er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

die Schwefelemissionen einzuhalten. Der
Scrubber ist keine Umwelttechnologie. Er
ist eine technische Möglichkeit, um das bil-
lige Schweröl nutzen zu können. Neueste
Studien besagen, dass Scrubber eine deut-
lich schlechtere Umweltbilanz haben als
die Umstellung auf Marinediesel.«
Inzwischen hat ein Teil der Branche das
Problem erkannt. Carnival setzte mit der
»Aida nova« das erste Kreuzfahrtschiff mit
Erdgasantrieb ein, bis 2025 sollen zehn
weitere Modelle mit dieser Antriebsart fol-
gen (SPIEGEL23/2019). Aber von alldem
ist im Theater der »Mein Schiff 6« keine
Re de. Die Leute hören zu und freuen sich
über die Witzchen des schlanken Kapitäns.
Böttger sagt nichts darüber, dass die
Schiffe von TUI Cruises noch über keinen
Landstromanschluss verfügen, sondern in
den Häfen tage- und nächtelang ihre
Motoren und Generatoren auf giftigem
Schweröl laufen lassen, um Kühlschränke,
Klimaanlagen, Lampen, Fernseher, Koch-
stellen, Zapfanlagen zu betreiben. In man-
chen Stadtteilen von Venedig muss man
fürchten, dass von den Abgasen der Schiffe
die Wäsche auf der Leine grau wird. Aber
es ist billiger.
Noch Fragen? »Warum fahren wir unter
maltesischer Flagge?«, fragt ein Passagier
nach Böttgers Vortrag. Der Kapitän setzt
an: »Rot-Weiß passte am besten zum TUI-
Logo ...« Gelächter. »Nein, nein«, sagt er


dann, »die Gründe liegen auf der Hand.
Das sind einfach steuerliche Gründe. Sie
sparen als Reederei mächtig an Steuern,
wenn Sie da zum Beispiel keine deutsche
Flagge hinhängen.«
Ein weiterer Vorteil der Malta-Flagge sei,
sagt Böttger, dass der Kapitän standesamt-
liche Hochzeiten an Bord machen dürfe, am
erstem Seetag habe man ja eine Hochzeit
an Bord gehabt. »Und Scheidungen?«, fragt
einer aus dem Publikum. »Scheidungen ma-
chen wir keine«, sagt Böttger. Die Frage-
stunde endet in erneutem Gelächter.

Es geht nicht überall auf dem Schiff so
heiter zu. Auf dem Weg zu den Frühstücks-
büfetts gehen die Passagiere an Putzkolon-
nen vorbei, Männern, die Kabinen aufräu-
men, Handtücher austauschen, Seifenspen-
der nachfüllen, Haare aus Abflüssen fischen.
Die Hierarchie der Angestellten auf einem
Kreuzfahrtschiff ähnelt einer Pyramide. An
der Spitze der Kapitän, ganz unten die Män-
ner vom Housekeeping. Sie kommen von
den Philippinen, aus Indonesien oder Mit-
telamerika, wuseln stundenlang über die
Gänge, bevor sie mit ihren Wagen wieder
hinter Türen verschwinden, auf denen »Crew
only« steht. Die Männer vom Housekeeping
wohnen auf Deck 1 in Mehrbettkajüten ohne
Fenster. Sie dürfen sich außerhalb ihrer Ar-
beitszeit nicht im Passagierbereich aufhalten.
Es ist ihnen untersagt, Gäste anzusprechen,
geschweige denn zu berühren. Sie sollen ihre
Arbeit tun und ansonsten die Inszenierung
auf dem Traumschiff nicht stören. Wenn es
gut für sie läuft, bekommen sie am Ende der
Reise ein Trinkgeld.
Einer der Männer berichtet über sein
Leben und die Arbeit auf dem Schiff, er
zeigt Fotos seiner Kajüte und Vertrags -
dokumente. Zu seinem Schutz muss seine
Identität geheim bleiben, er wird daher
hier Harold genannt.
Harold verdient laut Vertrag 852 Dollar
für 303,1 Stunden Arbeit im Monat. Das
sind 2,81 Dollar die Stunde bei zehn Stun-

52 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019

5518 Passagiere

2534 Passagiere

2400 Passagiere

»Symphony of the Seas« (weltgrößtes Kreuzfahrtschiff)

»Mein Schiff 6«

zum Vergleich: »Titanic« (1912)

ALBERTO BERNASCONI / LAIF
Zuschauer bei Aqua-Theater auf der »Harmony of the Seas«: 2018 waren weltweit 28,5 Millionen Menschen auf einer Kreuzfahrtreise
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