Mittwoch, 21. August 2019 ZÜRICH UND REGION 17
Die Papierfabrik in Horgen leitete Abwasser in den See –
für die San ierung muss die Nachfolgefirma zahlenSEITE 18
Startup-Unternehmen versuchen die eigene Firma
zu zerstören, um Schwach stellen zu erkennenSEITE 19
«Wir müssen mehr Solaranlagen installieren»
Der neue Baudirektor Martin Neukom erläutert gut 100 Tage nach Amtsübernahme, wie er im Kanton Zürich grüne Akzente setzen will
Herr Neukom, Sie schafften im März
überraschend als Grüner dieWahl in
den mehrheitlich bürgerlichenRegie-
rungsrat.Wie hat er Sie aufgenommen?
Sehr gut. Es herrscht in derRegierung
eine gute Stimmung, eine konstruktive
Atmosphäre, und wir diskutieren viel.
Das sagt mir zu.
Und Ihre neuen Mitarbeiterin derBau-
direktion? Sie sindwohl oft derJüngste
in der Runde.
Das ist so, vor allem in der Geschäfts-
leitungssitzung. Etwa die Hälfte der
Amtschefs kannte ich bereits vorher,aus
meinerArbeit als Kantonsrat. DieBau-
direktion ist organisatorisch in einem
gutenZustand.EsistvielFachwissenvor-
handen,unddieGesprächskulturistposi-
tiv. Es ist mir wichtig, dass man einander
auch dreinredet und die Interessenkon-
flikte,dieinnerhalbderBaudirektionan-
gelegt sind, austrägt und diskutiert.
Sie haben imWahlkampf gesagt, im Ge-
bäudebereich liege der stärkste Hebel,
um etwas gegen die Klimaerwärmung
zu machen.Wie gehen Sie vor?
Wichtig sind die sogenannten «Muken»,
die Mustervorschriften der Kantone im
Energiebereich.Das liegt auf meinem
Pult. In den Kantonen Bern und Solo-
thurn sind dieseVorlagen in derVolks-
abstimmung gescheitert.Das ist be-
dauerlich. Ich will nun austarieren, wie
wir die Ziele erreichenkönnen mit einer
Vorlage, der eine Mehrheit zustimmt.
Ich hoffe, dass ich sie noch in diesem
Jahr derRegierung vorlegen kann.
Dazu braucht es eine Änderung des
Energiegesetzes. Der Entwurf IhresVor-
gängers Markus Kägi wurde in derVer-
nehmlassung vonrot-grüner Seite als
ungenügend kritisiert. Gleisen Sie das
Geschäft neu auf?
Es gibtkeine völlig neueVorlage.Aber
die Antwortenaus derVernehmlassung
werden nun etwas anders interpretiert,
und dieVorlage wird eine andere Rich-
tung erhalten, doch nicht um180 Grad.
In Ihrem Klimaplan für denWahlkampf
habenSie dieForderung aufgestellt, ab
2030 sollten keine neuen Ölheizungen
mehr eingebautwerden können. Ist das
im Energiegesetz vorgesehen?
Für Neubauten spielt das keine so
grosseRolle, da gibt es fastkeine Öl-
heizungen mehr. Für Umbauten müssen
wir das genauer anschauen. Es spielt ja
auch eineRolle, was sich auf nationaler
Ebene beim CO 2 -Gesetz tut. Ob das ab
2031 zeitlich möglich ist, weiss ich noch
nicht. EinVerbot für Ölheizungen bei
Umbauten kann auch die Sanierung an
sich verzögern.Wir wollen eine hohe
Rate bei Gebäudesanierungen, aber sie
sollen gut vorgenommen werden.Ich
sehe hier ein grossesPotenzial für Ener-
gie-Contracting. Dabei übernimmt ein
Externer die Investitionen und verkauft
einem dann die Energie. Häufig halten
die hohen Investitionskosten Haus-
besitzer von einer Sanierung ab, auch
wenn nachher die Betriebskosten tiefer
sind.Das kann man mit einemContrac-
ting abfedern.
Die Erneuerungsquote liegt im Kanton
Zürich bei einem Prozent.Wiewollen
Sie diese erhöhen?
Das ist eine sehr grosse Herausforde-
rung.Wir werden es in derVerwaltung
zum Energiegesetz noch intensiv dis-
kutieren. Man muss sich auch überle-
gen: Was macht man mit jenen, die sich
eine Sanierung nicht leistenkönnen?
Es braucht eineRegelung, die Flexibili-
tät bietet. Und ich will eineVorlage zur
Subventionierung von energetischen
Gebäudesanierungen bringen, die man
vor zweiJahren gestrichen hat.
Wosteht Zürich Ihrer Meinung nach in
der Energiewende?
In der Energiepolitik haben wir das
Problem, dass der Markt zu wenigAn-
reize bietet,um in die Erzeugung von er-
neuerbarem Strom zu investieren.Wir
haben überWärmepumpen und Elek-
tromobilität zwar eine steigende Nach-
frage. Gleichzeitig wird dieKernkraft
schrittweise zurückgefahren.Das ergibt
eineLücke.Dies emüssenwirprimärmit
Solarenergie füllen.Windenergie wäre
zwar gut, aber derWiderstand ist gross.
Wie schaffen wir genugInv estitions-
anreize?Da sind wir nicht aufKurs. Nö-
tig sind Massnahmen des Bundes, wenn
er es nicht macht, müssen wir in Zürich
schauen, dass mehr Solaranlagen instal-
liertwerden.SonstlaufenwirineineAb-
hängigkeit und einenVersorgungseng-
pass. Der Widerspruch ist: Einerseits
wollen wir günstigen Strom, anderseits
wollen wir ihn nicht importieren.
Was ziehen Sie konkret für Schlüsse aus
der Ablehnung der «Muken» in anderen
Kantonen?
Es ist einekommunikative Herausfor-
derung. In Luzern wurde dieVorlage of-
fenbarangenommen, weil noch ein An-
teil Biogas möglich blieb. Das ist allen-
falls eine Möglichkeit, um einen gewis-
sen Ausgleichzuschaffen. Aber ich bin
mir nicht sicher, was denAusschlag gab.
Mein Ziel ist es, eine politisch breite
Unterstützung zuerhalten. Erreicht man
das, sind auch die Chancen in derVolks-
abstimmung besser. Dafür suche ich das
Gespräch mit allen.
Sie brauchen auf drei Ebenen eine
Mehrheit: in derRegierung,im Par-
lament und vermutlich imVolk. Die
zweite Überraschung im Märzwar die
neue Mehrheit im Kantonsrat, gerade in
Energie- und Umweltthemen. Ist das für
Sievorteilhaft oder auch ein Risiko?
Das Gute in unserem politischenSystem
ist, dass sehr vielemitreden können.Das
Risiko würde darin bestehen, dass das
Parlament Maximalforderungen umset-
zen will. Ich bin im Gespräch mit den
Fraktionen.Auch denParteien, die in
diesenFragen nun die Mehrheit stellen,
ist bewusst, dass eineVorlage am Ende
in derVolksabstimmung bestehen muss.
Sie betonen dieVorbildfunktion des
Kantons.Was heisst das bei diesem
Thema?
Vor ein paarJahren war man noch ein
Vorbild , wenn man Solarzellen aufs
Dach montierte.Heute gehört das zum
Standard.Daran erkennt man auch die
Entwicklung. Ich möchtegerne ver-
mehrt mit Holz bauen.Wir werden se-
hen , ob es gute Projekte gibt. Holz ist
als Baustoff interessant, weil es weniger
graue Energie enthält.Dann sollte man
Fassaden vermehrt begrünen.Das kühlt
das lokale Klima in Städten und ist auch
ästhetisch ansprechend.Die Gewinnung
von Solarenergie an Hausfassaden ist im
Winter interessant, wenn das Sonnen-
licht in einem flachenWinkel einfällt.
Sie sind der Meinung, das geltendeCO 2 -
Ziel, nämlich höchstens 2,2Tonnen pro
Kopf undJahr bis 2050, sei veraltet.Wis-
senschafter sagen, man könne und müsse
weiter gehen, um den Klimawandel aufzu-
halten.Welches Ziel schwebt Ihnen vor?
Es geht grundsätzlichumdas Zielnetto
null bis 2050,also keinen CO 2 -Ausstoss
mehr, wie das auch die Gletscherinitia-
tive fordert.Vielleicht verbunden mit
einem Pfad, der dorthin führt. Ich habe
mich oft gefragt, welcheWirkung solche
Zielsetzungen zeitigen, habe jetzt aber
festgestellt, dass dieVerwaltung sich
stark an diesen Zielen orientiert und
diese sehr ernst nimmt.Wichtigist, dass
nichtnurhehreZieleformuliert,sondern
anschliessendauchentsprechendepoliti-
sche Massnahmen ergriffen werden.
Noch zum Naturschutz: Siewollen das
im Februar abgelehnteWassergesetz
mehrheitsfähig machen.Welches sind
die kritischen Punkte?
Die Vorlage wirdsich am ursprüng-
lichenVorschlag derRegierung orien-
tieren. Am kritischsten war die Priva-
tisierung der Trinkwasserversorgung.
Diese bleibt in öffentlicher Hand.Dazu
wollte der Kantonsrat,dass bei derFest-
legung des Gewässerraums grosse Zu-
rückhaltunggeübt wird.Revitalisierun-
gen wären schwieriger geworden.Das
werden wirkorrigieren.
AlsReaktion auf die Änderungen, die
der Kantonsrat vornahm, wurdedie
kantonale Naturinitiative eingereicht.
Auch die liegt derzeit auf meinemTisch.
Wir arbeiten an einerVorlage und wer-
den diese im Herbst demRegierungs-
rat unterbreiten.Danach wird sich der
Kantonsrat damit befassen. Es geht
auch darum, wieder mehr Mittel für den
Naturschutz zurVerfügung zu stellen.
WolegenSie im Artenschutz und in der
Biodiversität den Schwerpunkt?
Es gibt verschiedene Ursachen für den
RückgangderArtenvielfalt,den Dünger
etwa oder Stickoxid aus der Luft. Aber
die Überdüngung ist sicher ein wesent-
licherFaktor, ein anderer der knapper
werdende Lebensraum.Da kann man
mit Revitalisierungen etwas erreichen.
Die Überdüngung führt dazu, dass wir
Feuchtgebiete mähen müssen, um dort
einÜbermassanNährstoffenzuvermei-
den. Das verstehen die Leute manch-
mal nicht und sagen, man solle doch
die Natur sich selber überlassen; auch
ein Beispiel dafür, dass man viel erklä-
ren muss.
Interview: Stefan Hotz undReto Flury
MartinNeukom sucht beim Energiegesetz nacheiner breit abgestützten Lösung. CHRISTOPH RUCKSTUHL/ NZZ
Der grüne Youngster setzt erste Wegmarken
Die Klimapolitik steht im Fokus vonMartin Neukoms Programm– doch der junge Regierungsrat hat noch mehr vor
STEFANHOTZ
100Tage nach der Amtsübernahme ist
die politische Schonzeitvorüber, heisst
es. Der neue ZürcherBaudirektor stellte
si ch aus diesemAnlass am Dienstag den
Medien.Martin Neukom tat dies selbst-
bewusst und eloquent.Allein an einem
Stehpültchen ohne Manuskript erläu-
terte er, was er sich vorgenommen hat.
Der Ort der Zusammenkunft war
eine Art Statement: nicht imWalche-
turm am Neumühlequai, wo dieBau-
di rektion Büros hat,sondern imKunst-
raum «Walcheturm» in einem der Zür-
cher Zeughäuser. Der zwischen Kanton
und Stadt ausgehandelte Deal um das
ehemalige Militärareal war AnfangJahr
gescheitert.NeukomwilldieVorlagenun
nocheinmalvordenKantonsratbringen,
aber erst wenndieser ihm den Auftrag
erteilt. Dieser liegt inForm eines pen-
dentenVorstosses schon bereit.
Auffällig positiv äusserte sich Neu-
kom zurBaudirektion.Es gebe da nichts
auszuräumen, wie einige ihm gesagt hät-
ten. Diese Direktion sei nicht nur sehr
spannend, es arbeiteten da sehr gute
Leute. Neukom sagte gar, die Verwal-
tung laufe wie eine gut geölte Maschine.
Der neueRegierungsrat projizierte
seinevolle Agenda an dieWand. Sie
dürfteihn nicht so schnell überfordern,
hat er doch diesen Sommer noch seine
Dissertation abgeschlossen und einge-
reicht. Neukom zeigte sich erstaunt, wie
viele persönliche Briefe so ein Magis-
trat erhält,und erzählte ein paar Müster-
chen seiner neuen Amtspflichten. Etwa
dass er eine Bestellung für 4500Tonnen
Streusalz unterschreiben musste, weil
das nun einmal in seineKompetenz fällt.
Anfang Mai hatte der 32-jährige
Überraschungssieger der kantona-
len Wahlen seine bevorzugte Direk-
tion zugeteilt erhalten. Als sein erstes
und oberstes Ziel nannte Neukom denn
auch wenig überraschend eine langfris-
tige Klimapolitik. Energie und Umwelt
sind seine Hauptthemen (siehe Inter-
view) und die Sanierung des Gebäude-
parks ein zentraler Ansatzpunkt. Als
Leitlinie stellt derFachmann für Solar-
energie dieFrage voran:Wie sieht eine
Gesellschaft aus, die ohne fossile Ener-
gieträger auskommt?
Doch Martin Neukom istkein ein-
dimensionalerPolitiker. Das wäre auch
schw ierig in der weitverzweigtenBau-
direktion, in der, wie er betont e, die
Interessenkonflikte im Innern ange-
legt sind, zwischenLandwirtschaft und
Naturschutz etwa.Viele Geschäfts-
bereichekennt Neukom bereits aus sei-
nen fünfJahren als Kantonsrat.Das gilt
insbesondere für die Umsetzung des
neuen Immobilienmanagements, an des-
sen Ausarbeitung er massgeblich betei-
ligt war.AndereThemen wie dasJagd-
gesetz lägen ihm eher fern,räumte Neu-
kom freimütig ein.
Auch der sparsame Umgang mit der
Ressource Geld ist dem Grünen wichtig.
Schliesslich ist seine Direktion massgeb-
lich damit beauftragt, jene vier bis fünf
MilliardenFranken,die derRegierungs-
ratbis2023investierenwill,zuverbauen.
Dabei soll der Kanton nicht nur ökolo-
gisch einVorbild abgeben,sondern die
Mittela uchmöglichsteffizienteinsetzen.
Neukoms Kurs ruft
nach kluger Reaktion
Kommentar auf Seite 11