Jakob Blume Frankfurt
E
ine Regel an den Kapitalmärkten
scheint aktuell außer Kraft gesetzt zu
sein: Staatsanleihen gelten eigentlich
als weniger spekulativ, aber dafür auch
als weniger gewinnträchtig als Aktien.
Zuletzt sind die Kurse vieler lang laufender Staats-
anleihen allerdings ähnlich stark gestiegen wie Ak-
tien – oder haben die Performance der Börsenba-
rometer sogar in den Schatten gestellt.
So hat sich die zehnjährige Bundesanleihe seit
Jahresbeginn um knapp zehn Prozent verteuert.
Bei der 30-jährigen Bundesanleihe konnten sich
Anleger sogar über einen Kursgewinn von 25 Pro-
zent freuen. Der Leitindex Dax schaffte in diesem
Zeitraum lediglich zwölf Prozent. Ähnlich ist das
Bild in den USA: Die zehnjährige US-Staatsanleihe,
die gemeinhin als das sicherste Wertpapier der
Welt gilt, verteuerte sich seit Jahresbeginn um
zwölf Prozent, die 30-jährige US-Anleihe sogar um
knapp 30 Prozent. Zum Vergleich: Das breite US-
Börsenbarometer S&P 500 legte um 19 Prozent zu.
Das letzte Mal, dass lang laufende Staatsanleihen
gegenüber Aktien so stark abgeschnitten haben, da-
tieren die Analysten der Bank of America Merrill
Lynch (BofA) auf das Jahr 1993. Die US-Experten le-
gen sich in einer aktuellen Studie daher fest: „Anlei-
hen sind die neuen Aktien.“ Die Kursgewinne bei si-
cheren Anleihen haben im Umkehrschluss dazu ge-
führt, dass die Renditen dramatisch gesunken sind.
Weltweit stehen Anleihen mit einem Volumen von 16
Billionen Dollar aus, die negative Renditen abwerfen.
Auch das Volumen europäischer Unternehmens-
anleihen mit negativer Rendite hat mit 1,1 Billionen
Dollar einen neuen Rekord erreicht. Das entspricht
etwa der Hälfte des gesamten ausstehenden Volu-
mens europäischer Firmenbonds.
Selbst bei einem Unternehmen wie Nokia, das in
der Vergangenheit kurz vor der Pleite stand und als
Hochzins-Emittent eingestuft wird, zahlen Anleger
aktuell dafür, der Firma Geld leihen zu dürfen. Die
Entwicklung führen die BofA-Analysten auf einen
nicht enden wollenden „Hunger nach Rendite“ zu-
rück. Weil Staatsanleihen im Euro-Raum kaum
noch positive Renditen abwerfen, weichen Investo-
ren auf immer riskantere Papiere wie Unterneh-
mensanleihen oder Junk-Bonds aus, sodass auch
dort die Kurse steigen und die Renditen fallen.
Die historisch niedrigen Refinanzierungskosten
könnten die Unternehmen dazu nutzen, um sich
stärker zu verschulden. Die Notenbanker hoffen,
„Anleihen sind die
neuen Aktien“
Höhere Kursgewinne bei
geringeren Schwankungen:
Anleger und Strategen schauen
derzeit voller Neid auf die
Bondmärkte. Viele lang laufende
Zinspapiere schneiden deutlich
besser ab als Aktien. Eine
Trendwende ist nicht in Sicht.
New Yorker Wall Street:
Gefragte Anleihen.
mauritius images / Callum Fraser / Alamy
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Geldanlage
DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164
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