einem Luftgewehr zweimal auf sie ge -
schossen und ihr ein Messer in den
Bauch gerammt. Die Gutachterin attestier-
te Monika D. am Ende eine schizotype
Störung, sie verhalte sich exzentrisch, miss-
trauisch.
Monika D. sagt heute, sie sei mit diesen
traumatischen Ereignissen irgendwie klar-
gekommen, habe sich um ihre Tochter ge-
kümmert und mit Hilfsjobs durchgeschla-
gen. 1994 sei sie, damals 35 Jahre alt, zum
Hausarzt gegangen, weil sie unter Verspan-
nungen gelitten habe, unter innerer Unru-
he, mitunter habe sie auch Schmerzen an
den Einschussnarben gehabt, erzählt sie.
Der Hausarzt habe ihr Valiquid ver-
schrieben. 50 Tropfen habe sie nehmen
sollen, und als das nicht half, habe er
ihr empfohlen, die Dosis zu erhöhen.
Wenn ihr Kreislauf absacke, solle sie Cola
trinken.
In den später beschlagnahmten Akten
des Arztes ist zu diesem Zeitpunkt keine
Diagnose vermerkt, die eine Verschrei-
bung von Valiquid rechtfertigen würde, so
eine zweite Gutachterin, die später vom
Zivilgericht beauftragt wurde. Ein Anwalt
des Arztes erklärte, der Mediziner habe
die Tropfen wegen einer Panikstörung
verschrieben, vermutlich
eine Folge der Schüsse
auf Monika D. Außerdem
sei D. psychisch krank,
sie sei regelmäßig von
ihm untersucht worden.
In wenigen Einzelfällen
sei es vorgekommen, dass
ein Rezept über den Zei-
tungskasten ausgehändigt
wurde.
Die Deutsche Haupt-
stelle für Suchtfragen
(DHS) empfiehlt Ärzten,
Diazepam nur »in kleins-
ten Packungsgrößen« und
»nur bei klarer vorheriger
Indikationsstellung und Aufklärung des
Patienten über das bestehende Abhängig-
keitspotenzial« zu verschreiben.
Obwohl Monika D. auf Transferleis -
tungen angewiesen war, bekam sie Privat -
rezepte. Arzneimittelexperte Glaeske sagt,
das sei ein übliches Prinzip. Damit die
Kassen wegen der vielen Verordnungen
nicht misstrauisch würden, wichen die
Mediziner auf Privatrezepte aus. 50 Pro-
zent aller Schlafmittel und Tranquilizer
würden privat verordnet, obwohl nur zehn
Prozent aller Versicherten Privatpatienten
sind.
Weil der Patentschutz ausgelaufen ist,
sind die Pillen und Tropfen so günstig,
dass wenige Euro ausreichen, um die Sucht
nach Tranquilizer-Präparaten wie Tavor,
Lexotonil oder Rohypnol für einen Monat
zu stillen. In der Rapperszene ist besonders
der Tranquilizer Xanax beliebt. Zusammen
mit Alkohol sorgt er für einen kräftigen
Rausch. »’ne Xanny poppen« gilt als cool.
Bis der Absturz kommt.
Monika D. sagt, sie habe das erste Mal
versucht, von den Tranquilizern loszu-
kommen, als ihre Tochter im Jahr 2000
versuchte, sich damit das Leben zu neh-
men. Die Tochter überlebte, aber Monika
D. wurde das Mittel unheimlich. Die ersten
Tage nach dem Absetzen habe sie noch
ertragen können, der Stoff hatte sich in
ihrem Körper angereichert. Dann aber sei
es nicht zum Aushalten gewesen: »Mein
Herz raste wie ein Presslufthammer.«
Ihr Hausarzt habe Abhilfe gewusst, ihr
eine Spritze gegeben und weiterhin Vali-
quid verschrieben. In der Zeit von 2008
bis 2010 besorgte sie sich das Mittel bei
anderen Ärzten, weil ihr der Hausarzt
nichts mehr gab. Er stehe mit einem Bein
im Gefängnis, habe er einmal gesagt. An-
fang 2011 verschrieb ihr Hausarzt end -
gültig nichts mehr. Monika D. entzog nach
eigener Darstellung kalt.
Eigentlich muss die Dosis von Dia -
zepam langsam reduziert werden, Ärzte
nennen es »ausschleichen«. Insbesondere
nach einer so langen Zeit der Abhängigkeit
dürfe es »nie schlagartig abgesetzt wer-
den«, schreibt die DHS.
Das dauert. In einer
Suchtklinik drei bis fünf
Wochen, in ambulanter
Therapie mehrere Mo -
nate.
Monika D. schildert
ihren Entzug als Horror-
trip. »Ich dachte, das
Hirn kommt mir zu den
Ohren raus«, erzählt sie.
Sie habe Krämpfe gehabt,
Klopfgeräusche gehört
und das Pulsieren des
Blutes in den Adern.
Mehrmals rief sie den
Notarzt, kam ins Kran-
kenhaus. Der Hausarzt, das ist belegt,
überwies Monika D. ab 2008 dreimal an
einen Psychiater. Sie sagt, das sei nur auf
ihr Hinwirken geschehen. Er sagt, er sei
davon ausgegangen, dass die Psychiater
den Entzug überwachten.
Heute, acht Jahre nach dem akuten Ent-
zug, verspürt Monika D. nach eigenem
Bekunden immer noch Symptome. 2015
erstattete sie Strafanzeige. Es ist in
Deutschland schwer, gegen einen Arzt vor-
zugehen. Staatsanwälte, so die Erfahrung
von Krankenkassen, schreckten oft vor der
komplizierten Materie zurück.
Tatsächlich stellte die Staatsanwalt-
schaft Köln das Ermittlungsverfahren
zunächst ein, der Strafantrag wegen ein -
facher Körperverletzung kam zu spät.
Aber weil Rechtsanwalt Dirk Mentzel mit
Monika D. befreundet ist, machte er trotz-
dem weiter. Er legte Beschwerde ein und
erreichte im April 2016 die Wiederaufnah-
me der Ermittlungen, und zwar wegen
gefährlicher Körperverletzung, für die
kein Strafantrag erforderlich ist. Die
Staatsanwaltschaft ließ nun die Patienten-
akte von Monika M. beschlagnahmen.
Der Abbruch der Verschreibung ohne
Therapie und der plötzliche Entzug hätten
»bis hin zur Gefahr des Todes« geführt,
hieß es zur Begründung.
Die Ermittlungen dauern noch an. Bei-
de Gutachterinnen werten die langjährige
Diazepam-Gabe als Behandlungsfehler.
Auch die geschilderten Entzugssymptome
seien glaubhaft, nicht vorstellbar sei aber,
dass sie über Jahre angehalten hätten, so
die erste Gutachterin.
Das Oberlandesgericht, das über ihre
Prozesskostenhilfe zu entscheiden hatte,
sieht gute Chancen, dass Monika D.
Schmerzensgeld erhält. Es spreche aber
einiges dafür, dass sie die Ursache für all
ihre Leiden auf den Arzt projiziere, dessen
Verfolgung sie »erklärtermaßen zu ihrem
Lebensinhalt gemacht hat«.
Viel mehr ist ihr auch nicht geblieben.
Andreas Ulrich
Mail: [email protected]
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10 % bis 17 %
der Bevölkerung in Deutschland
nehmen mindestens einmal
im Jahr ein Präparat ein,
1% bis 2%
nehmen es wenigstens
ein Jahr lang täglich ein.
Rund 1,5 Mio. Menschen
in Deutschland sind nach
Schätzungen abhängig von Schlaf-
und Beruhigungsmitteln.
Benzodiazepine
MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL