Der Stern - 29.08.2019

(Tina Meador) #1
FOTO: BERND MÄRZ/DPA

Niederschläge werden Ernteausfälle häufi-


ger. Versalzt das Grundwasser in Küstenre-


gionen durch den ansteigenden Meeresspie-


gel, wird der Boden für die Landwirtschaft


zunehmend unbrauchbar. Hinzu kommt,


dass CO 2 auch ohne die klimabedingte Er-


wärmung den Nährstoffgehalt von Pflan-


zen wie Weizen, Reis oder Soja senkt.


Es gibt einen direkten Einfluss auf den


Nährstoffgehalt etwa von Weizen oder


Reis?


Ja, das ist eine Tatsache, die mir selbst erst


seit ein paar Jahren bekannt ist. Forscher


säten typische Nutzpflanzen in Feldern


aus, in denen sie vorher Schläuche verlegt


hatten. Anschließend drehten sie den


Hahn auf und leiteten CO 2 in die Felder ein.


So setzten sie die Pflanzen unterschiedli-


chen Klimaszenarien mit definierten CO 2 -


Konzentrationen aus. Und siehe da, bei


steigendem Kohlendioxidgehalt in der


Umgebungsluft bauen etwa Reis- und


Weizenpflanzen weniger sogenannte


Mikronährstoffe wie Eisen und Zink ein.


Besonders für Menschen im ländlichen


Afrika und Asien, die hauptsächlich von


dem leben, was sie selbst anbauen, kann


das dramatisch sein


Wie wichtig sind solche Spurenelemen-


te wie beispielsweise Zink und Eisen


für die Gesundheit?


Für die körperliche Entwicklung, die


Abwehr von Infektionen, aber auch für die


intellektuelle Entfaltung sind sie enorm


wichtig. Unterernährung führt letztlich


nicht nur zu gesundheitlichen Problemen,


sondern auch zu schlechteren Schulleis-


tungen und geringeren Erfolgen am


Arbeitsmarkt. So bahnt sich ein Misserfolg,


der über Generationen gehen kann. Das


sollten wir unbedingt vermeiden.


Warum hört man dann darüber wenig?
Das ist mir auch ein Rätsel. Zum einen
waren wir Wissenschaftler nicht gut darin,
dieses Thema in die Öffentlichkeit hinein-
zutragen, zum anderen sind die Medien
vor allem auf Gletscher und Eisbären
angesprungen.
Sie selbst haben sich auch erst relativ
spät dem Klima zugewandt. Ursprüng-

lich waren Sie Pädiater. Woher kam das
Interesse für den Klimawandel?
Vor meiner Ausbildung zum Kinderarzt
habe ich drei Jahre als Kreisarzt im länd-
lichen Westafrika gearbeitet. Dort sah ich,
dass die meisten Menschen das essen, was
sie ernten, und daher extrem verwundbar
für Missernten sind. Einige Jahre später
bin ich dann unverhofft in einen Beirat
der Bundesregierung berufen worden.
Hier war ich der einzige Gesundheitsver-
treter in einem extrem erlauchten Kreis
von Klimawissenschaftlern, Ökonomen,
Juristen und Friedensforschern. Dort hat
man mich immer wieder gefragt: Du bist
doch der Mediziner, welchen Einfluss
hat denn nun der Klimawandel auf die
Gesundheit?
Was haben Sie geantwortet?
Nicht viel. Es gab damals nur wenig
belastbare Daten. Deswegen habe ich mir

gesagt: Da bring ich mich jetzt ein. Du
sattelst um auf Klimawandel und Ge-
sundheit, machst Forschung auf diesem
Gebiet und weckst das Interesse junger
Wissenschaftler.
Sie waren zu dieser Zeit Professor für
Public Health, für öffentliches Gesund-
heitswesen. Wie haben Ihre Fachkollegen
auf diesen Sinneswandel reagiert?
Die dachten, ich spinne und dass das ein
merkwürdiges Hobby von mir sei. Ich habe
sie gefragt, seht ihr das Problem denn
nicht? Aber vor 20 Jahren gab es unter
Medizinern wirklich noch kaum Bewusst-
sein für diese Thematik. Das ist heute zum
Glück anders.
Sie vergleichen den Klimawandel mit
dem Rauchen. Wo sehen Sie Parallelen?
Da gibt es einige. Beides schadet der
Gesundheit. Dazu kommt die zeitliche
Lücke zwischen der wissenschaftlichen
Erkenntnis der Schädlichkeit und dem
Zeitpunkt, ab dem die Politik reagiert.
Beim Rauchen dauerte es etwa 50 Jahre,
bis weltweit wirksame Anti-Tabak-Geset-
ze eingeführt wurden. In dieser Zeit sind
schätzungsweise 100 Millionen Men-
schen an Lungenkrebs und Herzinfarkt
als Folge des Rauchens gestorben. Beim
Klimawandel dürfen wir auf keinen Fall
so viel Zeit verstreichen lassen. Wie bei der
Zigarettenindustrie gibt es jedoch auch
beim Thema Klimawandel eine massive
Lobby, die versucht, die Politik zu brem-
sen. Aber es gibt auch Unterschiede.
Welche?
Wer mit dem Rauchen aufhört, beginnt sich
vom ersten Tag an von dem schädlichen
Einfluss zu erholen. Ein Molekül CO 2 aber,
das heute in die Atmosphäre gepustet wird,
bleibt dort für Hunderte Jahre. Selbst wenn
jemand heute mit einem Zauberstab alle
weiteren menschengemachten Emissionen
auf null setzte, die Erde würde sich trotz-
dem um etwa ein Grad erwärmen und noch
sehr, sehr lange so warm bleiben. Doch für
die Gesundheit ist es ein himmelweiter
Unterschied, ob sich die Erde um 1,5 Grad
oder um vier Grad erwärmt, wie es ohne
wirksame Klimapolitik geschehen wird.
Manche Menschen wird es härter treffen
als andere, wenn wir zu wenig tun.
Das ist eine himmelschreiende Ungerech-
tigkeit. 90 Prozent der Gesundheitsschä-
den werden die zu tragen haben, die am
wenigsten dazu beigetragen haben – und
kaum Möglichkeiten haben, sich zu schüt-
zen. Menschen in Afrika und Asien, aber
auch unsere Kinder und Enkel, die das Gros
der Klimafolgen erleiden müssen. Ich kann
gut verstehen, dass die jüngere Generation
jetzt protestiert.

„ Es macht mehr


Spaß, in grünen


Städten zu wohnen“


Bedrohlich: Klimagase haben einen direkten Einfluss auf den Nährstoffgehalt von Pflanzen


100 29.8.2019

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