Samstag, 7. September 2019 MEINUNG & DEBATTE
Tod des lan gjährigen Machthabers in Simbabwe
Mugabe lebt im Nachfolger weiter
Mugabe ist tot. Aber sein Geist lebt weiter. Sein
Nachfolger Emmerson Mnangagwa hatkeine neue
Ära der Demokratie eingeläutet, wie er verspro-
chen hatte.Vielmehr hat er sich alsWiedergänger
Mugabes herausgestellt, was auch nicht erstaunt.
Denn der 77-Jährige gehörte schon immer zum
engsten Kreis des Diktators, galt vielerorts sogar
als noch brutaler.Vielleicht schlimmer noch als die
Kontinuitätan der Spitze sind die Spuren, die die
jahrzehntelange Unterdrückung imVolk hinterlas-
sen hat. DieKorruption istTeil derKultur gewor-
den, viele Simbabwerkönnen sich gar nicht vorstel-
len, wie ein Leben ohne Schmiergelder aussehen
könnte.Auch die Selbstzensur, das Bücklingstum
und dieAutoritätsgläubigkeit wurden imLaufe der
repressivenJa hrzehnte verinnerlicht und selbstver-
ständlich. Es wird lange brauchen, bis dasLand
diesen Ungeist Mugabes ausgetrieben haben wird.
Unter Mnangagwa wird dieser Mentalitäts-
wechsel kaum stattfindenkönnen; er führt die
Einschüchterungspolitik seinesVorgängers naht-
los weiter.Verwunderlich ist dabei höchstens,
dass ihm derWesten auf den Leim gekrochen ist.
Anfang 2 01 8, kurz nach seinerWahl, trat er mit
staatsmännischer Miene am WEF auf, versprach
gesellschaftliche und wirtschaftliche Liberalisie-
rung, und die Europäer, insbesondere die Briten,
waren hingerissen. Mindestens einJahr lang er-
hielt dasLand jede erdenkliche Unterstützung.
Nun bröckelt sie, die Erwartungen in Mnangagwa
haben sich alsWunschdenken herausgestellt.
Wirtschaftlich hat sich nichts verbessert. Nur
etwa einFünftel der Simbabwer verfügt über einen
regulären Arbeitsplatz. Die Inflation belief sich im
Juni auf175 Prozent, der höchsteWert seit zehn
Jahren. Es fehlt selbst an Grundnahrungsmitteln
wie Mehl oder Öl, jedenTag fällt stundenlang der
Strom aus, dieAutos bleiben mangelsTr eibstoff
oft zu Hause stehen. Erneut streiken gegenwärtig
die Ärzte; sie verdienen im Schnitt etwa hundert
Dollar pro Monat.Das reicht nicht einmal für den
Arbeitsweg ins Spital.Das Gesundheitswesen liegt
darnieder, weshalb sich Mugabe denn auch in Sin-
gapur und nicht zu Hause behandeln liess.
Gerade kürzlich noch, MitteAugust, wurden in
der Hauptstadt Harare 91Personen festgenom-
men, nachdem die Oppositionspartei MDC zu
einem Protestmarsch aufgerufen hatte. DiePolizei
setzteTr änengas undWasserwerfer ein. Eigentlich
war der harteKurs vorhersehbar gewesen. Schon
kurz nach derWahl imAugust 20 18 wurde eine
Demonstration gegen die verzögerteVeröffent-
lichung derResultate von der Armee brutal unter-
drückt. Sechs Zivilisten kamen ums Leben.Im
Januar diesesJahres forderte die Niederschlagung
einerKundgebung gegen steigende Preise 17 Tote.
Regimekritische Bürger wie die SängerinKureya
wurden verschleppt und gefoltert.
An den Schalthebeln der Macht sitzen immer
nochVeteranen aus dem Befreiungskampf und
Vertreter des Militärs. Sie sind es gewohnt, poli-
tische Gegner alsFeinde zu betrachten und auch
so zu behandeln. Und nocheineandere Unart hat
Mnangagwa von seinem Ziehvater Mugabe ge-
erbt: dieWeissen für alles Schlechte imLand ver-
antwortlich zu machen. EndeAugust beklagteer
sich beieinerKonferenz in Genf, dass Simbabwe
über Elfenbeinvorräte imWert von 600 Millionen
Dollar verfüge. Mit diesem Geld liessen sich viele
Probleme imLand lösen – wenn nur nicht die bor-
niertenTierschützer aus Europa wären, die den
Verkauf verbieten.Tatsache ist, dass Simbabwe
über einen unermesslichenReichtum an Dia-
manten und Gold sowiefruchtbaremAckerland
verfügt, aber zu den ärmstenLändern derWelt
zählt.Verantwortlich für diese Schere ist die desas-
tröseRegierungsführung Mugabes und Mnangag-
was, der seinenVorgänger lediglich gestürzt hat,
um seinePolitik weiterzuführen.Wie es so schön
heisst: Es muss sich ändern, damit es gleich bleibt.
Unruhen in der fr üheren britischen K olonie
Eine Gefahr für den Standort Hongkong
Es war die erste gute Nachricht aus Hongkong
seitWochen, doch für eine dauerhafte Beruhi-
gung derLage wird sie wohl kaum sorgen. Am
Mittwoch gabRegierungschefin CarrieLam be-
kannt, dass man das umstritteneAusschaffungs-
gesetz auch formal beerdigen werde.Immerhin:
Das geplanteParagrafenwerk, nach demVer-
dächtigevon Hongkong an die Behördenauf dem
chinesischenFestland ausgeliefert werdenkön-
nen, warAuslöser der Massenproteste, dieRück-
nahme des Gesetzes eine der zentralenForderun-
gen der Protestbewegung.
Und doch wollen die Regierungskritiker
weitermachen.Für dasWochenende sind neue
Demonstrationen angekündigt. Schon ruft der
Flughafen der Stadt, eines der wichtigsten Dreh-
kreuzeAsiens, in Zeitungsinseraten dazu auf, die
Zufahrten und Zugänge fürPassagiere freizuhal-
ten. Es sieht ganz danach aus, als würden die De-
monstranten die Sieben-Millionen-Einwohner-
Stadt noch einige Zeit in Atem halten. Zu tief
sitzt offenbar der Unmut – über die eigeneRegie-
rung, über die Machthaber inPeking, aber auch
die explodierendenKosten.
Sollte aus den Protesten, bei denen an man-
chenTagen bereits mehr als eine Million Men-
schen auf die Strasse gingen, nicht bald enden
und es weiter zu Gewaltausbrüchen in den Hoch-
hausschluchtenkommen, dürfte allmählichauch
HongkongsAttraktivität alsWirtschaftsstand-
ort leiden.Auf diekonjunkturelle Entwicklung
schlagen die Proteste schon jetzt durch. Eskom-
men wenigerTouristen, der Detailhandel klagt
über Umsatzrückgänge, und es wechseln weni-
ger Immobilien den Besitzer. Nach Schätzungen
steckt Hongkong bereits in derRezession.
Doch daskönnte nur der Anfang sein. Hong-
kong ist einer der wichtigstenFinanzplätze der
Welt und dank der Nähe zum chinesischenFest-
land der weltweit achtgrösste Exporteur. Rund
1300 internationale Unternehmen unterhalten
in der Stadt ihreAsien-Zentralen. Diese heraus-
ragendePosition ist in Gefahr, sollten Proteste
und Gewalt anhalten. Es gibt wenige Dinge, die
Investoren mehrstören als politische Instabilität.
Wirtschaftsvertreter berichten, Hongkongs
Fundamente seien nochintakt. Rechtssicherheit
gehört dazu, ebenso ein modernesFinanzsystem,
kaumKorruption, niedrige Steuern und eine her-
vorragende Infrastruktur. Doch dieFundamente
könnten erodieren.Dann nämlich, wenndieGe-
walt nicht bald ein Ende findet – aber auch, wenn
Investoren aus demAusland den Eindruck ge-
winnen,Peking übernehme immer mehr dieKon-
trolle in Hongkong.
Alle haben gleichermassenVerantwortung da-
für, dass sich dieLage bald beruhigt: Hongkongs
Bürger tragen ihren Unmut zuRecht auf die
Strasse, doch Steine und Molotow-Cocktails soll-
ten nicht mehr fliegen. Die Hongkonger Behör-
denmitRegierungschefinLam an der Spitzemüs-
sen mit angemessenen Mitteln fürRuhe und Ord-
nung sorgen. Und die Machthaber inPeking müs-
sen beweisen, dass dieFormel «EinLand, zwei
Systeme», unter der Hongkong1997 an China zu-
rückgegeben wurde, wirklich Bestand hat.
Doch gerade hier klemmt es. Laut Medien-
berichten hatteLam schon früh signalisiert, auf
eineReihe vonForderungen der Demonstran-
ten eingehen zu wollen. Chinaskommunistische
Machthaber hätten dies aber strikt abgelehnt.
Das aber hiesse: Es ist auch dieRegierung in
Peking, welche dieFundamente desWirtschafts-
standorts Hongkong aushöhlt.
Boom bei Schweizer Blockchain-Firmen
Das digitale Fundament ist gelegt
Der Schweizer Wirtschaftsstandort hat die
Chance, sich dank demradikalen Einsatz moder-
nerTechnologien zu positionieren. Die Grund-
lage ist mit zahlreichen innovativenJungfirmen
im Bereich Blockchain gelegt. Die Entwicklung
zum führenden Kryptostandort ist jedochkein
Selbstläufer.Die Euphorie rund um die neue
Technologie ist mit denKurskorrekturen von
Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether in den
ersten Monaten 20 18 abgeklungen. Kritiker se-
hen Kryptowährungen als Spekulationsobjekte,
bei denen vor allem Emittenten und Betreiber
von Handelsplattformen profitieren, Geldgeber
dagegen über denTisch gezogen werden.
UngeachtetdieserAnwürfe hat sich die neue
Branchekontinuierlich weiterentwickelt.Laut
einer Studie von CryptoValleyVenture Capi-
tal (CVVC) haben die 50 grössten Blockchain-
Unternehmen in der Schweiz ihrenWert im ers-
ten Halbjahr 20 19 auf 40 Milliarden Dollar ver-
doppelt. Bei über 800 Gesellschaften arbeiten
rund 40 00 Personen.
Neben dem sogenannten CryptoValley um
Zug, wo rund die Hälfte der Unternehmen domi-
ziliert ist,hat sich Zürichals Standort etabliert.
Es ist naheliegend, dass die Schweiz ihrePosition
als weltweit führenderFinanzplatz auch in der
Kryptowelt etablieren will. Die beiden Standorte
Zug und Zürich ergänzen sich dafür ideal. Zug
geniesst dieReputationals Blockchain-Pionier,
die durch die Ansiedelung der Ethereum-Stif-
tung vor fünfJahren begründet wurde. Seither hat
sich im Innerschweizer Kanton ein Netzwerk aus
Blockchain-Experten gebildet. Die Kantonsregie-
rung ist bemüht, für die junge Branche optimale
Rahmenbedingungen zu schaffen. Zürich bietet
auf der anderen Seite Masse – an Know-how aus
derFinanzindustrie und an Ingenieurwissen von
Hochschulen undTechnologiekonzernen.
BeiTr endindustrien besteht allerdings oft die
Gefahr, dass es zu Übertreibungenkommt. Zahl-
reiche Coin-Emissionen (ICO), die um den Bit-
coin-Boom herum in der Schweiz durchgeführt
wurden, waren teilweise schlecht durchdacht, un-
sorgfältig durchgeführt oder schlicht Abzocke.
Dies und aufsehenerregende Hackerangriffe
könnten denRegulator zu einer Überreaktion
veranlassen. Die Schweiz glänzte bisher jedoch
mit einem ungewohnt pragmatischen Ansatz.
So ist nicht wie in anderenLändern ein explizi-
tes Blockchain-Gesetz erlassen,sondern nurab-
geklärt worden, in welchenFällen bestehende
Regularien angepasst werden müssten. Mit der
Finma-Wegleitung zu ICO oder dem Bericht des
Bundesrates zurrechtlichen Grundlage für die
Blockchain-Technologie in der Schweiz wurden
wichtige Meilensteine gesetzt.
Die Zahl der Blockchain-Anwendungen wird
explodieren.Wenn es die hiesigen Anbieter schaf-
fen, imFinanzbereich eine Pionierrolle zu über-
nehmen, wird ein Ökosystem entstehen, das auch
in Bereichen wieData Analytics, Gesundheits-
wesen und E-Government neuesGeschäfts-
potenzial eröffnet. Mit der weltweit erstenVer-
gabe einerBanklizenz an Kryptoinstitute hat die
Finma jüngst ein wichtiges Zeichen gesetzt. Doch
entscheidend für den Erfolg wird sein, dass tra-
ditionelleBanken die neuenTechnologien nicht
als Bedrohung sehen und die Zusammenarbeit
verweigern, sondern die Blockchain als wichtigen
Schritt in die digitale Zukunft begreifen.
MATTHIASKAMP
SCHWARZ UND WIRZ
Die Kunst
der Verdrängung
Von CLAUDIA WIRZ
Nun haben sie also eine neue Präsidentin
gewählt, dieJuso. RonjaJa nsen heisst sie. Ihre
Wahl ist in mehrfacher Hinsicht bemerkens-
wert. Zum einen war sie richtig knapp. Nur
eine Stimme machte den Unterschied. Das
muss aber nichts heissen.Joseph Deiss zum
Beispiel setzte sich1999 imRennen um einen
Bundesratssitz auch mit einer einzigen Stimme
Vorsprunggegen den inoffiziell kandidieren-
denPeter Hess durch. Seiner weiteren
Karriere tat daskeinerlei Abbruch –
im Gegenteil, man erinnere sich an die
Vorgänge um die Abwahl vonRuth Metzler.
Doch zurück zuRonjaJansen.Vor ihr steht
nun eine Herausforderung. Das Erbe der
umtriebigenTamaraFuniciello anzutreten, ist
kein Kinderspiel.Wer in dieserPosition
politisiert, braucht eine dicke Haut.Vor allem
aber sind die Erwartungen gross. Nichts
weniger als eine neue Ära haben dieJuso mit
derWahl der neuen Präsidentin versprochen,
und man darf gespannt sein, wie diese Ära
aussehen wird.DassRonjaJansen eine
resolute jungeFrau ist, hat sie schon vor ihrer
Wahl anklingen lassen. Doch was genau wird
diese neue Ära ausmachen? Die Beschwörung
des militantenFeminismus und antikapitalisti-
scher Klischeesreicht nicht, denn mit alten
Kamellen, lässt sichkeine neue Ära machen.
DieJuso kämpfen fürFreiräume, statt
Verdrängung. So steht es in verschiedenen
Juso-Papieren geschrieben. DieseForderung
ist nachvollziehbar.Allein – dieJuso sind
selber grosse Meister imVerdrängen. So
haben sie zum Beispiel die Arbeiter aus ihren
Reihen verdrängt.Aus dem «Kind der Arbei-
terinnenbewegung», wie dieJuso die Ge-
schichte ihrer Organisation selber überschrei-
ben, ist zumindestan der Spitze eine akademi-
sche, um nicht zu sagen eine ausgesprochen
elitäreVeranstaltung geworden, wenn man
bedenkt, dass immer noch zwei Drittel der
Jungen in der Schweiz eine Berufslehreund
nicht das Gymnasium absolvieren.Ja nsen ist
Studentin, genauso wieFuniciello. Deren
Vorgänger wiederum,Fabian Molina, wollte
sich nach der Stabsübergabe auf das Studieren
konzentrieren (glaubt man dem «Blick» sogar
auf Anraten vonJean Ziegler, denn auch
Studieren sei Kampf), und auch dessen
Vorgänger sind akademisch unterwegs.
Einreichlich Mass anVerdrängungsenergie
muss man da als studentische oder akademi-
scheJuso-Führungskraft haben, um ohne
Selbstironie Klassenkampfparolen zu deklinie-
ren und dem hiesigenWirtschafts- und
Politiksystem schamlose Bereicherung und
Profitsucht vorzuwerfen. Als (angehende)
Akademikerin gehört man zu den grössten
Profiteuren eines von der Allgemeinheit –
von Lehrlingen genauso wie vom Grosskapital
- finanzierten Bildungssystems.Wäre der
Juso-Protestkonsequent, müsste er sich auch
gegen das eigene privilegierte Selbst richten.
Verdrängungskünstler gibt es viele in der
Politik, beileibe nicht nur bei denJuso.Auch
dieBauernlobby beherrscht diese Disziplin
meisterlich.Dass man ständig von Nachhaltig-
keit redet, heisst lange nicht, dass man sie
praktiziert; vielmehr ist das vieleReden ein
Indiz für das Gegenteil. Die Umweltbilanz der
SchweizerLandwirtschaft ist trotz oder wegen
der vielen Milliarden Subventionen mehr als
blamabel. SeitJahren ignoriert das bäuerliche
Establishment, dass die Stimmbevölkerung für
das Geld etwas anderes bestellt hat, als sie von
denBauern bekommt.
Statt die imRaume stehenden Anti-Pesti-
zid-Initiativen als Chance zu packen und den
lang verdrängtenAuftrag nun endlich ernst zu
nehmen,spieltBauernpräsident Markus Ritter
lieber den trotzigen Untergangspropheten und
droht mit dem Ende derLandwirtschaft, wie
sie heute ist.Aber vielleicht wäre ja genau das
die lang ersehnte Gelegenheit, um die überfäl-
lige ökologischeWendeendlichzu schaffen.
Claudia Wirzist freie Journalistin und Autorin.