Neue Zürcher Zeitung - 07.09.2019

(Ron) #1

52 SPORT Samstag, 7. September 2019


Der Mountainbike-Weltmeister Nino Schurter sorgt in den


USA mit einer politischen Aktion für Aufregung SEITE 50


Italien feiert 9 0 Jahre Scuderia Ferrari, 90 Jahre Grosser


Preis von Monza – und ni cht zuletzt sich selberSEITE 51


Die Situation ist schwierig, aber niemand ist alarmiert


Mit dem 1:1 in Irlandverpasst das Fussball-Nationalteam eineChance, sichvonDruck zu befreien. Die kommenden Monate werden brisant


SAMUEL BURGENER, DUBLIN


Nach dem 1:1 im EM-Qualifikations-
spiel inDublin gegen Irland stand der
SchweizerFussballer Granit Xhaka in
den Katakomben desAviva-Stadions
und berichtete von den Geschehnissen.
Als er auf denabwesenden Spielmacher
Xherdan Shaqiri angesprochen wurde
und darauf,dass sich Shaqiri daran stö-
ren könnte, nicht Captain zu sein, sagte
Xhaka in einem Anflug von Demut:
«Wenn das das Problem ist, sitzen wir
zusammen an einenTisch. Er kann die
Binde gerne haben.Für mich ist das
kein Problem.»


Die Frage umdie Binde


Ein Problem ist jedoch, dass Xhaka offi-
ziell nur Ersatz-Captain ist und folg-
lich nicht dazu ermächtigt, die Captain-
Binde weiterzugeben. Der offizielle
Captain Stephan Lichtsteiner war für
das Irland-Spiel nicht aufgeboten wor-
den und wundertsichvielleicht, dass
seinBändeli feilgeboten wird.
Die Geschichte um die Captain-
Binde offenbart, dass rund um dasTeam
vieles kompliziert geworden ist. Die


Schweizer blieben gegen die Iren zum
vierten Mal inFolge sieglos. Eine solche
Serie ist eine Premiere in den 55 Spielen
und fünfJahren mit dem Nationaltrainer
VladimirPetkovic. DieNationalspieler
haben in drei von diesen vier Spielen
kurz vor Schluss ein gutesResultat ver-
spielt. Und nach dem Spiel gegen Irland
haben sie ihre Leistung gemeinhin als
«gut» und damit völlig anders bewer-
tet als die anwesende Schar vonJour-
nalisten und viele Zuschauer. Gesichert
war am Donnerstagabend inDublin nur,
dass dieAusgangslage in der Qualifika-
tion völlig offen bleibt. Der Erst- und
der Zweitplatzierte qualifizieren sich
direkt für die EM 2020.
Im Match am Sonntaggeg en Gibral-
tar in Sitten müssen die Schweizer ge-
winnen und dasTorverhältnis aufbes-
sern.Dann folgen Mitte Oktober vor-
entscheidende Spiele gegen den Mit-
favoriten Dänemark inKopenhagen
und gegen Irland in Genf. DiePartien
bergen sportliche Brisanz undKonflikt-
potenzial neben dem Platz, denn in den
vergangenenTagen scheint rund um
das Nationalteam alles fluid geworden
zu sein. DerFall Shaqiri beschäftigt das
Team und die Öffentlichkeit, ebenso der

Fall Lichtsteiner, derTrainerPetkovic
und dieKommunikation desVerbands.
Bei Shaqiri ist jede Beurteilung
schwierig,solange die Gründe für die
Absage unklar bleiben. Nach denÄus-
serungen vonPetkovic an der Medien-
konferenz in Zürich am Montag ist von
psychischen Problemen bis hin zurei-
ner Eitelkeit alles denkbar. Kurz vor
dem Spielgegen Irland liess Shaqiri dem
Team viaTwitter Glückwünsche ausrich-
ten. Die Schweizer sindaus sportlicher
Sicht stark abhängig von Shaqiri, auch
wennPetkovic diesen Umstand gerne
verharmlost.
Bei Lichtsteiner ist es so, dass der
junge ErsatzKevin Mbabu denVorzug
in den letztenLänderspielen schlicht
nicht gerechtfertigt hat. GegenDäne-

mark und Irland leitete er mitFehlern
je ein Gegentor und damit die Punktver-
luste ein. Gegen Irlandmissrieten ihm
mehrere Flanken. Beim neuen Klub
Wolfsburg in der Bundesliga hat Mbabu
nochkeine Sekunde gespielt. Ihm feh-
len das Charisma, die Erfahrung und der
brennendeEhrgeiz Lichtsteiners. Es sind
Tugenden, die dasTeam bitter nötig hat.
DiePersonalien Shaqiri und Licht-
steiner werden an den Oktober-Termi-
nen breit verhandelt werden, unabhän-
gig davon, ob die SpielerTeil desAufge-
bo ts sein werden oder nicht. Und auch
unabhängig davon, wie die Spiele aus-
gehen. Shaqiri und Lichtsteiner waren
in den vergangenenJahren zwei der
wichtigsten Spieler, und nun tragen
ihreFälle eine Unruhe in dasTeam, die
schädlich ist.
Gerade Shaqiri befeuert mit sei-
nem Schweigen die schwierige Situa-
tion. Doch in der Hauptverantwortung
stehen derVerband und der Staff. Dort
scheint derzeit niemand befähigt zu sein,
die Fälle mit Umsicht und klarerKom-
munikation zu behandeln.
Der Medienauftritt von Petkovic
und dem neuen Nationalteam-Mana-
ger PierluigiTami am Montag in Zürich

wirkte handgestrickt und teilweise gro-
tesk.Dass die deutsche Sprache fürPet-
kovic undTami nicht die Muttersprache
ist, kam hinzu.Petkovic hat seine Eigen-
willigkeit im öffentlichenAuftritt bis
jetzt stets früher oder später mit guten
Resultatenkompensiert.Tami verwei-
gert vorerst grössere Interviews. Er will
sich erst nach Abschluss der Qualifika-
tion im November äussern.

Alleswie vor einem Jahr


Auch dieRolle des neuen SFV-Präsi-
denten Dominique Blanc im Kreis des
Nationalteams ist unklar;er ist bisan-
hin kaum öffentlich aufgetreten. Dabei
brauchten dasTeam und derVerband
unbedingt Leader undkommunikativ
starke Manager. Die Stelle desKom-
munikationschefs ist bisher nur ad inte-
rim vergeben.
Bald entscheidet sich für das Natio-
nalteam, ob es an derEM2020 teil-
nehmen wird. Es hätte in den Spie-
len gegenDänemark und Irland sechs
Punkte gewinnen müssen, verbuchte
aber nur zwei. Die EM ist gefährdet,
und es wirkt gerade,als kümmeredie-
ser Umstand niemandenallzu sehr.

Dem Glück eine Chance geben


Belinda Bencic versucht, das Beste aus der verpasstenChance gegen BiancaAndreescu zu machen


DANIEL GERMANN, NEWYORK


Endet dasFrauenturnier am US Open
mit dem 24.Titel von SerenaWilliams?
Oder mit dem ersten Major-Sieg der
erst19-jährigen Bianca Andreescu? Der
letzte Match am Samstag wird dieFrage
beantworten. Sicher ist: Belinda Ben-
cic muss weiter auf den grossenDurch-
bruch warten. Die Ostschweizerin ver-
suchte am Donnerstagabend positiv zu
bleiben: «Natürlich bin ich im Moment
sehr enttäuscht.Doch wirhaben im
Team bereits besprochen, was ich hier
erreicht habe. Der Halbfinal ist mein
bisher bestesResultat an einem Grand-
Slam-Turnier. Und das sollte man nicht
als selbstverständlich erachten.»
Bencics Worte waren ein wohl-
gemeinterVersuch. Doch ihreAugen
sagten das Gegenteil. Die 6:7-5:7-Nie-
derlage gegen Andreescu war ihr unter
die Haut gefahren, und sie wird noch
einen Moment lang dort bleiben. Ben-
cic vergab im ersten Satz sechs Break-
bälle, darunter einen Satzball. Undsie
verspielte im zweiten einen doppelten
Breakvorsprung. 5:2 inFührung liegend,
machte siekein Game mehr.


Es fehlt ein Gewinnschlag


Als sie gefragt wurde, ob sie den Match
noch einmal ansehen werde, um Schlüsse
aus ihm zu ziehen, lächelte sie bitter und
sagte: «Ganz sicher nicht. Ich lerne aus
meinen Erfahrungen.» NewYork war
für sie deshalb ein Schritt vorwärts, weil
sie viereinhalb Matches lang souve-
rän und abgeklärt aufgetreten war. Sie
servierte hervorragend und zeigte ihre
Fähigkeit, das Spiel zu lesen. Im Halb-
final gegen Andreescu wurde aber auch
offensichtlich, dass ihr ein absoluter Ge-
winnschlag fehlt, um ihre Gegnerinnen
zu dominieren. Die Kanadierin schlug
doppelt so vieleWinner wie sie (40:16).
Bencic ist 22-jährig. Bleibt sie gesund,
werden ihr noch vieleChancen winken,
nachzuholen, was sie am Donnerstag
verpasst hat.Das Frauen-Tennis ist aus-
gesprochen volatil.Williams ist zwar seit
zwanzigJahren die dominierende Spie-
lerin. Ihre Herausforderinnen wechseln


aber in bunterReihenfolge. In den letz-
ten gut dreiJahren verlor sie Grand-
Slam-Finals gegen die Spanierin Gar-
biñe Muguruza, die Deutsche Angelique
Kerber, die Japanerin Naomi Osaka und
die Rumänin Simona Halep.Am Mon-
tag wird AshleighBarty Osaka an der
Weltranglistenspitze ablösen, obwohl
dieAustralierin in NewYork in der
viertenRunde gescheitert ist.Wie eng
die Abstände unter denTopspielerin-
nen sind, verdeutlicht, dass vor den letz-
ten eineinhalb Monaten der Saison ein-
zig Barty bereits sicher für das Masters
qualifiziert ist.
Bencic hat aus den schwierigen letz-
tenJahren die richtigen Schlüsse ge-
zogen.Dank ihremFitnesstrainer und

Freund Martin Hromkovic ist siekör-
perlich widerstandsfähiger und weni-
ger verletzungsanfällig geworden. Die
Rückkehr ihresVaters Ivan als Coach
hat Stabilität in ihr Umfeld zurück-
gebracht. Siehabe, hatte sie früher in
dieserWoche gesagt, erkennen müssen,
dass er als Coach am besten zu ihr passe.

Harter Kampf um das Masters


Bencic sagte,es gehe um Details,um den
letzten Schritt zu schaffen. «Ich muss
nichtgrundsätzlichan meinerVor- oder
Rückhand arbeiten, sondern mich über-
all um ein Prozent steigern: physisch,
mental, beim Service. Ich muss denWeg
fortsetzen, den ich eingeschlagen habe.

Dann werden automatisch neue Ge-
legenheitenkommen. Dumusst dem
Glück eine Chance geben.Das habe ich
zu meinem Motto gemacht.»
Bencic ist in den letztenWochen der
Saison für dieTurnierein Tokio, Wuhan,
Pekingund Hongkong gemeldet. Da-
nach folgt allenfalls noch das Masters
der besten acht, das ab dieserSaisonin
Shenzhen stattfindet. Momentan belegt
sie in derJahreswertung Platz 8, aller-
dings nur hauchdünn vor der Nieder-
länderin Kiki Bertens. Doch ehe sie den
Saisonschlussspurt beginnt, gönnt sich
Bencic jetzt ein paarTage Pause in der
Schweiz. Sie braucht sie, um die bittere
Niederlage gegen Andreescu aus dem
Kopf zu bekommen.

Warten aufdie n ächste Gelegenheit:BelindaBencic in NewYork. SETH WENIG/AP

EM-Qualifikation, Gruppe D
Donnerstag Sonntag (18.00)
Irland - Schweiz 1:1 Schweiz - Gibraltar
Gibraltar - Dänemark 0:6 Georgien - Dänemark


  1. Irland 5/11 4. Georgien 4/3

  2. Dänemark 4/8 5. Gibraltar 4/0

  3. Schweiz 3/5


NEW YORK, NEW YORK


«The Battle of the


Sexes», Part 2


Daniel Germann·Es warJohn McEn-
roe, wer sonst, der SerenaWilliams vor
zweiJahren zum unfreiwilligen Stargast
der amerikanischenFrauenbewegung
machte. McEnroe sagte in einerRadio-
sendung, Serena Williams sei wahr-
scheinlich die beste weiblicheTennis-
spielerin der Geschichte. Die Inter-
viewerin erkannte die Chance und fragte
zurück:Warum nur weibliche und nicht
beste überhaupt? Und McEnroe, den
Abgrund, der sich vor ihm öffnete, nicht
gewahr, antwortete:«Moment, Moment,
Moment:Bei den Männern wäre sie etwa
die Nummer 700.»
Selbst Donald Trump täte sich
schwer, mit einem einzigen Satz einen
Wirbel zu entfachen, wie er danach los-
brach. McEnroe musste sich vomFrüh-
stücksfernsehen bis inLate-Night-Shows
rechtfertigen. Er erklärte sich, beharrte
aber auf seiner Einschätzung.Trotz mas-
sive m Druck entschuldigte er sich nicht.
«Come on,you cannot be serious.»
Angesichts von so viel Starrsinn
sah sich die ehemalige Spielerin und
Frauenrechtlerin BillieJean King ge-
nötigt, in die Debatte einzugreifen. Sie
unterstellte McEnroe niedrige Beweg-
gründe, weil er sich seit15 Jahren erfolg-
los darum bemühe, einen Geschlechter-
kampf gegen SerenaWilliams auszu-
tragen. McEnroekonterte:Wenn, dann
wäre jetzt der optimale Moment, um
gegenWilliams anzutreten. Sie sei ja ge-
rade schwanger, und mittlerweile glaub-
ten nicht einmal mehr seineTöchter
daran, dass er sie schlagenkönne.
SerenaWilliams verfolgte die lan-
desweite Debatte mit derLangmut der
werdenden Mutter. Nur einmal mel-
dete sie sich kurz perTwitter und bat,
man möge doch ihre Privatsphäre wäh-
rend der Schwangerschaftrespektieren.
Sie selber hatteJahre zuvor in der Show
vonDavid Letterman gesagt, sie wäre im
Männer-Tennis nichtkonkurrenzfähig.
Nur hatte das damals kaum jemand zur
Kenntnis genommen, weil sich daraus
keine Kontroversekonstruieren liess.
Am Samstag spielt SerenaWilliams
am US Open um ihren 24. Grand-Slam-
Titel. Er wäre einRekord– und sie un-
zweifelhaft die grössteTennisspielerin
der Historie. McEnroe wird gratulieren.
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