Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1
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Argentinien

»Fass ohne Boden«


Staatschef Mauricio Macri hatte seinen
Wählern wirtschaftlichen Wandel verspro-
chen. Doch zum Ende seiner Amtszeit steckt
das Land erneut in der Krise. Bei den Vor-
wahlen im August lag der wirtschaftslibera-
le Präsident 15 Prozentpunkte hinter seiner
Konkurrenz. Die aus Argentinien stammen-
de Politologin am Hamburger Giga-Institut
Mariana Llanos, 52, spricht über ein mög -
liches Comeback der Peronisten.

SPIEGEL: Der argentinischen Wirtschaft
geht es so schlecht wie lange nicht. Hat
Präsident Macri versagt?
Llanos: Macri hat unter anderem die in-
ternationale Situation falsch eingeschätzt.

Er glaubte, es würde rei-
chen, sich von dem Popu-
lismus der Peronisten ab-
zusetzen, dann würden
die Investitionen aus dem
Ausland schon kommen.
Dem war nicht so.
SPIEGEL: Macri hat Kapi-
talkontrollen eingeführt
und Steuergeschenke ver-
teilt. Wurde er damit
selbst zum Populisten?
Llanos:Macri hat auch
die Energiepreise erhöht
und einen Kredit beim In-
ternationalen Währungs-
fonds aufgenommen, um
die Wirtschaft zu stabili-
sieren. Doch das hat nicht
gereicht. Argentinien ist
wie ein Fass ohne Boden.
Die Steuergeschenke sind
eine Verzweiflungstat vor
der Wahl – aber das
durchschauen die Wähler.
SPIEGEL: Wie kommt es, dass der Pero-
nismus nach den Korruptionsskandalen
eine Wahlalternative ist?
Llanos: Die Peronisten haben seit je eine
breite Wählerbasis. Nun treten sie ge-
schlossen auf. Sie haben sich hinter Alber-
to Fernández, einem moderaten Kandida-
ten, versammelt. Ex-Präsidentin Cristina
Kirchner hat ihm den Vortritt gelassen,
sie präsentiert sich als seine Stellvertrete-
rin. Das ist eine kluge Strategie.
SPIEGEL: Echter politischer Wandel
bleibt aber aus?
Llanos: Argentinien ist politisch schon er-
wachsener geworden. Während der Kri-
sen 1989 und 2001 haben die Präsidenten
einfach hingeschmissen. Macri hat bis
zum Ende der Amtsperiode durchgehal-
ten. Als erster demokratisch gewählter
Nicht-Peronist seit 1928. RED

Frankreich

Kampf um Paris


 Für die Bürgermeisterwahlen in der
französischen Hauptstadt nächsten März
kündigt sich ein hartes Rennen an: Denn
neben dem ehemaligen Macron-Berater
Benjamin Griveaux kandidiert ein weite-
rer Abgeordneter der Regierungspartei
»La République en marche« um den Pos-
ten im Rathaus: Cédric Villani, 45, ist ein
preisgekrönter Mathematiker, seit 2017
Anhänger von Emmanuel Macron und
eine ausgesprochen exzentrische Erschei-
nung. Villani trägt stets eine Spinnenbro-
sche am Revers, dazu eine Schleifenkra-
watte. Er wird in Frankreich häufig »Lady
Gaga der Mathematik« genannt. Seine
Kandidatur widerspricht allen parteiinter-

nen Absprachen und gilt deshalb als
Kampfansage an den von Präsident
Macron favorisierten Griveaux. Er wolle
der erste wirklich ökologische Bürger -
meister von Paris werden und zu den Wur-
zeln der macronschen Bewegung zurück-
kehren, sagt Villani. Deshalb sei er auch
kein Dissident. Seinen Konkurrenten hält
er für zu rechts; noch gebe es in diesem
Wahlkampf kein innovatives Zukunftspro-
jekt, hinter dem sich die Pariser versam-
meln könnten. Laut einer Umfrage des
Instituts Ifop hat der quirlige Villani besse-
re Chancen als sein kühl wirkender Kon-
kurrent, die amtierende sozialistische Bür-
germeisterin Anne Hidalgo zu besiegen.
Das Pariser Rathaus ist ein Sprungbrett:
Jacques Chirac war lange Bürgermeister,
bevor er in den Élysée-Palast einzog. BSA

Saudi-Arabien


Sparbüchse des


Kronprinzen


 Saudi Aramco, das profitabelste
Unternehmen der Welt, wird nicht
mehr vom saudi-arabischen Ölminister
geführt. Stattdessen hat nun ein Ex-
Investmentbanker übernommen, Yasir
Al-Rumayyan, der zuletzt den saudi-
arabischen Staatsfonds (PIF) leitete.
Der Wechsel soll Unabhängigkeit sug-
gerieren: Scheinbar untersteht Aramco
nun nicht mehr der Regierung.
Kronprinz Mohammed bin Salman
will Aramco so schnell wie möglich an
die Börse bringen. Er hofft, so langfris-
tig zwei Billionen Dollar einzunehmen,
um seine »Vision 2030« zu finanzieren,
den Umbau der bisher ölabhängigen
saudi-arabischen Wirtschaft. Doch
Aramcos geplanter Börsengang ver-
schleppt sich weiter: Bis vor Kurzem
hütete das Unternehmen seine Rech-
nungsbücher wie ein Staatsgeheimnis.
Rumayyan soll den Börsengang nun
vorantreiben. Er ist ein enger Vertrau-
ter des Kronprinzen. Seit 2015 hat er
den einst verschlafenen Staatsfonds zu
einem mächtigen Player verwandelt,
der in Saudi-Arabien eine immer größe-
re Rolle einnimmt.
Stephan Roll, Nahostexperte der
Stiftung Wissenschaft und Politik,
glaubt, dass der Ausbau des Fonds
politisch motiviert ist: Der Kronprinz
sichere sich so den Zugriff auf die
zentralen Ressourcen und konsolidiere
seine Macht. Erst kürzlich musste
Aramco dem Fonds Geld zuschießen.
Rumayyans Ernennung zum Aramco-
Chef legt nahe, dass der Kronprinz
das riesige Unternehmen noch stärker
unter Kontrolle haben will. RAS


JOEL SAGET / AFP
Villani

TOMAS F. CUESTA / AP

Macri
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