WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER2019 KULTUR^41
Immerhin ein Film über die DDR, bei
dem ich mich mehr amüsiert als
geärgert habe. Die ganze Absurdi-
tät des Sujets zeigt sich, wenn man
dieser Tage durch die „Residenz-
stadt“ Schwerin fährt, wo noch
immer eine Lenin-Statue rumsteht.
Diese donnersmarcksche Holly-
wood-DDR finde ich unanständig.
Der Film tut, als hätte jemand im
Repressionsapparat Staatssicher-
heit Mensch bleiben können. Letzt-
lich exkulpiert er die eigentlich Ver-
antwortlichen, die SED.
Ich habe nicht alle Folgen gesehen,
aber was ich gesehen habe, war um
Authentizität bemüht. Dass es mich
dennoch nicht wirklich berührt hat,
ist wohl eine Frage des Genres, des
fiktionalen Films. Im Vergleich zur
erlebtenWirklichkeit verliert die
Fiktion immer.
Ein wichtiger Versuch, durch
Ironie NäheundDistanz her-
zustellen. Die Grenze zur Kla-
motte immer wieder über-
schritten.
Humor und Ironie gleiten in
Verkitschung ab.
Ganz gute Milieudarstellung
der Staatsseite, während die
Oppositionellen harmlose
Pappkameraden sind. Un-
glaubwürdige Läuterung
negativer Helden.
Einer meiner Lieblingsfilme
zur DDR, an dem für mich
Atmosphäre, Darsteller, Dra-
matik, schwarzer Humor –
alles stimmt. Das Gleiche gilt
für weitere Filme von Matti
Geschonneck.
Vertreter der Staatsseite,
Opportunisten und Oppositio-
nelle endlich differenzierter
dargestellt. Hervorragende
Milieustudien.
Tränenreiche Handlung, die
aber nahe der Wirklichkeit
angesiedelt ist.
Aufbaumythos und stali-
nistische Härte der frühen
DDR filmisch überzeugend
präsentiert.
War vor 20 Jahren peinlich
und dürfte mit jedem Tag
peinlicher werden.
Stark erzählter Teenager-
Streifen, der sich an den Här-
ten des Ostens nicht vorbei-
schummelt.
Verklärstück trotz Stasi-
Knüppelszene. Lässt eine DDR
aufleben, die es nie gab.
Ein Film, der die Binnenphysis
des Ostens veränderte. Die
Ost-Kids fragten auf einmal:
Mutter, Vater, hast du auch
eine Stasi-Akte?
Viel Milieu, viel Hausmanns-
kost, beeindruckend durch
Gudrun Ritter, Michael
Gwisdek und Hermann Beyer.
Präzise recherchierte, poin-
tiert verschweißte Familien-
saga. Je länger allerdings die
Serie, umso ungenauer die
Schauspieler.
Die Maueröffnung als ab-
surdes Theater. Schade.
Authentische, berührende
Story aus der frühen DDR.
Wunderbare junge Schau-
spieler, fast alle von der
„Busch“.
Es hat sehr lange gedauert, bis man über die brau-
ne NS-Diktatur Komödien gedreht hat. Das war
auch nur möglich, weil dazu ein klares Geschichts-
bild vorlag und niemand mehr ernsthaft die Ver-
brechen bestreiten oder relativieren konnte. Bei der
kommunistischen Diktatur läuft das anders. Da
wird über diverse Filme und Bücher humorvoll Ge-
schichtsklitterung betrieben. Dabei wird uns eine
DDR vorgegaukelt, in der offenbar das höchste
Risiko darin bestand, sich totzulachen. Selbst der
historisch einmalige Vorgang der Selbstbefreiung
beziehungsweise des Durchbruchs über die Böse-
brücke in der „Bornholmer Straße“wird zur Kla-
motte. Unlängst habe ich den Oberstleutnant Ha-
rald Jäger getroffen, der damals den Schlagbaum
und das Tor geöffnet hat. Der war sehr befremdet
über die komödiantische Verfilmung der histori-
schen Vorgänge. In der Hegel-Auslegung von Karl
Marx, die er im „18. Brumaire“ geschrieben hat,
müsste man sagen, dass alle großen weltgeschicht-
lichen Tatsachen und Personen sich zweimal er-
eignen. Das eine Mal als Epos, im Film als Komödie.
Die Serie Weißenseebildet viele Facetten der
Repression und des Überwachungsstaates in
einer erfundenen Familiengeschichte ab. All diese
einzelnen Geschichten sind authentisch und so
oder ähnlich passiert und wirklich nachweisbar.
Diese Serie zeigt, wie skrupellos die rote Diktatur
war und dass der real existierende Sozialismus
auch an seinem Menschenbild gescheitert ist.
Wolfgang
Templin
Konrad
Weiß
Inesnes
Geipeleipel
Werner
Schulz
Gelungen, authentisch, daneben? Die ehemaligen Bürgerrechtler beurteilen erfolgreiche Filme
und Serien, die sich um die DDR drehen
Das Leben der Anderen: Es hat nie einen solchen
Stasi-Offizier gegeben, der sich schützend vor
die Opposition gestellt hat. Hätte Steven Spiel-
berg statt Schindlers Liste und der authenti-
schen Person einen SS-Mann erfunden, der Ju-
den aus dem KZ befreit hat, dann wäre ihm der
Film weltweit um die Ohren geflogen. Aber mit
der Stasi-Problematik kann man offenbar sehr
kreativ umgehen. Aber – und das ist mein Haupt-
argument: Es konnte einen solchen herzerwei-
chenden Typ gar nicht geben, weil das System
der totalitären Machtausübung auf Selektion
beruht und das nicht zulässt. Nur die treuesten,
zuverlässigsten, kaltblütigsten Typen schaffen es
da nach oben. Der Stasi-Offizier, der im Film
gezeigt wird, war so ein Nomenklatur-Führungs-
kader. Dozent an der Stasi-Hochschule in Golm,
Experte für Verhöre. Die hatten keine Zweifel
geschweige denn Skrupel. Im Film wird an zwei
Stellen sogar gezeigt, wie die Selektion funk-
tioniert hat und wie nur die Abgebrühten Karrie-
re machen konnten. Wer Fragen stellte oder
Witze machte, wurde ausgesondert. Ein solch
gestählter Typ wird nicht durch Liebe oder Musik
umgekrempelt. Hier besteht auch das Miss-
verständnis von Regisseur und Publikum. Wäh-
rend die Kinobesucher glauben, der Stasi-Offizier
habe sich in eine Dissidentin verliebt, wollte der
Drehbuchschreiber Donnersmarck die milde und
umstimmende Wirkung der Musik belegen.