Beobachter - 13.09.2019

(nextflipdebug5) #1
FOTO: GETTYIMAGES, PETER MACDIARMID / LAIF

C

ésar Hidalgo glaubt nicht
mehr an die Demokratie,
wie wir sie kennen. «Sie hat
eine schlechte Benutzer­
oberfläche.» Der chileni­
sche Forscher möchte Politiker am
liebsten durch selbstlernende Compu­
terprogramme ersetzen, die alles unter
sich ausmachen.
Hidalgo, ein überzeugter Demokrat,
predigt die sanfte Diktatur der Ma­
schinen. Sein Rezept: Bots. Das sind
Computerprogramme, die Aufgaben
automatisch und selbständig ausfüh­
ren und miteinander kommunizieren
können. In Hidalgos Welt ersetzen die
Bots die Wählenden – und mit ihnen
auch gleich die Volksvertreter.

Das geht so: Jeder Bürger erhält
einen Bot, füttert ihn mit seinen politi­
schen Einstellungen und Werten – so,
wie wir das vom Smartvote­Spider ken­
nen. Die Bots können aber nicht nur Ja­
Nein­ Entscheide fällen, sondern innert
kürzester Zeit unter sich unzählige Lö­
sungen durchspielen, Vorlagen anpas­
sen und den bestmöglichen Kompro­
miss unter der grösstmöglichen Zahl
von Stimmbürgern finden. Bei Bedarf
kann man das System nachjustieren
und die Bots manuell steuern. Hidalgo
meint, dass so direkte Demokratie sehr
viel effizienter funktioniere und dank
künstlicher Intelligenz zu legitimeren
Resultaten führen werde. Klingt ver­
lockend. Aber ist das auch realistisch? 

Hidalgo ist kein Fantast, er forscht
über komplizierteste technische Sys­
teme, deren Komponenten miteinander
kommunizieren können. Systeme, wie
man sie in der Wirtschaft findet oder
eben in der Politik. Seine Bot­Demo­
kratie will er in Schulen und Vereinen
ausprobieren und allfällige Kinder­
krankheiten ausmerzen. Das brauche
Zeit. Aber in der nächsten Gene ration
könnten persönliche Polit­Bots den
demokratischen Prozess bestimmen,
meint der Chilene.
Ein Zeithorizont, der wohl etwas
optimistisch ist, denkt man an das
Debakel bei der geplanten Einführung
von E­Voting. Es zeigt, wie heikel es ist,
ein persönliches und hohes Gut wie das

POLITIK. Unzufriedenheit grassiert in westlichen Demokratien. Protestwahlen sind zur Regel geworden. Es ist Zeit, über unkonventionelle Ideen nachzudenken. TEXT: BALZ RUCHTI


USA: Proteste
gegen Präsident
Donald Trump,
Michigan

Ist die


30 Beobachter 19/2019
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