Samstag, 7. September 2019 SPORT51
Eine Religion namens Ferrari
Italien ze lebriert seine automobile Leidenschaft – die Scuderia und der spektakuläre Grosse Preis werden 90
ELMAR BRÜMMER, MONZA
Es ist einKontrast, wie er eindrucks-
voller kaum sein kann. In derVertika-
len das erhabeneWeiss des Mailänder
Doms, des umfangreichsten Marmor-
baus derWelt. Und in der Horizontalen
einrotes Meer aus Hemden,Autos, Kon-
fetti, Fahnen und Kappen, die zusammen
einenTeppich der Leidenschaft ergeben,
wie ihn sich jeder autokratische Herr-
scher nur erträumenkönnte.Was an
diesemTag vor dem berühmtenDuomo
passiert, hat auch nichts mit Propaganda
zu tun, es ist der massiveAusdruck einer
Weltanschauung. Den offiziellen An-
lass bilden das zeitgleicheJubiläum der
ScuderiaFerrari und des Grossen Prei-
ses von Italien. DerRennstall, der spä-
ter zur begehrten Sportwagenmarke
wurde, feiert seinen 90. Geburtstag, und
der Gran Premio wird zum 90. Mal aus-
getragen. Doch eigentlich feiert sich
hier eine ganze Nation selbst, angetrie-
ben von einer ausgeprägten automobi-
len Leidenschaft.
Der deutscheFormel-1-Pilot Sebas-
tianVettel, der im fünftenJahr fürFer-
rari fährt, stammt zwar aus einer von der
Autobahn geprägten Nation, aber wie
die Italienerihre Liebe für diese Marke
zelebrieren, überwältigt auch den vier-
fachenWeltmeister immer wieder: «Spä-
testens anTagen wie diesen wird einem
bewusst, dassFerrari einen absoluten
Sonderstatus in Italien besitzt», sagtVet-
tel, «es ist etwas, woran dieLeuteglau-
ben, fast wie eineReligion.Wenn man
nicht anFerrari glaubtin Italien, dann
passt man hier nicht ganz ins Bild.» Er
ruft sich noch einmal die Bilder vom
Domplatz ins Gedächtnis und sagt dann:
«Ich denke, dass ich vielleicht nie wieder
dorthin gehen sollte, denn schöner als am
Mittwoch wirdesnie wiederwerden.»
Was dort passiertist,und was sich
im kleineren Massstab an fast allen
Rennstrecken derWelt wiederholt, ent-
spricht ganz dem Plan desFirmengrün-
ders EnzoFerrari, der1988 im Altervon
90 Jahren gestorben ist: «Jeder träumt
von einemFerrari, das war vonAn-
fang an meine Absicht.»Auf der Bühne
steht die ganze Pracht der Siegerautos,
auch der berühmte 312 B3/74 von Clay
Regazzoni.Wer imkommendenJuni als
Rennstall seinen 10 00 .Grand Prix be-
streitet und zusammen 31Fahrer- und
Konstrukteurs-Titel errungen hat, der
hat auchreichlichAuswahl. Doch so
viele der inRot getauchten Preziosen
auf einem Fleck zu erleben, flankiert
von verdientenFormel-1-Piloten wie
Mario Andretti, Alain Prost oder Ger-
hard Berger und Managern wie Luca
di Montezemolo, JeanTodt oder Louis
C.Camilleri, das ist eine Demonstration
ungekannter Art, für die es in Maranello
künftig eine analoge wie digitale Heim-
statt namens UniversoFerrarigeben
wird, das UniversumFerraris.
Auch ein paar alte Mechaniker, noch
vomFirmengründer eingestellt, präsen-
tieren sich der jubelnden Menge. Die
kollektive Leidenschaft, die sie ebenso
verkörpern wie erfahren, entspricht dem
Prinzip desFirmengründers, nach der
kein Einzelner grösser sein dürfe als die
Marke mit dem springenden Pferdchen
imWappen.Ferrari war ein Extremist
der Mobilität, mit strengenAusschluss-
kriterien, er sagte: «Ich habe noch nie-
mandenkennengelernt, der so stur ist
wie ich selbst. Ich bin von einer Leiden-
schaft getrieben, die mirkeine Zeit lässt,
um nachzudenken oder irgendwas ande-
res zu tun. Ich habe in derTat kein In-
teresse an einem Leben ausserhalb der
Rennwagen.»Selbst der Charakter muss
immer ans Limit.
Neuer Monza-Vertrag bis 2024
Kein Hashtag derWelt, auch wenn er
stolz #essereferrari, «SeiFerrari», lau-
tet,kommt an die gelebte Leidenschaft
heran. Diese steigert sich noch einmal
um einige Nuancen,alsverkündet wird,
dass der Grosse Preis von Italien, dessen
Vertrag mit derFormel 1 jetzt ausgelau-
fen wäre,mindestens bis 2024 erhalten
bleibt. Alles andere wäre auch unver-
ständlich, wenngleich auskommerziel-
len Aspekten nicht unmöglich gewesen.
Doch der mentale Aspekt übertrumpft
auch hier den finanziellen.Ferrari ist
Formel 1, dieFormel 1 istFerrari. Nir-
gendwo ist das so intensiv zu spüren
wie imAutodromo Nazionale imKönig-
lichenPark vor denToren Mailands.
Der italienischeAutomobilklub hat
diesesWochenende unter das Motto
«90Jahre Emotionen» gestellt und be-
trachtetFerrari grundsätzlich als globa-
len Botschafter der Leidenschaft. Die
derzeitigen Rennresultate einer Sai-
son, in der derTitelanlauf wohl wie-
der vergeblich sein wird, spielen nur in-
sofern eineRolle, als der jetzigeRenn-
wagen vomTyp SF 90 nur auf Höchst-
geschwindigkeitsstrecken das Mass der
Dinge ist. Charles Leclerc hat aus Bel-
gien seinen erstenFormel-1- Sieg mitge-
bracht, es ist der erste Erfolg vonFerrari
in diesemJahr und der erste für Mattia
Binotto alsTeamchef.Für Monza sind
Erwartungshaltung undFavoritenrolle
damit klar.Befeuert wird die Spannung
nochvom internenDuell der Genera-
tionen – Leclerc ist 21Jahre jung,Vettel
32 Jahre alt. Luca di Montezemolo, der
Firmenpräsident aus der grossen Schu-
macher-Ära,erkennt in demMone-
gassen schon einen «jungenLauda», er
lerne schnell und mache nie einenFeh-
ler zweimal. Der Manager, derFerraris
Charisma wiekein anderer verkörpern
kann, warnt aber auch davor,Vettel als
«Nummer zwei» abzuschreiben: «Vettel
ist die Nummer eins, und Leclerc ist da-
bei, die Nummer eins zu werden – es ist
doch gut, gleich zwei Nummer-eins-Fah-
rer zu haben.»
Schicke schwarze Notizbücher haben
di eVeranstalter der PS-Jagd imKönig-
lichenPark drucken lassen, der Ein-
band ist mit dem Schriftzug «DerTem-
pel der Geschwindigkeit» versehen,in
herzblutroten Lettern.Dass am Ein-
gang zur Piste die ZeugenJehovas um
Aufmerksamkeit bitten, erscheint tap-
fer,wosich der eigentliche Glaube der
heranströmenden Massen doch leicht
id entifizieren lässt. Die Mengeskan-
diert immer wieder die beiden wichti-
gen F-Wörter: «Forza» und natürlich
«Ferrari».Die Highspeed-Kathedrale
Monza scheint etwas aus der Zeit gefal-
len, was ihr einen eigenen Charme ver-
leiht. Alberto Ascari hat hier imFormel-
1- Gründungsjahr1950 einen Sieg her-
ausgefahren, erliess auf dieserRenn-
bahn fünfJahre später aber auch sein
Leben. Die «Pista Magica» ist ein Ort
derTr iumphe, aber auch derTr agö-
dien. Mehr als 80 ProzentVollgasan-
teil auf knapp sechs Kilometern sorgen
für eine ganz eigeneFaszination.Fürs
Heimspiel haben die beidenWerksfah-
rer neueAusbaustufen der Hybridmoto-
ren bekommen. Schonjetztgilt das ita-
lienischeAggregat als dasstärkste im
Feld, sich beständig der 10 00 -PS-Grenze
annähernd.Seit 2010 hatkeinFerrari-
Fahrer mehr in Monza gewinnenkön-
nen. Im letztenJahrkonnte KimiRäik-
könen mit einer Schnittgeschwindigkeit
von263,587 km/h immerhin einen neuen
Formel-1-Rekord aufstellen.
Die Weisheit Enzo Ferraris
Die ersten SiegeFerraris in Monza
datieren zurück aus den Dreissigern, als
dasTeamRennwagen von Alfa-Romeo
an den Start schickte.Die Marke mit
dem Rennstallsitz in Hinwil gehört
heute ebenfalls zumFiat-Konzern und
bildet in derFormel 1 denFerrari-Nach-
wuchsaus, zuletzt CharlesLeclerc. Des-
sen bisher weniger erfolgreicher Nach-
folger Antonio Giovinazzi ist zwar der
erste Italiener seit 2011, der in Monza an
den Start geht, aberer hat nur beimpro-
gnostiziertenRegenrennen eine Chance.
Immerhin, seinRennwagen ist eigens in
denFarben derTr ikolore lackiert. Enzo
Ferrari hätte diese Hommage vermut-
lich kaum goutiert.VonÄsthetik hatte
er seine ganz eigeneAnsicht: «Renn-
autos an sich sind weder schön noch
hässlich. Sie werden nur dann schön,
wenn sie gewinnen.»
Die Highspeed-
Kathedrale Monza
scheint etwas
aus der Zeit gefallen,
was ihr einen eigenen
Charme verleiht.
Italien feiertFerrari –und sich selber:Jubiläumspräsentation vor dem MailänderDom. FLAVIO LO SCALZO/REUTERS
Im Kreis
der schlechtesten
Teams Europas
Gibraltar, am Sonntag Gegner der
Schweiz, ist keine Fussba llgrösse
(sda)· Die Schweizer Nationalmann-
schaft trifft am Sonntag um 18 Uhr in
Sitten in der EM-Qualifikation auf
Gibraltar. Der am südwestlichen Zip-
fel von Europa gelegene Kleinstaat ist
auf demPapier eines der schwächsten
Teams Europas.
Sie heissenJack Sergeant, Ethan
Britto oder AlainPons und stehen bei
Klubs wie Europa FC, LincolnRed Imps
FCoder St.Joseph’sFC unterVertrag.
Sie sind einTeam der Namenlosen und
im Kreis des europäischenFussballver-
bandes Uefa zusammen mit San Marino
und Liechtenstein der Zwergunter den
Zwergen. In derFifa-Weltrangliste ist
Gibraltar die Nummer198 und liegt
damit noch hinter Aruba, Guam oder
Montserrat.
Berühmt ist der 6,5 Quadratkilo-
meter grosse,in der Bucht von Algeci-
ras gelegene Kleinstaat mit seinen gut
30000 Einwohnern nicht wegen seiner
Fussballer, sondern aufgrund seiner geo-
politischenLage. Das afrikanischeFest-
land ist nurrund30 Kilometer entfernt.
Seit gut 300Jahren ist der Kalkstein-
felsen britisches Überseegebiet, Gibral-
tars Geschichte ist geprägt von politi-
schenKonflikten.
Erst seit wenigen Jahren gehört
Gibraltar der internationalenFussball-
gemeinschaft an. 2013bestritt dasNatio-
nalteam das erste offizielleLänderspiel,
dreiJahre später wurde die Gibraltar
Football Association in dieFifa aufge-
nommen. Die Höhepunkte der 124-jäh-
rigenVerbandsgeschichte waren das 1:0
in Erewan gegen Armenien und das 2:1
zu Hause gegen Liechtenstein vor einem
Jahr imRahmen der Nations League. Es
wären die beiden bishereinzigen Pflicht-
spielsiege.Wenigerrosig sieht die Bilanz
in Qualifikationsspielen fürWelt- oder
Europameisterschaften aus.Aus 24Par-
tienresultierten 0 Punkte und einTor-
verhältnis von 5:115.
In der laufenden Qualifikation hat
Gibraltar alle vier Spiele verloren und
dabei nochkeinTor erzielt. Am Don-
nerstag setzte es auf demKunstrasen
des Victoria-Heimstadions am Fuss
des Affenfelsens gegenDänemark eine
0:6-Niederlage ab.Dass Gibraltaraber
nicht zwingend ein sportlichesFreilos
ist, bewies die Mannschaft im Heim-
spiel gegen Irland. Bei der 0:1-Nieder-
lage verhinderte IrlandsKeeperDarren
Randolph kurz nach derPause mit einer
mirakulösenParade nach einemKopf-
ball vonRoy Chipolina denFührungs-
treffer des krassenAussenseiters.
Roy Chipolina und sein Bruder
Joseph sind die wohl bekanntesten Spie-
ler Gibraltars.Am meisten offizielle
Länderspiele im Kader des Uruguay-
ersJulio Ribas weist LiamWalker auf,
der gegenDänemark sein 40.Länder-
spiel bestritt.Wie Joseph Chipolina er-
zielteauchWalker schon zweiLänder-
spieltore. Nichtalle Spieler von Gibral-
tar sind allerdings Amateure. Tjay De
Barr spielt in Spanien bei Oviedo, Louie
Annesley ist bei den BlackburnRovers
unterVertrag.
Semenya spie lt
nun auch Fussball
(sda)·Die zweifache 800-Meter-Olym-
piasiegerin CasterSemenya spielt künf-
tigauchFussball. Die28-Jährige schloss
sich dem von SüdafrikasRekordnatio-
nalspielerinJaninevanWyk gegründe-
ten JVWFootball Club an und will dort
ab 2020 in der semiprofessionellen Sasol
Leaguekicken. Semenya spielte schon
während ihrerJugend inder Schule
jedenTag Fussball. DieAusnahmeläufe-
rin sucht wohlauch deshalb eine neue
Herausforderung, weil sie ihren WM-Ti-
tel über 800 Meter an denWeltmeister-
schaften in Doha vom 27.September bis
- Oktober wegen der umstrittenenTes-
tosteronregel für Mittelstreckenläufe-
rinnen mit intersexuellen Anlagen nicht
verteidigen kann.