lang für die Farc im Dschungel kämpfte, war
in die Hauptstadt Bogotá gezogen. Er hatte
einen Job bei der Farc-Partei bekommen,
hatte sich die Politik aus der Nähe angese-
hen, aber was er sah, gefiel ihm nicht.
Alviuz sagt, Kolumbien sei verwirrt,
Drogenbanden beherrschten den Urwald,
die Bauern, für die sich die Farc viele Jahr-
zehnte lang einsetzten, seien immer noch
so arm wie zuvor. Er fühlt sich verraten
von einer Regierung, die versprochen hat-
te, die einstigen Guerilleros gut zu behan-
deln und in die Gesellschaft zu integrieren.
Alviuz und viele seiner Kameraden sind
zornig. Sie sind zermürbt vom Frieden.
Sie wollen den Krieg zurück.
Wenn es tatsächlich so weit kommt,
wenn die Farc es schaffen, ihre alten Kämp-
fer wieder zu motivieren und neue Rekru-
ten herbeizuholen, dann droht Kolumbien
ein Rückfall in dunkle Zeiten. Es ist denk-
bar geworden, dass ein Konflikt wieder
aufflammt, der verdrängt wurde und aus
den Augen der Welt verschwand – ein
Guerillakrieg um die politische Kontrolle,
um Land, Geld, Macht, Ressourcen, Waf-
fen, Kokain. Es wäre der Neubeginn eines
Konflikts, der endlich überwunden schien.
Alviuz’ Kämpfer sammeln sich in Putu-
mayo, einer unzugänglichen Region, die
unter Kolumbianern gefürchtet ist. Hier
ließ schon der Drogenbaron Pablo Escobar
in den Siebzigerjahren Koka anbauen. Die
Gegend von Putumayo eignet sich bestens
für illegale Geschäfte. Es gibt hier nur we-
nige, kleinere Städte, kaum Straßen, dafür
viel Urwald, Tausende Kilometer Fluss -
arme und einen fruchtbaren Boden.
Alviuz erklärte sich bereit, demSPIEGEL
Zugang zu seiner Gruppe von Guerilleros
zu verschaffen. Die Bauern Kolumbiens
sollen wissen, dass es die Farc wieder gibt
und dass sie wieder zu den Waffen greifen
wollen. Auch die Regierung in Bogotá, der
Hauptstadt, soll es wissen, die Militärs und
natürlich die Drogenkartelle.
Im Gegenzug für den exklusiven Zu-
gang zu den Kämpfern verspricht er Trans-
parenz und Sicherheit. Das braucht man
in dieser Gegend. Dabei haben im März
vorigen Jahres ehemalige Guerilleros zwei
Journalisten aus Ecuador und ihren Fahrer
ermordet. »Ein Missverständnis«, sagt Al-
viuz. Es soll beruhigend klingen.
Der riesige Dschungel Kolumbiens ist
immer noch ein gefährliches Gebiet. Über
ein halbes Jahrhundert lang haben sich
hier der kolumbianische Staat und die Farc
bekämpft. Es war der längste Guerillakrieg
der jüngeren Geschichte. Jeder schoss ge-
gen jeden: das kolumbianische Militär, von
der Rechten finanzierte Paramilitärs, mexi -
kanische Drogenkartelle, die in der Ko-
kainproduktion aktiv waren, gewöhnliche
Kriminelle und linke Farc-Kämpfer. Das
Militär warf Bomben über dem Urwald ab
und jagte Farc-Mitglieder. Die Guerilleros
antworteten mit Terror.
Millionen Menschen wurden in diesem
Krieg vertrieben, mehr als 250 000 star-
ben, 80 Prozent davon Zivilisten. Über
27 000 wurden entführt. Kolumbien ver-
sank im Chaos.
Gleichzeitig gab es aber auch Profiteure.
Die kolumbianischen Streitkräfte wurden
von der US-Regierung unterstützt, die ei-
nerseits gegen die Kokainepidemie in
Nordamerika vorging, andererseits aber
ihre Rüstungsindustrie mit Deals in Kolum -
bien unterstützen wollte. Die Farc kassier-
ten beim Kokaanbau und kontrollierten
die Kokainproduktion.
Danilo Alviuz war 17 Jahre lang Mit-
glied der bewaffneten Farc, als deren An-
führer im Jahr 2012 beschlossen, in Ver-
handlungen mit der Regierung einzutreten.
Er sah dabei zu, wie Kolumbiens Präsident
Juan Manuel Santos mit führenden Farc-
Mitgliedern, unter ihnen Rodrigo Londoño,
genannt Timochenko, und Luciano Marín,
genannt Iván Márquez, erst in Norwegen
und dann in Kuba verhandelte. Am Ende
stand ein wackliger Kompromiss.
Der Krieg endete offiziell am 23. Juni
2016, mit einem Waffenstillstand, dem drei
Monate später ein Friedensvertrag folgte.
Kolumbiens Präsident wurde mit dem Frie-
densnobelpreis geehrt, die Farc wurden
eine Partei und widmeten sich der Politik.
Es sah nach einem Sieg für die kolumbia-
nische Demokratie aus. Die EU strich die
Farc von der Liste der »terroristischen Ver-
einigungen«, die internationale Gemein-
schaft machte einen großen imaginären
Haken hinter das Land, schaute sich fortan
»Narcos« auf Netflix an und bescherte
Kolumbien einen Touristenboom.
Alviuz ahnte schon damals, dass ein
Frieden manchmal mehr Arbeit machen
kann als ein Krieg. Er wollte es trotzdem
versuchen, sagt er. Er fand eine Freundin,
bewarb sich um ein Regiestipendium auf
Kuba, das er nie antrat, und bekam schließ-
lich einen Job in der Parteizentrale der
Farc in Bogotá. Zu seinen Aufgaben gehör-
te es, Fotos seiner einstigen Kameraden
zu machen, die in die Politik gewechselt
waren und Reden hielten. Eine merkwür-
dige Erfahrung.
Alviuz erlebte, wie kolumbianische Poli -
tik funktioniert, er sah, wie Versprechen
gebrochen wurden. Entgegen der Zusiche-
rungen der Regierung seien Farc-Kämpfer
verfolgt und ermordet worden, klagt er,
teils von Banden, teils von Auftragskillern.
Offenbar hätten sich nur die Farc an den
Friedensschluss gehalten, die anderen aber
nicht.
Alviuz winkt einen kleinen, drahtigen
Mann in einem Real-Madrid-Trikot herbei.
»Ich heiße William Wallace«, sagt der
Mann. Es ist nicht sein echter Name,
sondern der eines schottischen Freiheits-
kämpfers aus dem 13. Jahrhundert. »Ich
mochte Braveheart«, sagt Wallace – der
Film »Brave heart« war die Hollywood-
Hommage an den Schotten.
Wallace ist einer der Milizionäre von
Danilo Alviuz, so nennt die Farc Guerilla-
kämpfer, die eine bürgerliche Fassade auf-
rechterhalten sollen. Wallace ist ein ent-
spannter Kerl, er hat Familie und lebt als
Bauer. Seine Pistole trägt er mal in der
Hand, mal steckt sie in seiner Unterhose.
Er scheint sich zu freuen, dass er die nächs-
ten Tage einem deutschen Reporter seinen
Alltag zeigen soll. »Ich werde nichts ver-
stecken«, sagt er.
Die Bauern hier leben fast ausschließ-
lich vom Kokaanbau. In Putumayo ist
der Staat kaum präsent. Wenn die Regie-
rung doch eingreift, schickt sie Soldaten,
die Straßensperren errichten und Koka-
büsche herausreißen, wofür die Bauern
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Ausland