49
NZZamSonntag8. September 2019
MICHAEL SOH
N / AP
Technikvon morgen Dernier Cri
Dermenschliche Schrei
istvi el mehrals
nurlautesGebrüll 53
AnderFunkausstel lung
inBerlingeht esum
smarte Vernetzung 54
Möglicherweisewerden
20 50 hierzulandeüber
10 MillionenMenschen
leben.Das Bruttoinland-
produktkönnteum
50 Prozentzulegen.
Überladen
AutosmitElektromotorenwerdendasKlimaproblemalleinnichtlöse n.FürSchiffe,
LastwagenundFlugzeugebrauch teseineandereTechnik.Von Andreas Hirstein
D
er Verbrennungsmotor
steht auf der Streichliste
der Klimapolitik ganz
oben.Wenn dieSchweiz ab
2050 keine Treibhausgase
mehr ausstossen soll – ein
Ziel, das der Bundesrat erst
EndeAugustformuliert hat –, dann müssen
alle fossil angetriebenenFahrzeugever-
schwinden.
Für dieSchweiz ist derVerzicht auf
Benzin und Diesel sogarvon besonders
grosserBedeutung,weil derVerkehr hier-
zulande der grössteVerursachervon Treib-
hausgasen ist. «AufAutos, Lastwagen und
Flugzeuge entfallenfast 40Prozent aller
Emissionen», sagtKonstantinosBoulou-
chos,Professor an der ETH Zürich und
Leiter desvom BundgefördertenKompe-
tenzzentrums «SCCERMobility». Die Elek-
trizitätswirtschaft produziert dagegen dank
Wasser- undKernenergie den Strom
nahezu CO2-frei. In der EU mit ihrenKohle-
und Gaskraftwerken sieht das anders aus.
Dort trägt derVerkehr nur 25Prozent zur
Gesamtmenge der Treibhausgase bei.
Der Verzicht auffossile Energie, die
sogenannte Dekarbonisierung, ist eine
gigantischeHerausforderung. Mit dem
Kauf eines Elektroautos ist dasProblem
jedenfalls nichtgelöst – schon gar nicht mit
den 2,5Tonnen schweren Kolossen,wie sie
von denPremiumherstellern angeboten
werden. Sie lösenkein Problem, sondern
verschärfen es eher noch,weil der Energie-
hunger dieserFahrzeuge gross ist und die
Batterien für mehrere hundert Kilometer
Reichweit e entsprechend schwer.
Steigenwird der Energiebedarf für die
Mobilität ohnehin,weil derVerkehr lautPro-
gnosen zunehmenwird: derPersonenver-
kehr bis 2040 um 15Prozent, der Güterver-
kehr um 25 bis 30Prozent. Und auchLetzte-
rer muss bis Mitte desJahrhunderts CO2-frei
werden, wenn die Klimaziele mehr sein
sollen alswohlfeile Absichtserklärungen.
Luftfahrt boomt
Und bei alldem habenwir von zweiVerkehrs-
mitteln noch gar nichtgesprochen:vom
Flugzeug undvon Schiffen mit ihren grossen
Dieselmaschinen.Zwar macht die Luftfahrt
weltweit derzeit nurrund 3Prozent der
Treibhausgasemissionen aus.Der Ausstoss
wächst aber jedesJahr um 3 bis 4Prozent. Im
Jahr 2050werden die Emissionen des
Schweizer Luftverkehrs daher ungefähr so
hoch seinwie die der heutigenPersonen-
wagen. «Das bedeutet:Falls esgelingt,
Benzin- und Dieselautos bis 2050vollständig
durch batteriebetriebene Elektrofahrzeuge
zu ersetzen,würde der Flugverkehr diesen
Fortschritt praktischwieder zunichte-
machen», sagt Stefan Hirschbergvom Paul-
Scherrer-Institut inVilligen. Elektrisch
betriebene Grossraumflugzeugewird es
jedenfalls nichtgeben,weil die Energie-
dichte der Batterien zu niedrig ist. Sie sind zu
schwer und zu gross.
Doch wie sieht es auf den Strassen aus?
Lassen sichwenigstens diePersonenwagen
mit Verbrennungsmotoren klimafreundlich
Wir wissen zumBeispiel nicht,wie schnell
die Bevölkerung und das Bruttoinlandpro-
dukt wachsen.Möglicherweise werden
hierzulande mehr als 10 MillionenMen-
schen leben. Das Bruttoinlandprodukt
könnte sogar um 50Prozent zulegen.
Beide Trends dürften den Energiehunger
vergrössern.Wie stark,wird auch von mög-
lichen Effizienzgewinnen abhängen. Um
wenigstens eine ungefähreVorstellungvon
den Grössenordnungen zu bekommen,
müssenwir uns – das muss jetzt leider sein
- ein paarZahlen anschauen.
Das Potenzialder Photovoltaik
Nehmenwir an, derVerkehrwürde vollstän-
dig auf batterieelektrische Antriebe umge-
stellt, selbst dort,wo es technisch nicht
möglich seinwird, wie im Flugverkehr und
bei den grossen Nutzfahrzeugen.Auch die
Zunahme der immatrikulierten Fahrzeuge
und der zurückgelegtenFahrstrecken sowie
den exponentiell wachsenden Flugverkehr
vernachlässigenwir. Unter diesenBedingun-
gen schätztKonstantinosBoulouchos den
Bedarf an erneuerbarem Stromwie folgt:
- Für den Ersatz allerBenzin- und Diesel-
autos durchBatterieautoswerden 14 TWh
(Terawattstunden) Strom benötigt, - für Nutzfahrzeuge 5 TWh,
- für Flugzeuge 8 TWh,
- für Wärmepumpen 10 TWh,
- für Industriewärme 15 bis 20 TWh,
- für den Ersatz der AKW 25 TWh.
FortsetzungSeite50
ILLUSTRATION: RET
O CRAMERI
Spezial
Mobilität
ersetzen? Immerhin gibt es mit dem batterie-
betriebenen Elektroauto eine ausgereifte
Fahrzeugtechnik, die man heute schon
kaufen kann.Der hoheWirkungsgrad des
Elektromotors und die niedrigenVerluste
beimLaden und Entladen derBatterien
lassen es als die heute besteTechnik erschei-
nen, um klimafreundlich mobil zu sein.
Doch bevor jetzt alle die S-Bahn zum
freundlichenPorsche-Händler nehmen, um
den elektrischenPorscheTaycan mit761 PS
zum Grundpreisvon rund 240000Franken
zu bestellen, sollte man sich überlegen, was
die vollständige Elektrifizierung derPerso-
nenautos eigentlich für die Stromerzeugung
bedeutet.Denn nicht nur diePersonenwagen
müssen klimaneutralwerden, sondern auch
die Nutzfahrzeuge, der Flugverkehr und alle
anderenSektoren derWirtschaft,wie zum
Beispiel dieWärmeerzeugung fürGebäude
sowie alle Industrieprozesse. Und zu alledem
soll gleichzeitig auch noch derAusstieg aus
der Kernenergievollzogenwerden.
Wie gross der aus dieserPolitik resultie-
rende Bedarf an erneuerbarem Strom imJahr
2050 seinwird, lässt sich nichtgenau sagen.