Kunstmarkt
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(^58) WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162
Cecilie Hollberg: „Das
Museum ist ein lebendi-
ger Ort, den die Floren-
tiner lieben.“
Sergio Garbari
Regina Krieger Rom
V
or dem Palazzo della Signoria in
Florenz überragt der „David“ von
Michelangelo alles. Kein Kunstwerk
der Renaissancestadt wird häufiger
fotografiert als die fünf Meter hohe
Marmorstatue mit den perfekten Proportionen.
Doch sie ist nur eine Kopie aus dem Jahr 1910. Mi-
chelangelos Original steht seit 1873 in der Galleria
dell‘Accademia in der Via Ricasoli in einem ei-
gens dafür errichteten halbrunden Raum. Und ist
ein Publikumsmagnet.
„In drei Jahren ist die Zahl der Besucher um 22
Prozent auf 1,7 Millionen im Jahr 2018 gestiegen“,
sagt Cecilie Hollberg, „und die Einnahmen haben
wir auf 10,7 Millionen Euro gesteigert von 8,7, seit
ich hier angefangen habe.“ Die deutsche Kunst-
historikerin war seit 2015 Museumsdirektorin. Bis
zu diesem Wochenende.
Zuerst am Telefon Anfang des Sommers, dann
per Amtsschreiben wurde ihr mitgeteilt, dass ihr
Museum, in dem neben dem David eine große
Sammlung von Gemälden und historischen Mu-
sikinstrumenten ausgestellt wird, seine Autono-
mie verliert und ab Ende August verwaltungsmä-
ßig zu den Uffizien gehört.
Das war die Kündigung, ihre Arbeit endete am
- August, an dem Tag, an dem die Neuordnung
der großen staatlichen Museen in Italien in Kraft
trat. Mit dem zuständigen Kulturminister Alberto
Bonisoli, der die Reform vorangetrieben hat, ha-
be sie nie gesprochen, sagt sie. Auf ihre Anfragen
hin habe man sie auf einen Termin nach dem
Sommer vertröstet.
Sie sagt es nicht, aber das Prozedere Roms war
schlechter Stil. Der Fall wurde bekannt, weil in
dem sechsseitigen Rundschreiben des Ministeri-
ums über die Neuregelung und die Verlängerung
bestehender Verträge ihr Name nicht mehr
stand. Wenn die Uffizien die Verwaltung über-
nähmen und ihrem Haus die Autonomie genom-
men werde, brauche man keinen Manager mehr
an der Spitze, kommentiert sie sachlich die unbe-
stritten merkwürdige Kommunikation aus Rom.
„Mein Fahrplan ging bis zum 30. November,
bis dahin läuft mein Vertrag, man hatte mir auch
eine Verlängerung in Aussicht gestellt, aber jetzt
habe ich mich beeilt, das Haus ordentlich zu
übergeben“, sagt die Historikerin, die zuvor das
Städtische Museum in Braunschweig geleitet hat-
te. Bis zum letzten Tag hat sie an ihrem Bericht
gefeilt. Sie könne es immer noch nicht fassen
und hoffe auf ein Wunder, um die Arbeit auch zu
Ende bringen zu können
Ihre Bilanz ist außerordentlich: mit 53 Ange-
stellten, 94 müssten es sein, die letzten kamen
erst 2018, hat sie nicht nur das Budget in Ord-
nung gebracht und detailliert jede Abrechnung
und alte Verträge überprüft, sondern auch das
Haus modernisiert. Dazu gehörte, eine Aus-
schreibung für eine neue Klimaanlage für das
Museum zu machen, die alte war 40 Jahre alt.
Und es gab seit 2004 keine Brandschutzordnung.
„Als ich kam, hatte ich keinen Techniker, keinen
Restaurator, keinen Museumspädagogen und kei-
ne Verwaltung“, sagt sie.
Auf den Punkt an ihrem letzten Arbeitstag
wurde ihre Bilanz fertig, auf 68 Hochglanzseiten.
„Wir haben ein Wunder geschaffen“, schreibt sie
darin, „und dem Museum eine starke Identität
gegeben, heute sind wir ein lebendiger und für
alle offener Ort, den die Florentiner lieben.“
Warum also das rüde Ende? Cecilie Hollberg
kam 2015 nach Florenz, sie hatte die Ausschrei-
bung für die Stelle gewonnen. Der damalige Kul-
turminister Dario Franceschini von der sozialde-
mokratischen Partei PD, die seinerzeit regierte
und sich heute anschickt, eine Regierungskoaliti-
on mit der Bewegung Fünf Sterne einzugehen,
hatte die Leitungspostgen der großen staatlichen
Museen international ausgeschrieben – um die
Besten des Fachs nach Italien zu holen. 20 Direk-
torinnen und Direktoren wurden ausgewählt, da-
runter sieben Ausländer, drei Deutsche, zwei Ös-
terreicher, ein Kanadier und ein Franzose. Neben
Cecilie Hollberg waren das aus Deutschland Eike
Schmidt, Chef der Uffizien, und Gabriel Zuchtrie-
gel, der Direktor der antiken Stätten in Paestum.
Sie bekamen Verträge für vier Jahre mit der Per-
spektive auf Verlängerung.
Dann kamen 2018 der Regierungswechsel und
damit neue Schwerpunkte in der Kulturpolitik.
Der neue Minister Bonisoli, ein Politiker der Fünf
Sterne, verhielt sich wie seine Kabinettskollegen:
Alles, was die PD-Regierung vorher gemacht hat-
te, musste geändert und abgeschafft werden,
egal, wie sinnvoll oder nicht die Maßnahmen wa-
ren. Groß durch die Schlagzeilen ging bei seinem
Amtsantritt seine Anordnung, die eintrittsfreien
ersten Sonntage im Monat in den italienischen
Museen abzuschaffen.
Er setzte die Zentralisierung der staatlichen
Museen durch, nahm der Galleria in Florenz und
zwei anderen Museen in Rom und Triest die Au-
tonomie und verlängerte neun Stellen – vom
Chef des archäologischen Museums in Neapel bis
zu den königlichen Museen in Turin. Auch Zucht-
riegel erhielt die Verlängerung.
Bleibt der dritte Deutsche, Uffizienchef
Schmidt, der Freiburger Kunsthistoriker, der
2015 vom Minneapolis Institute of Art nach Flo-
renz kam. Er sagte dem Handelsblatt am Don-
nerstag, dass er zum 1. November an das Kunst-
historische Museum in Wien wechselt, wie er das
bereits mehrmals gesagt hätte. Den Bericht einer
italienischen Zeitung, dass Minister Bonisoli ihn
noch kurz vor dem Scheitern der Regierung in
Rom angerufen habe, um ihm die Verlängerung
seines Vertrags anzubieten, weist er als reine
Spekulation zurück.
Und zum Fall der Galleria dell‘Accademia sagt
er: „Die Wiedereingliederung der Galleria hat in
Italien zu einer sehr politisierten Debatte zwischen
Gegnern und Befürwortern der verschiedenen Re-
formen geführt.“ Mehr als 100 Jahre hätten die Gal-
leria und die Uffizien verwaltungstechnisch zusam-
mengehört, bis zum 1. Januar 2016. „Ich sehe das
entspannt“, sagt er, „die Wiedereingliederung ist
administrativ in wenigen Tagen zu machen.“
Auch die anderen deutschsprachigen Auslän-
der haben neue Stellen: Peter Aufreiter, der Di-
rektor der Galleria Nazionale in Urbino, wechselt
zum Technischen Museum in Wien. Peter Ass-
mann, der Chef des Palazzo Ducale in Mantua,
Kulturpolitik
Rüder
Rauswurf
Cecilie Hollberg war bis gestern Chefin
der Galleria dell‘Accademia in Florenz.
Jetzt fiel ihr Job der Reform des
Kulturministers zum Opfer.
Eike Schmidt:
Der Direktor der Uffizien
hat bestätigt, dass er zum
- November nach Wien
wechselt. Stefano Dal Pozzolo/Contrasto/laif für Handelsblatt Magazin
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