Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1
Anleihen liegen vorn
Kursveränderung seit 1.1.2019

30-jährige Bundesanleihe+28,8 %
Dax+10,2 %

30-jährige Staatsanleihe


USA Deutschland


S&P 500


+23,5 %
+13,
%

HANDELSBLATT • Quelle: Bloomberg1.1.2019 26.8.


+40

+30

+20

+10

0

-10

% % % % % %

1.1.2019 26.8.


+40


+30


+20


+10


0

-10

% % % % % %

dass Firmen durch das niedrige Zinsniveau ermun-


tert werden, Investitionen zu finanzieren. Doch die


BofA-Analysten befürchten, dass viele Unterneh-


mer in negativ verzinsten Anleihen „eher ein Ver-


mögenswert als eine Verbindlichkeit sehen“ – und


daher mehr Schulden aufnehmen.


Zudem scheinen sich Aktien- und Anleihemärkte


immer stärker voneinander zu entkoppeln, ist der


Eindruck der BofA-Analysten. Während Anleihe-


fonds in den vergangenen beiden Wochen die


höchsten jemals gemessenen Zuflüsse verzeichne-


ten, mussten Aktienfonds massive Abflüsse verkraf-


ten. Die Angst vor einer Eskalation des Handels-


konflikts zwischen den USA und China und die


mauen Wirtschaftsdaten aus Deutschland, die zu-


letzt immer wieder die Aktienmärkte belastet ha-


ben, konnten den konjunktursensiblen Hochzins-


anleihen kaum etwas anhaben.


Während die Risikoprämien an den Aktienmärk-


ten gestiegen seien, haben sich die Risiko-


aufschläge für Hochzinsanleihen nur


leicht bewegt. „Diese Lücke spie-


gelt aus unserer Sicht den EZB-


Put wider“, schreiben die Bo-


fA-Analysten. Die Märkte


nähmen bereits vorweg,


dass die Europäische Zen-


tralbank (EZB) die Zinsen


senkt und ein neues milli-


ardenschweres Anleihe-


kaufprogramm auflegt.


„Es gab nie eine größere


Notwendigkeit für die Zen-


tralbanken zu liefern, was die


Märkte wollen“, urteilen die Ana-


lysten. Sollten die Notenbanken die


Erwartungen der Anleger enttäuschen,


könnte es zu einem deutlichen Ausverkauf an


den Kapitalmärkten kommen, befürchten sie.


Milliarden von der EZB


Auch Daniel Lenz, Anleiheexperte der DZ-Bank, er-


wartet, dass die EZB im September ihre Anleihe-


käufe erneut aufnimmt. Bei Staatsanleihen dürfte


die Notenbank jedoch schnell an ihre Grenzen


kommen. Denn die EZB darf maximal ein Drittel al-


ler Staatsanleihen eines Emittenten halten. Zudem


darf sie auch nur ein Drittel des ausstehenden Vo-


lumens einer einzelnen Emission halten. Die Klau-


seln hat sich die EZB selbst auferlegt, um die Anlei-


hemärkte nicht auszutrocknen und im Fall eines


Zahlungsausfalls nicht in einen Interessenkonflikt


zu geraten.


Lenz schätzt, dass die Notenbank künftig mo-


natlich Anleihen im Wert von 30 Milliarden Euro


kaufen könnte. Doch bei einem Kaufprogramm in


diesem Umfang dürfte die EZB bereits nach sieben


Monaten die Drittel-Grenze bei allen ausstehenden


deutschen Staatsanleihen erreicht haben, erwartet


er. Diese selbst auferlegten Regeln abzuschaffen


dürfte der EZB jedoch schwerfallen, meint Lenz.
Sie könnte „gegen das Verbot der monetären
Staatsfinanzierung verstoßen“. Auch überpropor-
tional viele italienische und französische Staatsan-
leihen zu kaufen, deren Anteil in der EZB-Bilanz
noch nicht ganz so gewichtig ist, wäre politisch
höchst umstritten. Daher lautet sein Fazit: „Ange-
sichts der Probleme, die sich bei der Wiederbele-
bung des Anleihekaufprogramms ergeben, wird
die EZB ihre Käufe auf weitere Anleihesektoren
ausweiten müssen.“

Hoffen auf weitere Kursgewinne
Aus seiner Sicht dürften dabei vor allem Unter-
nehmensanleihen profitieren, die zudem weiter-
hin höhere Renditen als Staatsanleihen abwerfen.
„Unternehmensanleihen dürften mit Blick auf das
länger anhaltende Niedrigzinsszenario als Rendi-
teobjekt gesucht sein.“ Marco Stoeckle, Experte
für Unternehmensanleihen der Commerz-
bank, empfiehlt dabei Anleihen mit
guter Bonität, sogenannte Invest-
ment-Grade-Bonds. Diese kön-
nen direkt von der EZB gekauft
werden und dürften direkt
von einem auf Firmenanlei-
hen erweiterten Kaufpro-
gramm profitieren. Anleger
können daher auf Kursge-
winne hoffen. Weil diese zu
weiter sinkende Renditen
bei Investment-Grade-Papie-
ren führen dürften, könnten
einige Anleger auch auf Hoch-
zinsanleihen ausweichen. Daher
dürften auch dort die Kurse steigen,
die Renditen im Gegenzug sinken.
Hochzinsanleihen allerdings sind aus Sicht von
Stoeckle wenig attraktiv. „Wir würden in keinem
großen Hochzins-Segment zusätzliche Positionen
aufbauen“, meint er. Firmen, die kurz vor dem Auf-
stieg in den Investment-Grade-Bereich stehen, wer-
den bereits heute mit sehr niedrigen Renditen ge-
handelt, die sich kaum von Anleihen mit guter Bo-
nität unterscheiden. Riskantere Titel bieten zwar
noch Erträge, doch diese „spiegeln die erhöhten
Risiken für den Wachstumsausblick nicht ausrei-
chend wider“, warnt Stoeckle.
Für Staats- wie Unternehmensanleihen gilt: Die
immer geringeren Renditen für Papiere mit langen
Laufzeiten erhöhen das Risiko eines Ausverkaufs
am Anleihemarkt, sollten die Zinsen doch irgend-
wann wieder anziehen. Denn Anleihekurse fallen,
wenn das Zinsniveau steigt. Der Kursverfall fällt
umso höher aus, je länger die Restlaufzeit der An-
leihe zum Zeitpunkt der Zinserhöhung ist und je
geringer der Zinskupon ausfällt. Bisher deutet je-
doch nichts darauf hin, dass die beispiellose Bond-
Rally zu Ende geht. Anleihen könnten Aktien noch
eine ganze Weile den Rang ablaufen.

Bulle & Bär


Umverteilung


mit grünem


Anstrich


W


enn die Politik mit einer Idee
gleich zwei gesamtgesellschaft-
liche Probleme lösen will, ist
Vorsicht angebracht. Das gilt auch für den
Vorstoß der CSU, über die staatliche Bank
KfW eine mit zwei Prozent verzinste grü-
ne Anleihe auszugeben und damit Klima-
schutzprojekte in Deutschland zu finan-
zieren. Der Vorschlag, verbreitet über die
„Bild am Sonntag“, klingt bestechend. Die
Bürger sollen sich an der Finanzierung
der Energiewende beteiligen können. Und
bei einem Zins von zwei Prozent pro Jahr
über zehn Jahre bieten sie einen Ausweg
für die vom Negativzins bedrohten deut-
schen Sparer.
Doch der CSU-Vorstoß geht komplett an
der Realität der Finanzmärkte vorbei. Er
ist zudem offenbar mit niemandem in der
KfW abgesprochen, wie die Reaktion der
Förderbank zeigt: Sie will sich auf Anfrage
nicht äußern. Fakt ist: Die KfW kann sich
ebenso wie der Bund so günstig refinan-
zieren wie nie. Ein bis bis 2027 laufender
Green Bond der KfW wirft derzeit eine
Rendite von minus 0,5 Prozent ab. Wer al-
so soll die 2,5 Prozentpunkte Zusatzrendi-
te bezahlen? Die KfW könnte in der Theo-
rie freiwillig einen höheren Geldbetrag als
den marktüblichen Zins an die Halter der
Anleihe ausschütten. Doch das käme ei-
ner Umverteilung von Steuergeld an jenen
Teil der Bevölkerung gleich, der es sich
leisten kann, Geld in Wertpapieren über
zehn Jahre lang einzufrieren.
Die KfW könnte auch Kredite zu zwei
Prozent plus X für Klimaschutzprojekte
anbieten, um die Kuponzinsen zu finanzie-
ren. Doch im Niedrigzinsumfeld wäre ein
solches Kreditprogramm wohl kaum wett-
bewerbsfähig. Zudem müsste die Förder-
bank die Anleihe außerhalb ihres beste-
henden Finanzierungsprogramms laufen
lassen und den Handel mit den Papieren
beschränken. Sonst stürzen sich institutio-
nelle Kunden auf die Anleihen, treiben die
Kurse und drücken damit die Rendite in
jene Regionen, in denen die Green Bonds
der KfW ohnehin gehandelt werden.
Der CSU-Vorstoß könnte zudem die Am-
bitionen der Bundesregierung kannibali-
sieren, eine grüne Bundesanleihe auf den
Markt zu bringen. Die soll ohne Mehrkos-
ten für die Steuerzahler auskommen. Der
Vorschlag einer Klimaanleihe wirkt daher
ähnlich wie die Autobahnmaut der CSU:
unausgegoren und realitätsfremd.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Jakob Blume

30


MILLIARDEN


Euro monatlich könnte die
EZB mittels eines neuen Anleihe-
kaufprogramms investieren.

Quelle: DZ Bank


Private Geldanlage


DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164


35

Free download pdf