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Gesellschaft
Bevor die erste Zahnbürste vom Tennstedter Stadtphysikus
Christoph von Hellwig um das Jahr 1700 herum erfunden wurde,
mit einem Griff aus Holz oder Metall und Borsten aus Pferde-
haar, putzten sich die Menschen ihre Zähne mit Läppchen und
Schwämmen, wahlweise kauten sie auf Kaustöckchen herum.
Aber wer tat sich das an? Ludwig XIV. ließ sich 1685 an geblich
alle Zähne ziehen, nachdem ihn sein Leibarzt davon überzeugt
hatte, sie seien lediglich ein unnötiger Infektionsherd. Anfangs
waren Zahnbürsten Luxus. Erst mit der Erfindung von Nylon
1930 trat die Industrie ihren Siegeszug an: Mit Handzahn -
bürsten, Rotationszahnbürsten, Schallzahnbürsten, Ultraschall -
zahnbürsten, kaubaren Zahnbürsten und Interdental bürsten
hat sie Zahnlücken und Karies nahezu verschwinden lassen.
Acht von zehn Zwölfjährigen in Deutschland sind heute karies -
frei. Nach der jüngsten Studie des Instituts der Deutschen
Zahnärzte über Mundgesundheit in Deutschland hat sich die
Zahl der »kariesfreien Gebisse« zwischen 1997 und 2014 nahe zu
verdoppelt. Auch jüngere Erwachsene (35 bis 44 Jahre alt)
haben heute deutlich gesündere Zähne, die Zahl der Zähne mit
sogenannter Karieserfahrung sank im selben Zeitraum um
30 Prozent, auf 4,9. Es geht längst nicht mehr allein um Hygiene,
sondern um Prestige. Wer heute etwas auf sich hält, muss gute
Zähne haben. Nach Angaben des Instituts der Deutschen
Zahnärzte ist die Karieserfahrung bei Kindern mit »geringem
Sozialstatus« mehr als doppelt so groß wie bei Kindern mit
»hohem Sozial status«[email protected]
Warum dürfen Priester Traktoren segnen, aber keine homosexuellen Paare? ‣S. 46
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019
Heimat
Was sollen Städter bei den
Nordfriesen, Herr Meyer?
Tilmann Meyer, 33, Projektleiter
»Moin, Lieblingsland« bei der Wirtschafts -
förderungsgesellschaft Nordfriesland
SPIEGEL:Moin!
Meyer:Moin!
SPIEGEL:Auf einem Plakat am Hambur-
ger Hauptbahnhof laden Sie Städter ein,
nach Nordfriesland zu ziehen. Warum
sollten sie?
Meyer:Weil bei uns das Thema »Wohnen«
nicht so angespannt und kostenintensiv ist,
weil wir die Nordseeküste haben, schöne
Orte, gute Gastronomie und viele Jobs.
SPIEGEL:Wie würde ein Neu-Nordfriese
konkret in Nordfriesland leben?
Meyer:Besser auf jeden Fall. Für 400 000
Euro kann er hier ein Haus mit 250 Qua-
dratmetern und Garten bekommen, er
schleppt keinen Kinderwagen in den
fünften Stock und hat einen Parkplatz
vor der Tür. Das gibt es in der Stadt
selten.
SPIEGEL:Was arbeitet er?
Meyer:Alle Unternehmen, mit denen wir
in Kontakt stehen, suchen Fachkräfte.
Die Branchen sind Windenergie natürlich,
Verkehrsleitsysteme, Flugzeugbau, Solar-
energie, Tourismus, Handwerk.
SPIEGEL:Was isst der Neu-Nordfriese?
Meyer:Mehr frischen Fisch und Krabben
direkt vom Kutter.
SPIEGEL:Gibt es ein Begrüßungsgeschenk?
Meyer:Eine kleine Willkommenskarte,
»Moin, neuer Lieblingsnachbar!«.
SPIEGEL:Ein Begrüßungsritual?
Meyer:Das wäre bei etwa 9000 Anmel-
dungen im Jahr schwer darzustellen. Es
gibt Orte, in denen schon mehr Zugezo -
gene als echte Nordfriesen leben.
SPIEGEL:Der Nordfriese gilt als stur.
Woher diese Offenheit?
Meyer:Im Augenblick hat Nordfriesland
noch ein Konjunkturhoch, aber der demo-
grafische Wandel und ja auch die Weg -
züge vom Land in die Stadt betreffen alle
ländlichen Regionen. Der Wettbewerb
um den Einwohner hat sich verschärft.
SPIEGEL:Würden Sie auch Bayern
nehmen?
Meyer:Im Moment sind wir mit der
Kampagne nur im Norden. Aber Bayern?
Möchte ich nicht ausschließen. BHA
Nº 189: Gesundes Gebiss
Früher war alles schlechter
Quelle: Institut der Deutschen Zahnärzte
1997 hatten 42 % der Zwölfjährigen in Deutschland kariesfreie Zähne.
2014: 81 %
ROBERT B. FIS / DPA
Leuchtturm in Westerhever