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Karibik einmal erleben, Kolumbiens
Superlativ: die kleinste, wuseligste In
sel der Welt.
Maya begrüßt die Besucher mit den
Worten: "Willkommen auf der Insel mit
der größten Bevölkerungsdichte. Laut
dem letzten Zensus 1986 haben wir 486
Einwohner, aber es sind heute eher 700
bis 1200,je nach Saison. 65 Prozent da
von Kinder und Jugendliche."
Maya geht auf eine Universität in
Cartagena, absolviert ein Vorstudium
für Architektur. Sie ist nur noch drei
Mal im Jahr zu Hause, etwa für den Fe
rienjob als Guide. Derzeit kommen so
viele Besucher wie noch nie. Der Tou
rismus hat sich in den Friedenszeiten
der vergangenen Jahre verdreifacht.
Maya erklärt den Besuchern die Ge
schichte und liefert die Grunddaten: Is
lote hat zwei Kirchen, drei Läden, aber
vier große und viele kleine Häfen. 150
Kampfhähne leben hier, mehr als 200
Kinder. Es mag einer der entlegensten
funktioniert. Per Boot nach Tintipan,
600 Müllsäcke auf einmal, zweimal die
Woche, erklärt Maya.
Und mit dem Abwasser? Läuft direkt
ins Meer. Die Toiletten auflslote beste
hen aus nicht viel mehr als Löchern im
Steg, umgeben mit Bambusstangen als
Sichtschutz.
Mit der Nachbarschaft? Viel Tausch
wirtschaft. Der eine repariert das Dach,
der andere bezahlt mit einem Huhn.
Das trägt zum Frieden bei.
Die Kolumbianer hingegen wollen
vorzugsweise wissen, ob es hier wirklich
keine Polizei gibt (nein), keine Gewalt
(nein), keine Drogen (nur Marihuana),
keine Kriminalität (zuletzt ein paar Er
pressungen) - beinahe unvorstellbar im
Land der Paramilitärs, Drogenkartelle
und Guerilleros.
An diesem Tag hilft Adrian seiner
Schwester aus. Er übernimmt eine Son
derführung. Ein reicher Kolumbianer,
gekleidet nur in Badehose, legt an mit
Es ist ein Leben der Kontraste
eine We lt der Enge und
dahinter der endlo�p Harirzant
Orte der Karibik sein, aber er ist so leb
haft wie kaum ein anderer Fleck der
Erde. Aus jedem Haus dröhnt Musik,
aus jeder Gasse Lachen oder Schreien,
es ist ein Überschwang an Eindrücken,
Action, Sinnlichkeit -wie auf dem
Times Square in New York.
Mit jedem Meter stoßen die Besu
cher auf die Eigenheiten dieser Insel:
Die Kinder spielen Fußball in kleinen
Teams- drei gegen drei. Für mehr Spie
ler reicht der Platz nicht, aber dadurch
sind ihre Dribbelfähigkeiten auf engem
Raum besonders stark ausgeprägt.
Wenn Krankheiten kommen, werden
alle zusammen krank, erzählt die Kran
kenschwester. Wenn einer Ehebruch
begeht, wie zuletzt ein Fischer, weiß es
am nächsten Tag die ganze Insel.
Die Besucher aus Europa wollen vor
allem wissen, wie das mit alldem Müll
seiner Yacht, vier Kinder und eine Frau
mit üppigen Silikonbrüsten an Bord.
Ein Tattoo erstreckt sich über seinen
fleischigen Rücken: "Ich komme trotz
dem in den Himmel."
A
UCH OHNE viel Fantasie
ahnt man, womit der sein
Geld macht, sagtAdrian. Ge
rade deswegen aber will er
ihn für Spenden zur Erhal-
tung der Insel gewinnen. Er versucht,
dem Mann die Besonderheiten von Is
lote nahezubringen, etwas zum ökolo
gischen Gleichgewicht, aber der will
nur ein Foto mit dem zwei Meter lan
gen Hai im Wasserbecken machen, die
Flosse im Würgegriff seiner Arme. Der
Mann steht für alles, was Adrian an den
Fremden missfällt, die Arroganz der
Stadt, die Oberflächlichkeit, der Hoch-
mut, mit dem sie in diese kleine Welt
eindringen. Dennoch steigt Adrian ins
Becken und führt ihm den Hai zu, nicht
ohne einen letzten Spruch loszuwer
den: "Vorsicht, dieser Hai beißt keine
Schwarzen, aber dicke Weiße." Für ei
nen Moment vergeht dem Städter das
Grinsen.
Am späten Nachmittag ziehen die
letzten Besucher ihrer Wege, und der
Alltag kehrt zurück. Islote ist nun wie
der die Insel der Islotefios. Das Leben
GEO 09 2019