Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1

Kerstin Leitel Crewe


B


ei dem Luxusautoher-
steller Bentley aus dem
nordenglischen Crewe
glänzten zuletzt nur die
Autos. Die Zahlen waren
im letzten Jahr so schlecht, dass das
Traditionsunternehmen bei der Kon-
zernmutter Volkswagen als Sorgen-
kind betrachtet wurde. Nun steht
Bentley vor dem nächsten Problem:
dem Austritt Großbritanniens aus der
EU. Man müsse die Entscheidung na-
türlich respektieren, aber „ich kann
dem Brexit nichts Positives abgewin-
nen“, sagt Bentley-Chef Adrian Hall-
mark im Gespräch.
Wenn Großbritannien am 31. Okto-
ber die Europäische Union ohne
Handelsabkommen verlässt, könnten
auf alle Autohersteller und somit
auch auf Bentley neue Zölle zukom-
men. Diese dürften nicht vollständig
durch Kosteneinsparungen und hö-
here Verkaufspreise ausgeglichen
werden, sagt Hallmark. Man verliere
entweder Gewinn oder Absatz. „Das
wäre ärgerlich. Aber es bringt uns
nicht um.“
Höhere Priorität hatte zunächst die
Planung für unmittelbar mögliche
Folgen durch Lieferschwierigkeiten.
Rund drei Dutzend Mitarbeiter wur-
den beauftragt, Lieferketten und Lie-
feranten zu überprüfen, zusätzliche
Lagerbestände aufzubauen und Al-
ternativen zum bisher genutzten Ha-
fen Dover auszuloten.
Statt über Dover-Calais kann nun
rund die Hälfte der aus der EU im-
portierten Bauteile, etwa von der
Konzernschwester Porsche aus Stutt-
gart, zukünftig über Bremerhaven-
Immingham geliefert werden. Benö-
tigte Komponenten werden mindes-
tens doppelt so lange wie bisher
vorgehalten. „Wir haben uns so gut
wie möglich vorbereitet“, sagt Hall-
mark.

„Etwa drei, vier Millionen Pfund“
hätten diese Maßnahmen bislang ge-
kostet. Aber er sehe es als eine Art
Versicherungspolice, für die er gern
bezahle: Wenn die Produktion still-
stände, dürften sich die Kosten auf
Hunderte Millionen belaufen. „Und
was passiert, wenn ein Autohersteller
keine Autos liefern kann, sehen Sie
an den Zahlen von 2018.“
Im vergangenen Jahr hatte Bentley
operativ 288 Millionen Euro Verlust
verbucht, der Absatz sank um fünf
Prozent auf knapp 10 500 Fahrzeuge,
aufgeteilt in 4 323 SUV Bentayga,
3 336 Continental, 2 316 Flying Spur
und 519 Mulsanne. „Das Jahr war
furchtbar“, gibt Hallmark zu, „uns
hat der perfekte Sturm getroffen.“
Die Einführung der neuen europäi-
schen WLTP-Abgasstandards verur-
sachte Probleme. Dazu kam, dass
Bentley mitten in der Entwicklung
neuer Modelle steckte.
Um die Probleme anzugehen, hat
Hallmark, der im Februar 2018 den
Chefposten übernahm, in den ver-
gangenen Monaten im nordengli-
schen Crewe alles auf den Prüfstand
gestellt und nach Einsparungsmög-
lichkeiten gesucht – im Produktions-
prozess genauso wie beim Einkauf
des Druckerpapiers und den Sandwi-
ches, die in Meetings verzehrt wer-
den. Die Zahl der Mitarbeiter sank
um fast zehn Prozent. In der Produk-
tion wurde die Zeit für die Fertigstel-
lung eines Autos um 25 Prozent ge-
kürzt.
Mithilfe eines Spaghetti-Dia-
gramms, das die Bewegungen jedes
Arbeiters bei jedem Produktions-
schritt aufzeichnet und analysiert,
wurden überflüssige Arbeitsschritte
identifiziert, zusammengelegt und
der Arbeitsablauf entsprechend ver-
ändert. Statt 54 Metern muss der
Bentley-Angestellte nun beim Einbau

der Türen sechs Meter zurücklegen –
und kann damit zusätzliche Aufga-
ben übernehmen.
Trotz der Neuerungen kommen
bei der Produktion noch immer le-
diglich zwei Roboter – die von den
Arbeitern Romeo und Julia genannt
werden – zum Einsatz. Der überwie-
gende Teil des Produktionsprozesses
erfolgt in Handarbeit. Das begründet
Hallmark mit den unterschiedlichen
Arbeitsschritten, die wegen der zahl-
reichen Individualisierungsmöglich-
keiten erforderlich seien.
Schließlich sind die Fahrzeuge, die
in Crewe von den 4 000 Mitarbeitern
zusammengebaut werden, alles an-
dere als ein Massenprodukt: Mindes-
tens 200 000 Euro kostet eines der
Autos, die – ganz nach Wunsch – mit
dem Leder süddeutscher Rinder,
dem Holz kalifornischer Walnussbäu-
me oder Humidor ausgestattet wer-
den und in denen sich unter ande-
rem Königin Elisabeth II. und andere
Royals chauffieren lassen.

VW-Tochter


Der Bentley-Chef baut um


Der britische Luxusautohersteller hat zuletzt schlechte Zahlen abgeliefert. Adrian Hallmark hat


drastische Maßnahmen ergriffen – und hofft, dass der Brexit seine Mühen nicht wieder zunichtemacht.


Ein Fahrer könnte jedoch eines Ta-
ges überflüssig werden. Zum 100. Fir-
menjubiläum im Juli wurde der Bent-
ley EXP 100 GT vorgestellt. Das futu-
ristisch wirkende Konzeptfahrzeug
basiert auf einer vollelektrischen
Plattform, soll eine Reichweite von
700 Kilometern haben und mit
Künstlicher Intelligenz sowie veganen
Sitzbezügen ausgerüstet sein. „Wir
müssen Luxus und Mobilität nachhal-
tig machen“, erklärt Hallmark, „da-
hinter steckt eine neue Philosophie,
wie wir in Zukunft Autos bauen.“
Das Plug-in-Hybrid-SUV Bentayga
war das erste elektrifizierte Fahrzeug
aus Crewe, bis 2023 sollen alle Mo-
delle mit dieser Option angeboten
werden. Rein elektrische Autos sollen
2025 auf den Markt kommen. „Das
ist deutlich später als Konkurrenten
wie Aston Martin“, gibt Autoexperte
David Bailey von der Universität Bir-
mingham zu bedenken. „Bentley
hinkt hinterher.“ Seiner Meinung
nach muss sich das Unternehmen auf
Nachhaltigkeit fokussieren, um sich
neu zu erfinden: „Die Zukunft ist
elektrisch“, sagt Bailey, „bei Bentley
hofft man, das zu schaffen und
gleichzeitig den Absatz zu steigern.
Das wird nicht leicht, wenn man
gleichzeitig seinen Ruf als Luxusmar-
ke erhalten will.“
Hallmark ist überzeugt, auf dem
richtigen Weg zu sein. Kritik, auch
von der Konzernspitze, kann er
nachvollziehen. Natürlich habe es
Fragen gegeben, als man Verluste
verbuchte, sagt er, aber in Wolfsburg
stehe man hinter Bentley. In 13 der
vergangenen 16 Jahre habe man Ge-
winne erzielt. Mindestens der Break -
even soll 2019 erreicht werden. „Der
Turnaround ist im Gange“, sagt Hall-
mark. „Wir sind fast am Ziel. Dieses
Unternehmen ist eine kleine Goldmi-
ne. Warten Sie nur ab.“

Adrian Hallmark: Der
Bentley-Chef fühlt sich auf
den Brexit vorbereitet.

REUTERS

Wir sind fast


am Ziel.


Dieses


Unternehmen


ist eine


kleine


Goldmine.


Adrian Hallmark
Bentley-Chef

In der Verlustzone
Bentley: Operatives Ergebnis in Mio. Euro

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170


-288 Mio. €


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55


HANDELSBLATT • Quelle: Unternehmen

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DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164

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