Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.09.2019

(Nandana) #1
E D I T O R I A L
Von Dirk Mewis

Seit 2017 ist umati – das universal machine
tool interface – ein Begriff in der Werkzeug-
maschinenindustrie. Mit der Entwicklung der
standardisierten Schnittstelle treibt die Werk-
zeugmaschinenindustrie die Vernetzung in
der Produktion voran und will eine Grundvo-
raussetzung für den Erfolg von Industrie 4.0.
schaffen.

Bisher fehlte es ja an einer einheitlichen und
durchgängigen Lösung. umati erlaubt den
Datenaustausch von Maschinen aller Fabrikate
mit übergeordneten IT-Systemen, um sie ana-
lysieren und auswerten zu können. Zur EMO
Hannover 2019 ist jetzt eine umfangreiche
Demoinstallation mit internationaler Beteili-
gung geplant. Rund 70 Werkzeugmaschinen-
hersteller aus aller Welt werden in Hannover
zeigen, welchen Nutzen die standardisierte
Schnittstelle bieten kann..

D


er Weitspringer Markus Rehm
und die Sprinterin und Weit-
springerin Vanessa Low haben
zwei Dinge gemeinsam: Sie
sind erfolgreiche Sportler – und
ihnen fehlt mindestens ein
Bein. Markus Rehm verlor als 14-Jähriger
bei einem Wakeboard-Unfall sein rechtes
Bein unterhalb des Knies – 2016 holte er
Para lympisches Gold in Rio de Janeiro im
Weitsprung und stellte mit 8,21 Metern ei-
nen neuen Paralymischen Rekord auf. Vanessa
Low wiederum verlor 2006 als Schülerin
durch einen Unfall an einem Bahnsteig beide
Beine – 2016 errang sie bei den paralympi-
schen Sommerspielen in Rio de Janeiro die
Goldmedaille in neuer Weltrekordweite von
4,93 Metern im Weitsprung, zudem sprintete
sie über 100 Meter in 15,17 Sekunden zur
Silbermedaille.
Möglich machen diese sportlichen Er-
folge spezielle Karbon-Prothesen, die soge-
nannten Blades, die im Fall von Rehm und
May die isländische Firma Össur hergestellt
hat, einer der weltweit größten und innova-
tivsten Hersteller von Prothesen. Spezial-
prothesen für Sportler sind dabei eher ein
Nischenprodukt – das Hauptaugenmerk des
Unternehmens gilt Amputationspatienten,
die sich einen möglichst unbeschwerten
Alltag wünschen. „Wir arbeiten konsequent
daran, Prothesenfüße so zu optimieren,
dass ihre Beweglichkeit und ihr Abrollver-
halten möglichst nah an echte Füße heran-
kommen“, erklärt Larus Gunnsteinsson, bei
Össur verantwortlich für den Bereich Global
Engineering. Die heutigen Produkte seien in
dieser Hinsicht schon sehr weit fortgeschrit-
ten. Dieser Fortschritt beruht auf einer enor-
men Präzision bei der Herstellung – und die
wiederum beruht auf Spezialmaschinen aus
deutscher Fertigung: Der Maschinenpark
besteht aus zwölf Maschinen des Werkzeug-
maschinenherstellers DMG Mori aus dem
schwäbischen Wernau. „Die Stabilität der
Maschinen spüren wir jeden Tag, weil wir
sie mit unseren Bauteilen extrem fordern“,
so Gunsteinsson. Dank der vibrationsarmen
Bearbeitung könne man die hochgenauen
Teile effi zient fertigen.

Viele Hidden Champions

DMG Mori ist das, was man gemeinhin als
Hidden Champion bezeichnet: Weltmarkt-
führer im Segment der Zerspanungstechnik,
milliardenschwer – und doch den meisten

Menschen unbekannt. Letzteres gilt ins-
gesamt für die Branche der Werkzeugma-
schinenhersteller hierzulande: Firmen wie
Liebherr, Grob, Heller oder Hermle sind in
ihrem jeweiligen Segment führend – und
doch den wenigsten Menschen ein Begriff.
Dabei ist es kein Zufall, dass all jene Unter-
nehmen in Deutschland ansässig sind. Denn
Werkzeugmaschinen gelten als Königs-
disziplin im Maschinenbau – sie sind groß,
ex trem präzise und für die industrielle Pro-
duktion unverzichtbar – und Deutschland
gilt schließlich als das Maschinenbau-Land
schlechthin.
Werkzeugmaschinen sind Maschinen zur
Fertigung von Werkstücken mit speziellen
Werkzeugen. Die Bewegung dieser Werk-
zeuge zueinander wird durch die Maschine
vorgegeben. Zu den wichtigsten Werkzeug-
maschinen zählen etwa Dreh- und Fräsma-
schinen, Erodiermaschinen sowie mechani-
sche Pressen und Maschinenhämmer zum
Schmieden. Weil die Maschinen vielfach
Werkstücke herstellen, die wiederum in
anderen Maschinen oder Anlagen verbaut
werden, muss ihre Fertigungsgenauigkeit
sehr hoch sein. Schon eine Abweichung im
Millimeterbereich kann Probleme berei-
ten. Die sogenannten CNC-Maschinen – die
Abkürzung steht für Computerized Nume-
rical Control – stellen die Werkstücke dank
ihrer Steuerung sogar automatisch her.
Werkzeugmaschinen sind aus modernen
Produktionsprozessen nicht mehr wegzu-
denken – und sie sind ein Kernelement von
vernetzten, vollautomatischen Industrie-4.0-
Anwendungen: Automatisierte Maschinen
seien eine entscheidende Komponenten,
einer digitalen Fabrik und somit fester
Bestandteil der Industrie 4.0, erklärt Kai
Lenfert, Geschäftsführer der DMG-Mori-
Tochterfi rma DMG Mori Heitec. „Grundsätz-
lich realisieren wir auf Basis eines Baukas-
tens modular aufgebaute Fertigungszellen
und -systeme, die eine individuelle Einrich-
tung und Anpassung zulassen.“ Dabei sei
das digitale Engineering mit der Abbildung
realer Anlagen und Maschinen durch einen
sogenannten digitalen Zwilling sowie die
analytische Vorhersehbarkeit von Ereignis-
sen ein wichtiger Baustein für die vernetzte
und intelligente Produktion.
Die Werkzeugmaschinenbranche ist ein
wichtiger Bestandteil der deutschen Indust-
rie: 2018 produzierten die Unternehmen mit
ihren rund 75 000 Beschäftigten Maschinen
und Dienstleistungen im Wert von 17,1 Milli-

arden Euro. Für das laufende Jahr erwartet
der Verein Deutscher Werkzeugmaschinen-
fabriken (VDW) eine Umsatzsteigerung um
ein Prozent auf 17,3 Milliarden Euro. „Nach
dem stürmischen Wachstum der vergange-
nen Jahre bietet die konjunkturelle Beruhi-
gung den Unternehmen nunmehr Chancen,
strategische Weichen für die kommenden
Monate zu stellen. Herausforderungen gibt
es genug“, sagt der VDW-Vorsitzende Heinz-
Jürgen Prokop. Die deutschen Hersteller
bauen dabei auf ihrer internationalen Füh-
rungsposition auf: Sie sind Weltmeister im
Export, Vizeweltmeister in der Produktion
und liegen bei Verbrauch und Import je-
weils auf Platz drei. Diese Position gelte es zu
halten und auszubauen, so Prokop.

Wichtigster Markt China

Der Export macht rund 70 Prozent des Werk-
zeugmaschinengeschäfts aus. Er ist 2018
um drei Prozent gestiegen. China bleibt
dabei mit großem Abstand der wichtigste
Markt für die deutschen Hersteller, das
Land nimmt 22 Prozent der deutschen Aus-
fuhren ab, gefolgt von den Vereinigten Staa-
ten mit einem Anteil von rund 13 Prozent.
Stark rückläufi g waren zuletzt aufgrund der
Unsicherheiten rund um den Brexit die Aus-
fuhren nach Großbritannien: Das Vereinigte
Königreich nimmt nur noch 2,5 Prozent der
deutschen Lieferungen ab, das Minus lag
2018 im Vorjahresvergleich bei 15 Prozent.
„Wir gehen jedoch davon aus, dass Groß-
britannien auch künftig deutsche Werkzeug-
maschinen kaufen muss, wenn die Industrie
wettbewerbsfähig bleiben will“, sagt Prokop.
„Deutschland ist der größte Lieferant, und es
sind nur noch wenige britische Hersteller am
Markt.“ Die hohe Exportabhängigkeit macht
die Werkzeugmaschinenindustrie allerdings
auch abhängig von der Weltkonjunktur –
und die konjunkturelle Abkühlung in der
Weltwirtschaft ist bereits auf die Branche
durchgeschlagen: Die Auftragseingänge, die
die Firmen verzeichnen, sind nämlich stark
rückläufi g, im ersten Quartal dieses Jahres
lag das Minus bei satten 21 Prozent. Poli-
tisch verursachte Störungen im Welthandel,
die auf die Schwellenländer durchschlagen,
die Wachstumsschwäche in China, den Ein-
bruch in der Halbleiterbranche sowie struk-
turelle Schwächen beim größten Abnehmer
von Werkzeugmaschinen, der Automobil-
industrie, hat der VDW als Ursache dafür
ausgemacht.

Groß, extrem

präzise – und

unverzichtbar

Werkzeugmaschinen sind die Königsdisziplin im

Maschinenbau. Die Branche beschäftigt hierzulande

75 000 Menschen, ist aber abhängig vom Export

und damit der Weltkonjunktur.

Von Harald Czycholl


  1. September 2019


Frankfurter Allgemeine Zeitung

Verlagsspezial

S P E K T A K U L Ä R E F O R T S C H R I T T E
Organe aus dem 3D-Drucker, individuelle Prothesen
oder OP-Instrumente-Produktion: Maschinen in der
Medizin sind besser als ihr Ruf. Seite V4

N E U E A N F O R D E R U N G N E N
Wo frü her große Teams Karosserieteile zusammen-
schweißten, ü berwachen heute nur noch wenige
Menschen die Arbeit von Robotern. Seite V3

R Ü C K L Ä U F I G E I N V E S T I T I O N E N
Wilfried Schäfer, Geschäftsführer des VDW, spricht über
Handelskonfl ikte, den drohenden No-Deal-Brexit und
Markt impulse der Weltleitmesse EMO Hannover. Seite V2

Zukunft der Werkzeugmaschinenindustrie

Trockenbearbeitung und Minimalmengenschmierung erobern immer mehr Anwendungsfelder: Bei der Bearbeitung mit MMS sind die anfallenden Späne nahezu rückstandsfrei und können direkt der Wiederverwendung zugeführt werden. FOTO DEUTSCHE MESSE AG

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