sie haben Fragen, auf die noch
niemand Antworten hat: Wer ist betrof-
fen? Wer hat überlebt? Wer kümmert
sich? Wie kommen die Menschen zurück
nach Hause, nach Deutschland? Bei
einem Unglück wie auf Madeira hat

der Staat seinen Bürgern gegenüber
Pflichten, so steht es im Gesetz über den
Auswär tigen Dienst, erster Abschnitt,
Paragraf 1, Absatz 2: »Aufgabe des Aus-
wärtigen Dienstes ist es insbesondere,
Deutschen im Ausland Hilfe und Beistand
zu leisten.«
So war es 2004 beim Tsunami im Indi-
schen Ozean, bei dem mehr als 200 000
Menschen ums Leben kamen, darunter
534 Deutsche.
So war es 2015 beim Absturz der Ger-
manwings-Maschine in Frankreich, bei
dem 150 Menschen starben, darunter 72
Deutsche.
Jedes Mal dauert es Tage, mitunter Wo-
chen, bis das letzte Opfer geborgen und
identifiziert ist. Für die Angehörigen ist
das kaum auszuhalten. Weil der Einzelne
in dieser Zeit keinen klaren Gedanken fas-
sen kann, braucht es Routinen. Und Profis,
die Beistand leisten.
Das Auswärtige Amt ruft dann frei -
willige Krisenhelfer zusammen, Minister
fliegen um die Welt, um zu kondolieren,
ausländische Standesbeamte stellen
Sterbe urkunden aus, Bestattungsunter-
nehmer müssen Särge finden, die inter-
nationalen Überführungsstandards ent-
sprechen.
An diesem 17. April treffen die ersten
Meldungen über das Busunglück gegen
20.30 Uhr beim Auswärtigen Amt ein, Am
Werderschen Markt 1 in Berlin. Im Keller
des Gebäudes befindet sich das Krisen -
reaktionszentrum, Referat 040, gelber
Teppichboden führt zu einem Eckbüro, in
dem rund um die Uhr zwei Beamte vom
Dienst vor Bildschirmen verfolgen, was in
der Welt passiert, Fernsehen, Social Media,
Nachrichtenagenturen.
Die Beamten kontaktieren die Botschaft
in Lissabon, die bei den portugiesischen
Behörden nachfragt. Laut Krisentagebuch
bestätigt die Botschaft um 22 Uhr: Ja, beim
Unglück sind Deutsche involviert.
Die Beamten informieren auch Frank
Hartmann. Hartmann ist der Krisenbeauf-
tragte des Auswärtigen Amts, seine Leute
haben Anweisung, ihn notfalls auch nachts
aus dem Bett zu klingeln. Er hat den Job
2017 übernommen, zuvor war er im Bun-
deskanzleramt Referatsleiter für den Na-
hen und Mittleren Osten, Afrika, Asien
und Lateinamerika; mit Krisen kennt er
sich aus.
Am Mittwochabend sitzt er in seinem
Büro, hinter seinem Schreibtisch hängt
eine Weltkarte, auf der die Länder unter-
schiedliche Farben haben. Libyen oder
Südsudan sind rot, Portugal ist weiß.
Hartmanns Aufgabe ist es, den Über-
blick zu behalten bei Unglücken, die im

DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 49


Verunglückter Touristenbus auf Madeira
»Ich habe sofort feuchte Hände bekommen«
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