Ausland
sie hassen. Das macht es leichter für die
Farc, hier wieder Fuß zu fassen.
William Wallace, der Milizionär, geht
einen schmalen Weg zum Fluss hinab, wo
sein Einbaum mit Außenborder liegt. Er
startet den Motor und fährt durch die
Nacht bis zu seinem Holzhaus. Auf der
Terrasse sitzen seine drei Söhne, Angel,
David und Alejandro. Auf dem Boden lie-
gen Waffen. Im Zimmer links verarztet
eine junge Guerillera einen verwundeten
Kameraden, der vor zwei Wochen ange-
schossen wurde. Die Kugel schlug seitlich
in seiner Brust ein und trat im Rücken wie-
der aus. Die Frau reinigt die Wunde und
gibt eine Tetanusspritze.
Der Verletzte erzählt, dass die Angreifer
zu den »Sinaloas« gehört hätten, einer
Gruppe, die sich nach dem mexikanischen
Drogenkartell benannt habe, aber angeb-
lich nichts mit dem Original zu tun habe.
Außer natürlich, dass sie Meuchelmörder
seien.
Eine weitere Kameradin sitzt an einem
Tisch und erklärt, wie sie im Dschungel ge-
lernt haben, Wunden zu versorgen und zu
reinigen. »Drei Ärzte aus der Stadt waren
hier, die uns das erklärt haben.« Leider habe
die Gefahr bestanden, dass sie die Guerilla-
kämpfer bei der Armee anschwärzen wür-
den, sagt sie. »Die drei taten mir wirklich
sehr leid. Wir haben sie erschossen.«
Sie sagt das nüchtern, als wäre es selbst-
verständlich, Ärzte zu erschießen. Die
Lektion ist, dass die neuen Farc ebenso
wenig Kompromisse machen wie die alten.
Im Grunde ist es so wie früher: Wenn die
Farc ein Gebiet übernehmen, hat das Volk
zu tun, was die Farc verlangen.
Kokainpaste, die Vorstufe des Endpro-
dukts, wird nur an Händler verkauft, die
mit den Farc kooperieren. Wer zu viel
redet und die Guerilla dadurch in Gefahr
bringt, stirbt. Wer vom Alkohol oder
Marihuana nicht loskommt, stirbt. Wer
Kokain klaut, stirbt. Und wer desertiert,
stirbt erst recht.
Früher durften die Bauern nicht wählen
gehen, künftig soll das anders sein, schließ-
lich gibt es jetzt eine offizielle Partei. Viele
der Mitglieder lehnen zwar die Wiederbe-
waffnung offiziell ab, Alviuz glaubt das
aber nicht. Mehr noch, er sagt, dass die
Abgeordneten sich insgeheim freuen. Die
meisten kennt er schließlich.
Direkt hinter dem Stelenhaus von Wil-
liam Wallace liegt sein Kokafeld, etwa ein
Hektar groß und damit vergleichsweise
klein. Es gibt Bauern mit 35 Hektar großen
Feldern. Ein Hektar wirft etwas mehr als
zwei Kilogramm Kokainpaste ab, alle zwei
Monate. Den Grammpreis haben die Farc
aktuell auf 2300 Peso festgelegt, rund 60
Cent. Das sind über 1200 Euro pro Hektar,
alle acht Wochen, in Putumayo ein fantas-
tisches Gehalt. Erntehelfer bekommen kei-
ne zehn Euro am Tag.
bauernvertreter niedergestreckt, also ge-
nau jene Menschen, für die sich die Farc
jahrzehntelang eingesetzt hatten.
Im Kongress, wo Danilo Alviuz zeitwei-
lig arbeitete, wurde mit dem Abkommen
Politik gemacht. Voriges Jahr wählte Ko-
lumbien den konservativen Politiker Iván
Duque Márquez zum neuen Präsidenten,
der das Friedensabkommen am liebsten
kippen wollte. Die Regierung tat alles, um
das Werk des Vorgängers Santos zu sabo-
tieren. Budgets wurden gekürzt oder ge-
strichen, vereinbarte Initiativen verzögert.
Bis heute schaffte es die Mehrheit der im
Friedensvertrag vorgesehenen Gesetzes-
entwürfe nicht durch das Parlament, einige
wurden nicht einmal eingebracht.
Am folgenden Morgen, es ist kurz nach
sechs, kommt ein Mann mit schwarzen
Mülltüten zu William Wallace. Der Mann
ist Bauer, in den Tüten stecken brüchige
Klumpen. Es ist Kokapaste, die getrocknet
wie weiße Schokolade aussieht.
Wallace zieht eine elektronische Waage
aus dem Rucksack und stellt sie auf einen
Baumstamm. Kokapaste besteht bis zu
70 Prozent aus Kokain. Natürlich ist der
Handel mit ihr streng verboten. Wallace
und dem Bauern drohen Jahrzehnte im
Gefängnis, wenn sie erwischt würden.
Wallace erhitzt einen kleinen Haufen
auf einem Löffel, dann tippt er seinen Fin-
ger in die Flüssigkeit und wischt damit auf
dem Handrücken. Zurück bleibt ein wei-
ßer Streifen. Wallace ist zufrieden.
Die Herstellung der Paste ist nicht kom-
plex, erfordert aber den Einsatz von Che-
mikalien, die richtig gemischt werden müs-
sen. Erst zupfen Erntehelfer die Kokablät-
ter von den dünnen Ästen der Büsche,
dann werden die Blätter zerkleinert und
unter anderem mit Dünger bestreut. In die
Mischung kommt Benzin, nach einer Pres-
sung wird der Brei mit verschiedenen Che-
mikalien behandelt, aufgekocht und zur
Paste getrocknet.
Die Weiterverarbeitung zu Kokain -
hydrochlorid-Pulver, dem Kokain, erfolgt
in größeren Labors. Ein effizientes Labor
produziert viele Tonnen im Monat, die
ihren Weg über Händler, Transporteure
und Dealer in europäische Städte finden.
Anfang August wurden im Hamburger
Hafen 4,5 Tonnen Kokain beschlagnahmt
mit einem Marktwert von einer Milliarde
Euro.
»Das Zeug ist gut«, sagt Wallace. Knapp
über sieben Kilo zeigt seine Waage an. Er
notiert die Zahl, greift in den Rucksack
und packt ein Bündel Geldscheine aus.
Der Bauer lächelt. Dann fragt Wallace, ob
er mehr braucht. Die Farc helfen gern.
Im Dschungel von Kolumbien wirkt das
Geschäft mit Kokain kinderleicht, und das
ist ein Teil des Problems. Die Bauern wis-
sen, wie man Kokapflanzen anbaut, und
die Farc-Rebellen wissen, wie man daraus
(^80) DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019
2010 2017
171 495
61 811
Quelle: UNODC 2019
Lukratives Geschäft
Kokaanbaufläche in Kolumbien
in Hektar
200 km
Bogotá
VENEZUELA
KOLUMBIEN
BRASILIEN
ECUADOR
PERU
Putumayo
Quelle: UNODC 2019
Kokaanbaugebiete in Kolumbien
PANAMA
Wallace will nicht wieder in den Urwald,
er will nicht mehr kämpfen. Er war 16 Jah-
re alt, als er den Farc beitrat, er hat das
lange genug gemacht. Als Milizionär ist er
vermutlich einer des wichtigsten Männer
der gesamten Operation, zuständig für
die Kommunikation zwischen den Koka -
bauern und den Guerillakämpfern. Wal-
lace kontrolliert die Finanzen. Ohne das
Geld, das er für die Rebellen erwirtschaf-
tet, gäbe es keinen Sold für Rekruten, kei-
ne Uniformen, keine Waffen, kein Essen.
Ohne ihn gäbe es keine neuen Farc.
Wallace ist der Beleg dafür, dass die
Logistik der Rebellen allmählich wieder
wächst. Es zeigt sich auch, wie brüchig der
Frieden von 2016 eigentlich war. Auch
nach dem Abkommen wurde weitergemor-
det. Am Schlimmsten traf es diejenigen,
die sich auf den Friedensvertrag beriefen,
auf die angeblichen Reformen – die vielen
Großgrundbesitzern, Viehzüchtern und
Unternehmern missfielen. Zu Hunderten
wurden Aktivisten, lokale Anführer, Klein-