dung vieler Genossen eine wichtige Rolle
spielen. Doch angesichts der Unübersicht-
lichkeit im linken Lager herrscht unter den
GroKo-Anhängern in der SPD mittlerwei-
le eine gewisse Gelassenheit.
Noch 2017 hatte es in der SPD etwas
Rebellisches, gegen die Große Koalition
zu sein. Damit ist es vorbei. Weil die Ge-
nossen seit bald zwei Jahren öffentlich
mit diesem Bündnis hadern, ist es längst
kein Alleinstellungsmerkmal mehr, gegen
Schwarz-Rot zu sein. Stattdessen müssen
sich Kandidaten wie Lauterbach sogar
gegen den Vorwurf wehren, nur aus takti-
schen Gründen auf Opposition zu setzen.
Und könnte jemand wie Olaf Scholz am
Ende womöglich sogar Sympathien damit
gewinnen, dass er für die Große Koalition
einsteht, also eine unbequeme Haltung
gegen Widerstand verteidigt?
Die Zuversicht in der
Regierungs-SPD hat auch
mit dem schwachen Zu-
stand der Sozialdemokra-
tie in Nordrhein-Westfalen
zu tun. Der einst mächtigs-
te Landesverband der SPD
ist eigentlich eine Hoch-
burg der NoGroKo-Frak -
tion, aber seit etwa zwei
Jahren tief gespalten. Es
gibt kein Kraftzentrum,
Landeschef Sebastian Hart-
mann gilt als Leichtgewicht.
Und weil mit dem Rhein-
länder Lauterbach und der
Westfälin Kampmann allenfalls ein Teil
der Genossen an Rhein und Ruhr etwas
anfangen kann, meldete sich kurz vor
Schluss noch Norbert Walter-Borjans. Der
ehemalige NRW-Finanzminister möchte
mit der Bundestagsabgeordneten Saskia
Esken kandidieren. Walter-Borjans ist we-
gen seines Kampfes gegen Steuerflüchtlin-
ge populär in der Partei, eine Art sozial-
demokratischer Held. Doch wie viel Rück-
halt er bei seinen Genossen in NRW hat,
ist unklar.
All dies dürfte die Chancen des bislang
prominentesten Bewerbers um den Partei-
vorsitz erhöhen: Vizekanzler Olaf Scholz.
Dessen Entschluss zu kandidieren hat auch
die Stimmung beim Koalitionspartner auf-
gehellt – in der Union blickt man seither
etwas optimistischer in die Zukunft.
Die Kandidatur des Finanzministers sei
ein »gutes Signal«, sagte CSU-Chef Mar-
kus Söder. Sein Parteifreund Alexander
Dobrindt sprach von einem »gelungenen
Schachzug« des Finanzministers. Das
kann ein vergiftetes Lob sein – schließlich
weiß man auch in der Union, dass Scholz’
Chancen nicht unbedingt steigen, wenn er
als Wunschkandidat der Gegenseite er-
scheint. Doch tatsächlich spricht einiges
dafür, dass CDU und CSU wirklich auf
Scholz’ Erfolg hoffen: Sie haben derzeit
kein Interesse an einem Bruch der Koali -
tion. Die Kanzlerin will ihre Ära geordnet
zu Ende bringen, die angeschlagene CDU-
Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer
braucht Zeit, um sich zu stabilisieren.
Alle Partner wissen: Wollen sie die Koa -
lition fortsetzen, brauchen sie inhaltliche
Gründe – neue Projekte und Erfolge. Da-
ran wird nun intensiv ge -
arbeitet. Krawall, so die Er-
kenntnis, hilft niemandem.
Selbst bei der Grund -
rente könnte die SPD der
Union ein Stückchen ent-
gegenkommen, die Ex -
perten im SPD-geführten
Sozialministerium und im
Kanzleramt suchen nach
Kompromisslinien. »Es ist
jetzt notwendig, dass wir
zu einer gemeinsamen Lö-
sung kommen, und dafür
müssen sich alle Koalitions-
partner bewegen«, mahnt
Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil.
»Am Ende aber muss eine Grundrente ste-
hen, die den Namen auch verdient.«
Wenige Themen hatten zwischen den
Koalitionspartnern zuletzt derart viel Un-
mut erzeugt. Die SPD will kleine Renten
für Versicherte mit mindestens 35 Beitrags-
jahren aufstocken und damit ihr linkes Pro-
fil schärfen. Minister Heil geht davon aus,
dass von seinem Vorschlag etwa 2,9 Mil-
lionen Menschen profitieren könnten, da-
runter rund 750 000 in den neuen Bundes-
ländern. »Es geht dabei zu 85 Prozent um
Frauen, die ihr Leben lang hart, aber oft
schlecht bezahlt gearbeitet haben.«
Die Union stört sich daran, dass Heil in
seinem Eifer Absprachen sprengte. Dabei
geht es um die Frage, ob Senioren nach-
weisen müssen, dass sie bedürftig sind, um
die Grundrente zu erhalten. In Heils Ge-
setzentwurf fehlt die Prüfung. Die Union
hatte sie vehement eingefordert – mit der
These, man wolle nicht die Renten gut si-
tuierter Zahnarztgattinnen aufstocken.
Gesucht wird nun eine für beide Seiten
gesichtswahrende Lösung. Denkbar ist,
dass die Parteien sich darauf verständigen,
Vermögen wie Wohnhäuser oder Spar -
bücher nicht zu prüfen, wohl aber das Ein-
kommen der Senioren und ihrer Ehepart-
ner. Noch in der ersten Septemberhälfte
soll ein Papier vorliegen, über das dann
eine Arbeitsgruppe beraten soll. Eine Eini -
gung gilt nicht mehr als ausgeschlossen.
Es gibt aber noch ein weiteres aktuelles
Thema, das der Koalition gefährlich wer-
den könnte. Es geht um den Klimaschutz.
Am 20. September ist die entscheidende
Sitzung des Klimakabinetts, das Angela
Merkel einberufen hat, um die Jahrhun-
dertherausforderung anzugehen. Es muss
ein großer Wurf werden. Doch bei der Vor-
bereitung haben sich SPD und Union ver-
hakt, Streit gibt es vor allem zwischen Ver-
kehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD).
Angela Merkel scheint erkannt zu ha-
ben, wie gefährlich der Streit für die Koa -
lition werden kann – und wie sensibel die
Lage bei der SPD gerade ist. Das zeigte
sich bei der Sitzung des Klimakabinetts
vor der Sommerpause.
Kaum hatte Ministerin Schulze ihren
Bericht begonnen, so erzählt man es sich
in Regierungskreisen, da fiel ihr der Kolle-
ge Scheuer heftig ins Wort. Doch statt ihn
gewähren zu lassen, ergriff Merkel Partei:
für Schulze. Vor versammelter Mannschaft
bremste sie den aufbrausenden Bayern.
Dem gefiel das zwar gar nicht – aber auch
ihm dürfte klar geworden sein: Die Kanz-
lerin hat ein Interesse daran, dass hier et-
was gelingt. Und die Koalition noch eine
Weile hält.
Christoph Hickmann, Veit Medick,
Cornelia Schmergal, Christian Teevs,
Gerald Traufetter
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Videoanalyse
Langer Marsch
spiegel.de/sp362019spd
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DANIEL HOFER / DER SPIEGEL
Juso-Chef Kühnert
»Keine leichte Entscheidung«
Der Weg ins Willy-Brandt-Haus Fahrplan zur neuen SPD-Spitze
- September
Ende der Bewerbungsfrist,
die Kandidaten sollen sich
anschließend der Basis
vorstellen. Das soll auf
insgesamt 23 Regional-
konferenzen im ganzen
Bundesgebiet geschehen.
- November
Das Ergebnis der
möglichen Stichwahl,
die vom 19. bis zum - November statt-
fände, wird verkündet.
Ab 14. Oktober
In einem Basisentscheid
sollen alle, die bis zum
- September in die SPD
eingetreten sind, über die
neue Spitze abstimmen.
Rund 435 000 Mitglieder
sind stimmberechtigt.
26. Oktober
Das Ergebnis der Mitglie-
derbefragung wird vorge-
stellt. Sollten keine Bewer-
ber über 50 Prozent der
Stimmen erhalten, kommt
es zur Stichwahl zwischen
den beiden Erstplatzierten.
6. bis 8. Dezember
In Berlin tritt der
Bundesparteitag der SPD
zusammen, um den oder
die Gewinner des Mitglie-
derentscheids formell an
die SPD-Spitze zu wählen.