ILUSKA GRASS
Sie beschützte
einen ortho
doxen Juden
vor Neonazis
An einem Samstagabend
steigt Iluska Grass am Zürcher
Manesse platz aus dem Bus. Sie
hört Schreie, rennt los und stellt
sich zwischen angetrunkene
Rechtsradikale und einen am
Boden liegenden orthodoxen
Juden. «Ich versuchte, den
Anführer der Neonazis in ein
Gespräch zu verwickeln, damit
er vom Opfer ablässt», erzählt
die Studentin. «Seinen Mund
geruch spüre ich immer noch,
so nah war er mir.»
Die Skins hatten den Mann
verfolgt, bespuckt und mit Nazi
parolen verhöhnt. «Ich habe
nicht gross überlegt, sondern
einfach gehandelt», sagt Iluska
Grass. So hat sie Schlimmeres
verhindert. Das Opfer bezeich
net sie als «meinen Engel». Die
Attacke geschah vor vier Jahren
- der Mann ist bis heute trauma
tisiert und traut sich nicht mehr
allein aus dem Haus.
Der Haupttäter war ein mehrfach
vorbestrafter Neonazi. Aufgrund
von Iluska Grass’ Aussagen
wurde er wegen Rassendiskrimi
nierung und Tätlichkeiten zu
einer zweijährigen Gefängnis
strafe verurteilt. Alle anderen
Zeugen hatten sich zurück
gezogen, die heute 28Jährige
erschien als Einzige vor Gericht.
«Da war mir schon etwas
mulmig: vor mir die Richterin,
ich auf dem Stuhl, hinter mir
die Rechtsradikalen.»
Der Haupttäter ficht das Urteil
an. Ende Februar 2019, fast vier
Jahre nach der Tat, spricht ihn
auch das Zürcher Ober gericht
schuldig. Seine Haftstrafe wird
auf zwölf Monate reduziert, er
muss dem Opfer 3000 Franken
Genugtuung zahlen. «Ein viel zu
mildes Urteil», findet Iluska Grass.
«Antisemitismus und Rassismus
sind nicht tolerierbar.»
BIRTHE HOMANN
MARKUS RAMSER
Er bildet auf
seinem Hof
Flüchtlinge
aus Eritrea aus
Integration kann nur gelingen,
wenn man sie lebt – davon ist
Markus Ramser überzeugt.
«Die meisten Flüchtlinge wollen
arbeiten», sagt er. «Und wir
sollten ihnen dabei helfen.»
Darum beschäftigt der Thur
gauer Biobauer seit mehr als
anderthalb Jahren vorläufig
aufgenommene eritreische
Flüchtlinge. Möglich macht das
ein dreijähriges Projekt des
Bauernverbands und des Staats
sekretariats für Migration.
In seinem ländlichen, konserva
tiv geprägten Umfeld machte
sich Ramser, 68, damit nicht nur
Freunde. «Anfangs erhielten wir
anonyme Briefe mit unschönen
Inhalten. Etwa dass uns die
Asylanten im Schlaf umbringen
würden.» Auch seine Kinder seien
anfangs gar nicht begeistert
gewesen von der Idee.
Ramsers erster Schützling war
Tesfu Adhanom. Es gab Sprach
probleme, und der Nachzug von
Adhanoms Frau Merhawit mach
te die kulturellen Unterschiede
noch deutlicher. Doch das konn
te Ramser nicht zum Aufgeben
bewegen. Selbst als Rava Sium,
die er später ebenfalls beschäf
tigte, unerwartet schwanger
wurde, suchte er nach Lösungen
und kämpfte für sie mit der
Ge meinde Müllheim. Er stellte
auch noch den 38jährigen Robi
Haddish ein, dessen Asylgesuch
kurz darauf abgelehnt wurde.
Trotz allen Widrigkeiten haben
Markus Ramser und seine Frau
durchgehalten. Es hat sich
gelohnt. Tesfu Adhanom hat
mittlerweile die zweijährige
Attestlehre an der Landwirt
schaftsschule Arenenberg abge
schlossen und arbeitet weiterhin
bei «Papa» und «Mama», wie er
Ramsers mit grosser Ehrerbie
tung und Dankbarkeit nennt.
ANDREA HAEFELY
Beobachter 19/2019 23