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s dauert wohl nur noch Monate, höchstens noch gut
ein Jahr. Dann werden das US-Militär und seine Alli-
ierten voraussichtlich abgezogen sein aus Afghanistan,
dem Land, in dem die Amerikaner seit 18 Jahren den
längsten Krieg ihrer Geschichte führen. Die Friedensgespräche
zwischen den USA und den Taliban gehen in Doha diese Woche
in die wahrscheinlich letzte Runde. Bis zum 20. August könn-
ten die Friedensvereinbarungen unterschrieben sein – das sa-
gen afghanische und deutsche Quellen, die direkte Einblicke
in die Verhandlungen haben. Es wäre eine historische Wende
und würde die Geschicke des Landes tiefgreifend verändern.
Noch sind sich die Parteien Berichten zufolge nicht einig,
wann genau die westlichen Truppen abziehen sollen: Der
US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad, Präsident Donald
Trumps Mann für Afgha -
nistan, besteht offenbar auf
einer Frist von 18 Monaten.
Die Taliban fordern dagegen,
dass die Amerikaner Afgha-
nistan schon in sechs Mona-
ten verlassen haben werden.
Kenner der Gespräche ver-
muten, dass man sich in der
Mitte treffen wird. Denn bei-
de wollen den Deal: Trump
und die Taliban.
Und beide Seiten haben
es eilig. Trump, weil er zum
Wahlkampfauftakt einen
außenpolitischen Erfolg prä-
sentieren möchte. Und die
Taliban sind kriegsmüde. Au-
ßerdem lockt sie die Aussicht
auf eine Beteiligung an der Macht. Wenn nicht gar deren
Übernahme.
Es geht nicht um einen, sondern gleich um zwei Verträge:
Den ersten wollen die USA direkt mit den Taliban abschlie-
ßen. Er regelt die Abzugsmodalitäten und soll sicherstellen,
dass internationale Terroristen afghanischen Boden nicht
mehr als Basis nutzen. Irgendwo wird noch etwas stehen von
einem umfassenden Waffenstillstand und einem »innerafgha-
nischen Dialog«. Unterschrieben wird das Dokument aller
Voraussicht nach in Katar, dort haben die bisher acht Ge-
sprächsrunden zwischen der Taliban-Führung und Trumps
Sonderbeauftragtem Khalilzad stattgefunden.
Das zweite Abkommen mit einem ähnlichen Inhalt wie der
Vertrag mit den Taliban wollen die USA mit der Regierung
von Präsident Ashraf Ghani schließen. Doch die gewählten
Regenten des Landes hatten, im Gegensatz zu den Extremis-
ten, keinerlei Stimme in den seit fast einem Jahr andauernden
Gesprächen. Die Taliban weigerten sich, mit den Regierungs-
vertretern zu sprechen: Sie erkennen sie nicht an. Die USA
beugten sich dieser Bedingung und untergruben damit die
Souveränität jenes Staates, den sie seit 2001 verteidigen.
Als die Gespräche zwischenzeitlich ins Stocken gerieten,
kam der Bundesregierung eine wichtige Vermittlerrolle zu.
Sie arrangierte im Juli auch ein Treffen zwischen etwa
60 Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft und den
Taliban.
Doch wie die Taliban nach dem Abzug der US-Truppen
mit der Bevölkerung umgehen wollen, ist unklar. Sie betonen
zwar, dass sie sich »geändert« hätten: Afghanische Männer
müssten künftig zum Beispiel keine Bärte mehr tragen, heißt
es aus ihren Kreisen. Sie würden jetzt auch Frauen »respek-
tieren«. Doch das behaupteten die Extremisten schon früher –
und belegten Afghaninnen dann trotzdem mit Arbeitsverbo-
ten oder steinigten sie, weil sie angeblich einen anderen Mann
angesehen hatten als den eigenen.
Ein »dauerhaftes, ehrenvolles Friedensabkommen« strebten
die USA an, twittert Khalilzad. Was er nicht sagt, ist, wie das
Land nach Zehntausenden zivilen Toten, über 3500 gefallenen
internationalen Soldaten und
einer Billion Dollar US-Aus-
gaben aussehen könnte. Gibt
es dann noch Wahlen, wie sie
gerade anstehen? Ein Parla-
ment? Frauenrechte? Was
wird in der Verfassung über-
haupt noch garantiert, wenn
die Taliban wieder an der
Macht sind, die diesen Vertrag
als »Islamisches Emirat Af-
ghanistan« zeichnen wollen?
Viele im Land sehen schon
den nächsten Bürgerkrieg he-
raufziehen. Und jene, die jah-
relang an der Seite der USA
kämpften, verwundet wur-
den oder Angehörige verlo-
ren haben, fühlen sich von
den USA verraten. Dabei haben alle US-Präsidenten seit 2001
versprochen, Afghanistan von den Taliban zu befreien.
Wiederholt sich die Geschichte? 1989, als die Sowjetarmee
nach zehn Jahren Krieg mit ähnlichen Garantien für die
Regierung abzog, dauerte es nicht lange, bis die unterschied-
lichen Gruppierungen übereinander herfielen.
Damit das dieses Mal nicht geschieht, setzen die USA
auf ihre Alliierten und die Mächte in der Nachbarschaft. Vor
allem Deutschland soll nach dem Wunsch von Khalilzad eine
»entscheidende Rolle« im weiteren Friedensprozess spielen,
eventuell gemeinsam mit Usbekistan.
Berlin soll den »innerafghanischen Dialog« organisieren,
der all die gesellschaftlichen Fragen klären soll, die bisher
nicht verhandelt wurden. Schon ab September könnten die
Konfliktparteien zu weiteren Verhandlungen zusammenkom-
men: Vertreter von Regierung und Zivilgesellschaft sollen
sich dann in Oslo mit den Taliban treffen und beraten, wie
es mit dem Land weitergehen soll. China, Indien und Russ-
land wollen den Prozess in einer Absichtserklärung unter-
stützen.
All das ist vage. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Frieden
nur kurz hält, um dann von Radikalen auf beiden Seiten ge-
brochen zu werden, ist hoch. Hoffnung ist die einzige ver-
bleibende Option. Susanne Koelbl
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Was kommt nach dem Frieden?
AnalyseDie USA wollen Afghanistan nach 18 Jahren verlassen. Den Preis zahlen die Afghanen,
die künftig wieder von den Taliban beherrscht werden könnten.
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019
Ausland
AP
Bewaffnete Taliban-Kämpfer in der Provinz Farah