er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

den Arbeit pro Tag, sieben Tage die Wo-
che. Überstunden sind damit abgegolten.
Er sieht Frau und Kinder neun Monate am
Stück nicht. So lange läuft sein Vertrag, so
lange spielt sich sein Leben zwischen Deck
1 und schmutzigen Kabinen ab. Um mit
seiner Familie zu kommunizieren, muss
Harold an Bord Internetvolumen kaufen.
Harold ist nicht bei der TUI Cruises
GmbH in Hamburg angestellt, die auf den
Rechnungen der Gäste als Kreuzfahrt -
gesellschaft angegeben ist. Sein Arbeitgeber
ist die Sea Chefs Cruises Ltd. auf Zypern.
Die Firma ist Teil der Sea Chefs Holding AG,
die in Zug in der Schweiz registriert ist. Auf
der Sea-Chefs-Website können sich Interes-
sierte für Jobs bei TUI Cruises und sechs
weiteren Kreuzfahrtgesellschaften bewer-
ben, darunter auch Hapag-Lloyd Cruises.
Mit dieser Konstruktion und der malte-
sischen Flagge am Heck entzieht sich die
TUI Cruises GmbH arbeits- und steuer-
rechtlicher Verantwortung für Mitarbeiter
wie Harold. Laut seinem Vertrag hat die
TUI Cruises die »dem Schiffseigner aufer-
legten Aufgaben und Verantwortung« an
die Celebrity Cruises INC abgegeben, eine
Tochterfirma von Royal Caribbean.
Wer all das weiß, versteht die jährlichen
Jubelberichte der Kreuzfahrtindustrie bes-
ser zu lesen. Wenn dort etwa steht, dass
die Kreuzfahrtindustrie zwischen 2015
und 2017 mehr als 43 000 neue Jobs in
Europa geschaffen habe, dann kann das
viel heißen – eben auch, dass Leute 300
Stunden für 852 Dollar arbeiten und fürs
Internet an Bord zahlen müssen.
Die »Mein Schiff 6« erreicht ihr Ziel Val-
letta um kurz nach vier Uhr morgens. Am
Abend zuvor ist sie zum letzten Mal zu
den Klängen der Auslaufhymne in See ge-
stochen, in Catania, Sizilien. »Oh große
Freiheit, ich hab mich nach dir gesehnt.«
Danach begann in der Abtanzbar auf
Deck 5 noch einmal eine kurze Disconacht.
In den Nummernschildern der Kabinen
stecken die Umschläge mit den Rechnun-
gen. Das Geld wird automatisch abgebucht.
Beim Verlassen des Schiffs scannt ein TUI-
Cruises-Mitarbeiter zum letzten Mal die
Bordkarte ein. Man darf sie behalten, als
Andenken für eine tolle Ferienwoche auf
See. Am Pier auf Malta wartet schon die
nächste Schicht Urlauber, alle bereit für den
Pool, die Bars, die Wohlfühlrestaurants, für
Fleisch und Fisch und Früchte, Bier, Wein
und Prosecco, für die Gänsehaut beim Ab-
legen zu den Klängen der Auslaufhymne.
Freude. Staunen. Durchatmen. Wohlfühlen.
Das ist das Ziel. Man lernt viel binnen einer
Woche an Bord. Und man kann auf die
Idee kommen, dass dort an der Bordwand
ein paar Wörter fehlen. Wegschauen. Welt-
flucht. Vergessen. Verdrängen.


Dinah Deckstein, Ullrich Fichtner, Felix
Hutt, Martin U. Müller, Max Polonyi

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