Mittwoch, 21. August 2019 WIRTSCHAFT 25
Eine Schweizer Flugticket-Abgabe birgt Risiken
Studie empfiehlt Förderung vonInnovationen , damit Flugzeuge und Passa giere die Umwelt weniger belasten
Der Branchenverband Iata legt
in einer Analyse dar, dass die
Einführung einer nationalen
CO 2 -Steuer für Flugpassagiere
der Umwelt wenig bringt, aber
Arbeitsplätze bedroht. Die
Schweiz solle das Corsia-
Kompensationssystem umsetzen.
WERNER ENZ
DieDiskussionum die Einführung einer
Schweizer Flugticketabgabe ist stark im
Fluss.Während die Umweltkommission
des Ständerats dieserTage eineTicket-
abgabe zwischen 30 und 120Fr. forderte,
hat die International Air Tr ansport
Association (Iata) mit Sitz in Genf am
Dienstag eine Studievorgelegt, die noch
von Abgaben zwischen 12 und 30Fr. für
Flüge innerhalb Europas und zwischen
30 und 48Fr. auf den interkontinentalen
Strecken ausgeht.Jedenfalls weist jetzt
der Schweizer Board of AirlineRepre-
sentatives, der rund 50 führende in- und
ausländische Fluggesellschaften vertritt,
auf Gefahren hin, die von einer unüber-
legten Einführung einer nationalenTi-
cketabgabe ausgehen. Deren Präsident,
Juerg Mueller,meinte dazu an einer
Pressekonferenz in Glattbrugg, dies sei
der falsche Ansatz.
NationalerAlleingangirritiert
Iata-Vertreter erinnerten daran, dass die
Schweiz ab nächstemJahr in das EU-
Emissionshandelssystem eingebunden
ist und sich ebenfalls ab 2020 am Car-
bon OffsettingandReduction Scheme
for InternationalAviation (Corsia) be-
teiligen wird. Dieses globale Abkommen
stützt sich auf die Uno-Klimaschutzkon-
vention und ist auf Initiative der Inter-
nationalen Zivilluftfahrtbehörde (Icao)
geschlossen worden. Die CO 2 -Emissio-
nen der Schweizer Luftfahrtsollen da-
mit über eine Zeitspanne von 15 Jahren
bis 203 5 umrund 2,7 Mio. t imJahrredu-
ziert werden. Das vonallen führenden
Industriestaaten (ausser zumindest bis
2027 Indien und China) mitgetragene
Corsia-System hält alsVerpflichtung
fest, weiteresPassagierwachstummit
einem Bündel von Massnahmen klima-
neutral zu bewältigen. Bis insJahr 2050
soll der CO 2 -Ausstoss dann um 50% ge-
senkt werden,indem effizientere Flug-
zeuge, die beispielsweise mit Biokraft-
stoffen oderBatterien betrieben wer-
den, eingesetzt werden.
Es soll also nicht um die Besteue-
rung von Mobilität gehen, sondern um
dieFörderung von Innovationen, da-
mit Flugzeuge und ihrePassagiere die
Umwelt in Zukunft viel wenigerdurch
CO 2 -Emissionen belasten und solche
Belastungenkompensiert werden. Die
Iata-Vertreter weisen warnend darauf
hin, dass das Einstehen der Schweiz für
einenglobalen Ansatz zum Bekämp-
fen von Emissionen unterminiert wird,
wenn sie jetzt im Alleingang eine Flug-
ticketabgabe einführt.
Statt ungefähr 300 Mio. Fr. imJahr an
neuen Steuern einzunehmen, stehe die
Frage imVordergrund, wie die Schwei-
zer Luftfahrt Massnahmen zurKom-
pensation von rund 2,7 Mio.tCO 2 mit
einem maximalen Effekt für das Klima
umsetzenkönne. Einekonkrete Gefahr
einer querbeet uniformen Flugticketab-
gabe bestehe darin, dass davon garkeine
Anreizeausgingen, um im Unterhalt
bessereFlugzeuge einzusetzen. Gemäss
letzten Schätzungen erwartet man dank
Corsia bis 2035 global zusätzliche finan-
zielle Mittel von40 Mrd. $, die dafürein-
gesetzt werden sollen, etwa 2,5 Mrd. t
CO 2 aus der Atmosphäre zu entfernen.
Es wird in der heute emotional ge-
führten Klimadebatte nicht gerne ange-
sprochen, aber eine starkeVerteuerung
der Mobilität inForm von ins Gewicht
fallenden nationalen Flugticketabgaben
birgt das Risiko von Arbeitsplatzverlus-
ten in der Schweiz, ohne dass dasWelt-
klima davon messbar profitieren würde.
In den Iata-Berechnungen, die gegen-
über den jüngstenVorschlägen der Um-
weltkommission des Ständerats von tiefe-
renAbgaben ausgehen,scheint derVer-
lust von mindestens 30 00 Arbeitsplätzen
als plausibel. Eine Prognose ist schwierig,
weil auch vom Luftverkehr profitierende
Branchen wie Logistik oderTourismus in
ihrerWettbewerbsfähigkeit geschwächt
würden. Eskönnte zu einer schleichen-
den Erosionkommen, wenn etwa aus-
ländischeTouristen einen Bogen um die
Schweiz machen würden.
Ein leer er Traum in Europa
Die Iata stecktdasFeld noch etwas
weiter ab und weist darauf hin, dass der
Flughafen Zürich an der Kapazitäts-
grenze angelangt ist und dierestriktivste
Nachtruhe-Regelung Europas hat. Hin-
sichtlichWettbewerbsfähigkeit verdiene
die Schweizer Luftfahrt zwar noch gute
Noten, aber ohne eine Erweiterung der
Kapazitäten sei in Zürich mit einer Ein-
schnürung zurechnen, was auf die ge-
samteWirtschaft abfärben werde. Im
Iata-Szenario, aber auch im luftfahrt-
politischen Bericht des Bundesrats wird
bis 2035 von jährlichen Zuwachsraten
von leicht über 3% ausgegangen.Wie
diesesWachstum am Boden bewältigt
werden kann, steht noch in den Sternen.
Wenn es um die Umweltpolitik geht,
empfiehlt die Iata den Schweizern so-
mit, in nachhalti ge alternative Kraft-
stoffe zu investieren und eine effizien-
tere Luftraumkontolle zu fördern – und
nicht auf einePassagiersteuer zu setzen.
Europa wartet bekanntlich in der Flug-
sicherung seit mehr als zweiJahrzehn-
ten auf eine zentralisierte Bewirtschaf-
tung des Luftraums (sogenannter Single
European Sky), was denAusstoss von
Schadstoffemissionen um 10 bis15%
senkenkönnte. So werden in Europa
unnötig lange Umwegegeflogen oder
Warteschlaufen absolviert, weil natio-
nale Behörden mit ihrer Flugsicherung
in engenRäumen operieren, also auf
ineffizienteWeise fragmentierte Luft-
raumblöcke bewirtschaften.
Besser fliegen stattweniger,das würde dem Klima mehr nützen. GAËTAN BALLY / KEYSTONE
Die USA machen mobil gegen die französische Digitalsteuer
Betroffene US-Firmen wollen von Zöllen und Handelskriegen nichts wissen – sie setzen auf die internationalen Streitschlichter
MARTIN LANZ,WASHINGTON
Im Oktober wird voraussichtlich erst-
mals die französische Steuer auf digitale
Dienstleistungen fällig, und zwar rück-
wirkend auf seit dem1. Januar 20 19 er-
zielte Umsätze. DieSteuer ist gemein-
hin als Gafa-Steuer bekannt, weil sie
vor allem die amerikanischen Digital-
Giganten Google,Apple, Facebook und
Amazon treffen wird.
Die amerikanischeRegierung und
die betroffenen Firmen halten die
Steuer für diskriminierend. Bereits am
Vorabend der entscheidenden Abstim-
mung im französischenParlament am
11.Juli leitete das Büro des amerikani-
schen Handelsbeauftragten eine Unter-
suchung ein,die zuVergeltungsmass-
nahmen gegenFrankreich wie zum Bei-
spiel US-Zöllen auf französischeWaren
führenkönnte.
KlaresVerdikt in der Anhörung
Wie bei solchen Untersuchungen
üblich,lud die amerikanischeRegie-
rung am Montag zu einer öffentlichen
Anhörung ein.Firmen und die inter-
essierte Öffentlichkeit waren aufgeru-
fen, schriftlich und mündlich Stellung
zu nehmen zu denFragen, ob die fran-
zösische Digitalsteuer tatsächlich gegen
US-Dienstleister zielt, ob sie amerika-
nische Handelsaktivitäten belastet, wie
sich die Steuer zuFrankreichs inter-
nationalenVerpflichtungen verhält und
welche Gegenmassnahmen die US-Re-
gierung ergreifen soll.
DasVerdikt im stickigen Hörsaal des
Büros des US-Handelsbeauftragten fiel
eindeutig aus.Alle zehn Zeugen, die am
Montag auch mündlich Stellung nah-
men, verurteilten die französische Digi-
talsteuer scharf. Denn das neue franzö-
sische Steuergesetz sieht vor, dass digi-
tale Dienstleister eine Steuer von 3%
auf ihre inFrankreich erzielten Um-
sätze zahlen müssen, wenn sie weltweit
jährlich mehr als 750 Mio.€, umgerech-
net 816Mio.Fr., und auf französischem
Boden 25 Mio.€, umgerechnet 27,2 Mio.
Fr., imJahr erwirtschaften.
Diese Struktur führt dazu, dass die
Steuer überwiegend grosse US-Techno-
logiefirmen trifft und die französische
Digitalbranche praktisch ausklammert.
Die Steuer zielt überdiesauf digitale
Dienstleistungen, in denen US-Firmen
marktführend sind, und lässt andere
Dienstleistungen aus, in denen französi-
scheFirmen massgebend sind.
Laut der US-Handelskammer gilt die
Steuerfür Umsätze aus digitalen Platt-
formen und Marktplätzen für Güter und
Dienstleistungen (zum Beispiel Air-
bnb,Amazon, Uber), aus auf Nutzer-
daten basierendenVermittlungsdiens-
ten (Social Media) sowie für Umsätze
aus dem digitalen Anzeigengeschäft
(Google, Facebook).Für andere digi-
tale Dienstleistungsbereiche wieFinanz-
dienstleistungen, Zahlungsdienste,
Kommunikation oder andereVermitt-
lungsaktivitäten, in denen französische
Unternehmen stark sind, ist die Steuer
dagegen nicht vorgesehen.
DieVertreter von Amazon,Google
undFacebook sowie die massgeben-
den amerikanischenVerbände unter-
stütztenin ihren Stellungnahmen die
Untersuchung des Büros des amerika-
nischen Handelsbeauftragten in vollem
Umfang. Sie kamen insbesondere zum
Schluss, dassFrankreich das Prinzip der
Inländerbehandlung, also dieVerpflich-
tung zur grundsätzlichen Gleichbehand-
lung von inländischen und ausländi-
schenAnbietern, unter dem General
Agreement onTr ade in Services (Gats)
verletze. Die französische Digitalsteuer
bedrohe die Stabilität des internationa-
len Steuersystems und untergrabe die
Arbeit der OECD, hiess es am Montag
verschiedentlich.
Alan Lee,beiFacebook für globale
Steuerfragen zuständig, wies zudem auf
verschiedene Umsetzungsprobleme hin.
Man warte immer noch auf Instruktio-
nen der französischenVerwaltung zur
Berechnung der Steuer, und insbeson-
dere die rückwirkende Anwendung der
Steuer bereite Kopfzerbrechen. Die
notwendigenDaten liessen sich mög-
licherweise nur unter grossemKosten-
aufwand erheben, sagten diebetroffe-
nen Unternehmen.
Nachdem unter den amerikani-
schen Unternehmen grosse Einigkeit
über die Mängel der Steuer geherrscht
hatte, interessierte dieFrage nach mög-
lichen Gegenmassnahmen der US-Re-
gierung umso mehr. Hier fielen die
Stellungnahmenrecht zahm aus; man-
cher Zeuge umging dasThema. Neue
Zölle, das bevorzugte Instrument von
US-Präsident DonaldTr ump, forderte
jedenfalls niemand.
Vertrauen inGespräche
Die amerikanische Handelskammer
etwa empfahl, dass die US-Regierung
den Streitschlichtungsmechanismus der
Welthandelsorganisation WTOiniti-
iere. Dies, weilFrankreichs Steuerdes-
senVerpflichtungenunter dem Gats zu-
widerlaufe.Die WTO-Streitschlichtung
sei das geeigneteVehikel, um die ver-
schiedenen offensichtlichen diskriminie-
rendenFolgenderfranzösischen Steuer
anzugehen.
Nicht unterstützen würde die Han-
delskammer die Einführung von ame-
rikanischenVergeltungszöllen auf fran-
zösischeWaren. Neue Zöllekönnten zu
einem eskalierenden Handelskrieg mit
Frankreich und der EU führen undVer-
geltungsmassnahmen auslösen. Dies
könnte dasWirtschaftswachstum in den
USA sowie amerikanischeJobs gefähr-
den, sagte die wichtigste amerikanische
Business-Lobby.
RufusYerxa vomNational Foreign
Tr ade Council, einer Lobby für global
tätige US-Konzerne, drückte die Hoff-
nung aus, dass die Untersuchung zu
konstruktivenKonsultationen zwischen
den USA undFrankreich und zumVer-
zichtFrankreichs auf die Steuer führe.
Falls eine solcheVereinbarungnicht
möglich sei, sei der WTO-Streitschlich-
tungsmechanismus zu bemühen.Yerxa
forderte die amerikanischeRegierung
zumVerzicht auf Massnahmen auf, die
zu höherenKosten für einheimische
Firmen führenkönnten. Ein Szenario,
das Unternehmen undFarmer derVer-
geltung oder gar einem Handelskrieg
aussetze, sei zu vermeiden.
AuchJennifer McCloskey vomIn-
formationTechnology Industry Council
sprach sich deutlich gegen US-Zölle auf
französischeWaren aus. GaryD.Spra-
gue von der AnwaltskanzleiBaker &
McKenzie LLP, die unter anderem Air-
bnb,Expedia, Microsoft undTwitter ver-
tritt, rief ebenfalls zum Dialog auf und
forderte die amerikanischeRegierung
auf, bereits jetzt das Gespräch mitLän-
dern wie Österreich, Tschechien und
Grossbritannien zu suchen, die ähnliche
Projekte wieFrankreich verfolgen.
Alle waren sich einig, dass die
OECD das geeigneteForum sei,um
das globale Steuersystem zureformie-
renund an die Umstände der digitalen
Dienstleistungen anzupassen. Unilate-
raleVorstösse wie jenerFrankreichs
seien zu bekämpfen,am besten, indem
die USA dem OECD-Projekt zusätz-
lichen Schub verliehen, lautete dieFor-
derung der amerikanischen digitalen
Dienstleister am Montag.
Auch Gliedstaaten
prüfen Marktmacht
(afp)· Nach derRegierung wollen laut
einem Medienbericht auch mehrere
Gliedstaaten die Marktmacht grosser
Internetkonzerne unter die Lupe neh-
men. Deren Generalstaatsanwälte wol-
len laut dem«WallStreetJournal» prüfen,
obKonzerne wie Google, Facebook und
Amazon ihre marktbeherrschende Stel-
lung missbrauchen. Die Ankündigung der
Untersuchung sollkommenden Monat
erfolgen.Das US-Justizministerium hatte
imJuli eine Prüfung von Suchmaschinen-
anbietern, sozialen Netzwerken und On-
linehändlern angekündigt.