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MICHAEL WALTER / DER SPIEGEL
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ach der richtigen Diagnose ergibt
sich die helfende Therapie oft
wie von selbst. Dazu gehört aber,
dass Ärzte verständlich zu Papier bringen,
was dem Patienten fehlt. Genau das fällt
vielen Medizinern schwer. Typisches Bei-
spiel: »Nach konsiliarischer Abwägung der
Therapieoptionen«, schreibt ein Kliniker,
»wurde gegen eine Operation entschieden,
da unter den abführenden Maßnahmen im
Sinne von Stuhlweichmacher eine Reposi -
tion problemlos erfolgte.« Alles klar?
In einem anderen Arztbrief notiert der
Verfasser: »Bei ausgeprägter Hyperhidro-
sis im Rahmen einer nicht senkbaren Hy-
perthermie wurde der Patient engmaschig
bilanziert.«
Medizinischen Laien sagen solche Sätze
wenig bis nichts – was nicht weiter
schlimm wäre, wenn wenigstens die wei-
terbehandelnden Allgemeinmediziner ver-
stehen würden, was ihre Kollegen ihnen
sagen wollen. Genau das ist aber oft nicht
der Fall, wie jetzt eine Studie zur Sprache
in Arztbriefen der Heinrich-Heine-Univer-
sität Düsseldorf zeigt. Von 197 befragten
Hausärzten gaben fast alle (99 Prozent)
an, von Kollegen schon einmal Arztbriefe
erhalten zu haben, die sie nicht auf Anhieb
verstehen konnten. Sprachwissenschaftler
Sascha Bechmann, der die Studie leitete,
sagt: »Arztbriefe müssen verständlich, ein-
deutig und präzise sein – diese Anforde-
rungen erfüllen sie längst nicht immer.«
Irreführend, so Bechmann, sei unter an-
derem der willkürliche Gebrauch von Ab-
kürzungen. Mit LP meine der eine Medi-
ziner »Lumbalpunktion« – der andere die
»letzte Periode«. TOF stehe mal für »Te-
tralogy of Fallot« (einen Herzfehler) – mal
für »tracheo-esophageal fistula«. Unbe-
kannte Abkürzungen stünden häufig oder
sehr häufig in Arztbriefen, klagten 34 Pro-
zent der befragten Hausärzte.
Ein Ärgernis seien auch viel zu umständ-
liche Beschreibungen. So wird aus dem
Schmerz im linken Arm die »Schmerz-
symptomatik an der linken oberen Extre-
mität.« Solche Formulierungen erschwe-
ren Hausärzten, welche die Patienten wei-
terbehandeln müssen, die Lektüre. Bis zu
60 Minuten am Tag müssen die Doktoren
damit verbringen, zu lesen, was andere
Kollegen zu berichten haben. Verstehen
Hausärzte etwas falsch, kann das zu schwe-
ren Behandlungsfehlern führen.
Zweideutig war etwa die Empfehlung
»weitere OAK nach CHA2DS2-VASc«in
dem Arztbrief zu einem 80-jährigen Herz-
patienten. In diesem Fall waren allerdings
nicht die Abkürzungen das Problem; der
weiterbehandelnde Hausarzt Oliver Fun-
ken aus Rheinbach hat durchaus korrekt
verstanden, dass zur Vorbeugung gegen
Schlaganfall Gerinnungshemmer verord-
net werden sollen. Doch bedeutet das
Wörtchen »weitere« eine Gabe für den
Rest des Lebens – oder nur für ein paar
Wochen? Ein lebenswichtiger Unterschied.
So gefährden schlampige Formulierun-
gen Patienten. Vor wenigen Wochen be-
kam Stefan Wilm, Hausarzt in Köln, einen
Arztbrief zu einer Patientin, in dem als
Diagnose eine »virale Bronchitis« stand,
also eine oft eher harmlose Entzündung
der Schleimhaut in den Bronchien. Durch
Zufall entdeckte der Hausarzt in den an-
gehängten Dokumenten eine CT-Aufnah-
me, die eine lebensbedrohliche Lungen-
entzündung erkennen ließ. Wilm: »Das
bedeutet eine völlig andere Weiterbehand-
lung: Statt sich einfach zu Hause zu erho-
len, braucht die Patientin zwingend Anti-
biotika und eine gute Überwachung.«
Und erst kürzlich erhielt Wilm von einem
Oberarzt eines Krankenhauses zu einer
86-jährigen Patientin mit Vorhofflimmern
einen Arztbrief, der für die Weiterbehand-
lung gleich zwei verschiedene Betablocker
empfahl. »Im Telefonat mit dem Oberarzt
stellte sich dann heraus, dass dies ein Irr-
tum war«, sagt Wilm. »Man hätte die Emp-
fehlung aber durchaus als ernst gemeinten
Versuch der Herzfrequenzregulation ver-
stehen und so weiterführen können – was
für diese Patientin sicher ein Risiko gewe-
sen wäre.«
Warum sind so viele Arztbriefe unver-
ständlich und fehlerhaft? »Ein Grund da-
für ist, neben der fehlenden Ausbildung
im Studium, auch der chronische Zeitman-
gel in Kliniken«, sagt Sprachwissenschaft-
ler Bechmann. Insbesondere in Kranken-
häusern verbringt ein Arzt täglich bis zu
drei Stunden damit, Entlassungsbriefe und
andere Schriftstücke zu verfassen.
Bechmann schlägt Workshops vor, um
Ärzten beizubringen, wie sie schneller ver-
ständlichere Berichte verfassen können.
Der Mediziner Klaus Muehlenberg vom
Krankenhaus Barmherzige Brüder in Re-
gensburg verfolgt bereits einen solchen
Ansatz; er redigiert und bespricht penibel
die Schreiben seiner Assistenzärzte.
Doch selbst ein verständlicher Stil nutzt
nichts, wenn der Doktor das Dokument
in zu großer Eile hinhuscht. In manchen
Krankenhäusern werden Arztbriefe sogar
frühzeitig verfasst, damit sie bei Entlas-
sung oder Verlegung in die nächste Klinik
schon bereitliegen.
»Mir ist einmal ein Arztbrief gesandt
worden, da stand drin: Der Patient wurde
in gutem Allgemeinzustand entlassen«, be-
richtet Muehlenberg. »In Wahrheit war er
in der auswärtigen Klinik verstorben.«
Franziska Draeger
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 101
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verstehen häufig nicht, was ihre
Kollegen in Arztbriefen
empfehlen – eine Gefahr für
die Patienten.
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