Süddeutsche Zeitung - 29.08.2019

(Grace) #1
HierdieVorfahrtgenommen,daeinAuto
touchiert,inderzweitenReihegeparktals
Normalfall–Kurier-,Express-undPaket-
dienste(KEP)verhaltensichnichtgerade
zimperlich,wennsieinderStadtunter-
wegssind.Siehabenesaberauchnicht
leicht.DerpermanenteZeitdrucksorgtda-
für,dassdieFahrernachlässigerwerden
undvermehrtUnfällebauen.Dasmerken
auchdieVersichererderFahrzeugflotten.
KEPsindnachwievordiegrößtenKosten-
treiberinderFlottenversicherung.

DasGeschäftmitderVersicherunggro-
ßerFahrzeugflottenmachtRisikoträgern
derzeitwenigSpaß.Immernochmüssen
sieproeingenommenenPrämieneuro
draufzahlen,weilSchädenundKostenzu-
sammenhöhersind.2018warenesvier
Cent,dasJahrdavorknappfünfunddavor
sechs.Immerhin,dieSchaden-undKos-
tenquotesinkt–wennauchnurgeringfü-
gig.Wastun,wennesnachmehralseinem
JahrzehntindenrotenZahlenimmernoch
nichtläuft?WährenddieAnbieterimpriva-
tenKfz-BereichkräftigindigitaleLösun-
geninvestieren,siehtesinderFlottenversi-
cherungehermauaus.
UnterdurchschnittlichePrämienstehen
überdurchschnittlichenSchadenaufwen-
dungengegenüberundtragenzumanhal-
tendenMinusgeschäftinderFlottenversi-
cherungbei.DiePreiselassensichanders

alsimprivatenKfz-Bereichnichtandenje-
weiligenFahreranpassen,sondernsind
vomSchadenverlaufderFlotteabhängig.
GibtesvieleUnfälle,alsoeineSchadenquo-
tevonmehrals70Prozent,steigendiePrei-
sean.IstderSchadenverlaufpositiv,gibt
esPrämienreduzierungen,erklärtDenis
Gommel,ExpertefürdieAbsicherungvon
Kfz-FlottenbeimVersicherungsmakler
Aon.„InsgesamtwirdsichdasPrämienni-
veauinderFlottenversicherungabersolan-
geerhöhen,bisderMarktschwarzeZahlen
schreibt“,sagtGommel.
DarankönnenauchAssistenzsysteme
wiePark-undSpurhalteassistentenwenig
ändern–dennwennesmalkracht,wirdes
teuer.InderVollkaskoversicherungseien
dieKostensogarspürbargestiegen,dadie
beieinemUnfallbetroffenenStellenvorne
undhintenamAutoinzwischenimmeröf-
termittechnischenHelfernausgestattet
sind,erklärtHaraldSeliger,LeiterKraft-
fahrtBetriebbeiR+V.„AufderanderenSei-
tesehenwiraberaucheineAbnahmeder
Schadenhäufigkeit,weildieSystemejaei-
gentlichdieSchädenverkleinernoderbes-
tenfallskomplettverhindernsollen.“Sei-
nenHöhepunktwerdedieseEntwicklung
imJahr2035erreichen,schätztderMakler
Aon.Spätestensdannwerdeesaucheine
starkeMarktdurchdringungmitautomati-
siertenFahrzeugengeben.
DasRisikomanagementistdasAundO
inderFlottenversicherung.R+V-Experte
SeligersiehtdeshalbdieZukunftinunfall-
vorbeugendenAssistenzsystemen,die
sichbestenfallsauchnichtmehrabschal-
tenlassensollen.IneinemaktuellenPilot-

projekttestetderVersicherergemeinsam
miteinemgroßenLkw-HerstellerAbbiege-
assistenten.ImGegenzugprofitiertder
KundevoneinemPrämiennachlass.Den
Ansatzwillerweiterausbauen.Aberauch
analtbewährtenMittelnhältR+Vfest.So
zähltderVersichererimmernochFahrer-
schulungenzuseinenRisikomanagement-
Lösungen.EinInstrument,dasnichtjeder
fürsinnvollerachtet.MichaelSeidlhält
vonSchulungenfürFahrerwenig.DerEx-
pertearbeitetbeiderDMWAssekuranz
undistdortfürdenVersicherungseinkauf
desAutozulieferersDräxlmaierverant-
wortlich.SeinezubetreuendeDienstwa-
genflotteweisteinedeutlicherhöhteScha-
denquoteauf,auchFahrerschulungenwur-
dendeshalbinErwägunggezogen,dann
aberschnellverworfen.„UnserBetriebsrat
hatunsdaraufaufmerksamgemacht,dass

dieVergabeeinesFahrertrainingsaneinen
MitarbeitervielleichtalseineArtBeloh-
nunggesehenwerdenkann“,erklärtSeidl.
„UnfallfreieMitarbeiterkönntensichfra-
gen,warumdasUnternehmenden
schlechtfahrendenKollegeninFormvon
bezahltenFahrerschulungenbelohnt.“Des-
halbhältSeidldenEinsatzvonTelematik
fürsinnvoller.MitderTechnikließensich
SchadensituationenauswertenundRück-
schlüsseaufgefährlicheSituationenzie-
hen,fürdieFahreranschließendsensibili-
siertwerdenkönnten,erklärtSeidl.
DiebereitsaufdemMarktexistieren-
denTelematik-Angebotemüsstenfürden
EinsatzimFlottenbereichweiterentwi-
ckeltwerden.VorallemBetriebsrätehaben
Zweifel,wennsievonderneuenTechnik
hören.Siesehendatenschutzrechtliche
ProblemeindemKonzept,daauchprivate
FahrtenmitdemDienstwagenaufgezeich-
netwerdenkönnten.Dasistetwas,wasVer-
sichererberücksichtigensollten,wennsie
mitneuentechnischenLösungenanihre
Kundenherantreten,meintSeidl.Aon-Ex-
perteGommelsiehtdiegesamteEntwick-
lungnochindenKinderschuhen.Telema-
tikgebeeszwarschoninderprivatenKfz-
Versicherung,aberimFlottenbereichspie-
lesienocheineuntergeordneteRolle.„Die
MarktdurchdringungvonTelematik-Tari-
fenfürdiegesamteKfz-Versicherungliegt
gerademalbei0,5Prozent“,erklärtGom-
mel.
DerDigitalisierungwerdenaberauch
Grenzengesetzt.Sokannsichkeinerder
Expertenzurzeitvorstellen,Flottenpoli-
cenvollkommendigitalanzubietenoder
abzuschließen.Seidlhältandempersönli-
chenKontaktmitdemVersichererfest,um
nichtnureineNummer,sonderneinePer-
sonmiteinemGesichtzusein.


Wenn es kracht, wird es teuer


NeueTechnikkannVerkehrsunfällenvorbeugen,aberauchdieMitarbeiterausspionieren




I


nderRekordhitze2018warimRhein
keinDurchkommenmehr.DerPegel-
standdesFlusseswarsostarkgesun-
ken,dassderwichtigeTransportwegfür
Frachtschiffeunpassierbarwurde.Indie-
semSommerstanddasniedersächsische
AtomkraftwerkGrohndekurzvorderNot-
abschaltung,dadasKühlwasserausder
Weserzuwarmzuwerdendrohte.ImIn-
undAuslandtünchenbereitsBahngesell-
schaftentestweiseGleisabschnitteweiß,
umHitzeschädenvorzubeugen.Mitextre-
menHitzeperioden,Unwetternundstei-
gendenMeeresspiegelnhatderKlimawan-
deldramatischeFolgenfürdieNatur–und
auchdieIndustriespürtdenUmbruchhef-
tig.BeiKonzernensorgenWetterextreme
oftmalsfürMillionenschäden.
DerChemiekonzernBASFverzeichnete
2018durchdenEngpassimRheinGewinn-
einbußenvon250MillionenEuro.DerKon-
zernbeziehtKühl-undBrauchwasseraus
demFlussundtransportiertdarüberWa-
ren.EinBASF-WerkliegtinLudwigshafen.
„Wirarbeitendaran,denBASF-Standort
amRheinrobustergegenextremeKlima-
zuständeundihreFolgenaufzustellen“,
sagtPatrickFiedler,SeniorVicePresident
beiBASF.EinFrühwarnsystemsollvor
Niedrigwasserwarnen.DerKonzernentwi-
ckeltaußerdemeigeneSchiffe,diebeson-
dersgutfürextremesNiedrigwassergeeig-
netseinsollen.

KonzernewieBASFmüssenihreStand-
ortesorgsamwählen.„Beimgeplanten
neuenVerbundstandortvonBASFinChina
mitinsgesamtzehnMilliardenDollarIn-
vestitionsvolumenisteinezentraleFrage,
welcheLandaufschüttungennotwendig
sind,umdenStandortvorÜberflutungen
zusichern“,erläutertFiedler.Zugleich
mussderKonzernsicherstellen,dassbei
neuenWerkenimmerausreichendWasser

fürdieProduktionverfügbarist.DieKlima-
veränderungenstellenKonzernebeider
VersicherungihrerAnlagenundProzesse
vorgroßeHerausforderungen.„Wirhaben
vergangenesJahrinderRheinschifffahrt
gesehen,wiesehrdieLieferketteunter
DruckkommtwennSchiffeProdukteoder
Rohstoffenichtmehrtransportierenkön-
nen,“sagtThomasOlaynig,Geschäftsfüh-
rerbeimGroßmaklerMarsh.„Niedrigwas-
serdeckungensinddefinitiveinThema.“

EineGefahrsindauchzuhoheWasser-
pegel.„ZuunserenKundengehörenauch
Unternehmen,dieküstennahproduzie-
ren“,sagtMarkusGroth,LeiterderRisiko-
beratungMarshRiskConsulting.„Siebe-
schäftigensichverständlicherweiseschon
mitderFrage,obsieangesichtsdessteigen-
denMeeresspiegelsihreProduktionsstät-
tenperspektivischumsiedelnsolltenund
wennja,wohin.“EinsolcherUmbauistmit
hohenInvestitionenverbunden.
„Ichkannnichtgenugbetonen,dass
sichUnternehmenaufdieAuswirkungen
desKlimawandelsvorbereitenmüssen“,
sagtEugenieMolyneux,ChiefRiskOfficer
CommercialInsurancedesVersicherersZu-
richundergänzt:„Siemüssenjetzthan-
deln!“EinigeBranchenseiensichderKli-
marisikensehrbewusstundgingensiean.
Molyneuxberichtetvoneinerchilenischen
Bergbaugesellschaft,dievorsorglichan
derKüsteeineeigeneWasser-Entsalzungs-
anlagegebauthat,umdieProduktionge-
genWasserknappheitabzusichern.DieAn-
lagebelieferteinewüstennaheMinemit
Süßwasser,umdortdasgeschürfteRohma-
terialauszuwaschen.
„DerKlimawandelwirdbestehende
undunsbekannteRisikenverschärfen“,er-
wartetMaklerGroth.Beispielsweisesteigt
dasRisiko,dassHerstellerProduktezu-
rückrufenmüssen,weilsiebeideutlichhö-
herenAußentemperaturennichtfunktio-
nieren.ZugleichwächstdasRisikovonBe-

triebsunterbrechungen.„Manmussper-
manentmitdenKundendarüberspre-
chen,wiesichihrGeschäftsmodellundda-
mitauchihreRisikenweiterentwickeln“,
sagtOlaynig.
KonzernemüssendieGefahrengenau
kennen,umsieüberihrRisikomanage-
mentundmithilfevonVersicherungenab-
zusichern.NeueTechnologienspielenda-
beieinewichtigeRolle.„EswirdfürUnter-
nehmenimmerwichtigerzuwissen,wann
sieeigentlichwowelcheWerteundProduk-
tehabenundobsieimgewünschtenZu-
standsind“,sagtOlaynig.SensorenanCon-
tainernundTransportfahrzeugenkönnen
DatenfüreinEchtzeit-Risikomanagement
generieren.DieInformationenlassensich
mitWetterdatenkombinieren.Sokönnen
Herstellerrechtzeitigerkennen,wenneine
LieferungunterwegsvoneinemOrkange-
troffenwerdenkönnte.
DerKlimawandelwirdauchdieVersi-
cherungsangebotebeeinflussen,erwartet
derMaklerMarsh.„Vorstellbarist,dassin
einigenBereichenvermutlichwenigerBe-
darfanVersicherungsproduktenbestehen
wird,dieüberlängereZeiträumevonzwei
bisfünfJahrenabgeschlossenwerden“,
sagtRisikoexperteGroth.„Wennsichdas
Wetterschnellerundheftigerverändert,
werdenwirvermutlichVersicherungslö-
sungensehen,dieKundenfürkürzereZeit-
räumenutzenwerden.“DaskönntenPoli-
censein,dieLandwirtefüreinezweimona-
tigeErntezeitabschließen.

MitSorgebeobachtenMaklerundKun-
den,dasssichimmermehrVersichererab-
ruptausklimaschädlichenBereichenwie
derKohlezurückziehen.„Ichwünschemir
imInteressederKunden,dasseskeinenso-
fortigenAusstiegausjedwederDeckung,
beispielsweisefürKohlekraftwerkegibt“,
sagtMaklerOlaynig.ErrätzumDialog.
„DieKundensindnatürlichaufdemWeg
zuerneuerbarenEnergien,abermomen-
tangibtesnunmalnochKohlekraftwer-
ke.“DasrichtigeMaßseientscheidend.
DerVersichererZurichwillseineIndus-
triekundenzumehrKlimaschutzbewe-
gen.„Unternehmen,diesichbemühen,
vontreibhausgasintensivenfossilen
Brennstoffenwegzukommen,werdenda-
fürbelohnt“,sagtRisikoexpertinMoly-
neux.„WennsieeinendetailliertenUm-
stiegsplanvorlegen,bekommensiebeider
VersicherungkeineProbleme“,sagtsie.An-
dernfallsmusssichderKundejedochnach
einemAnbieterumsehen.„Wennsiekei-
nensolchenPlanhaben,erleichternwirih-
nendenWechselzueinemalternativenVer-
sicherer”,sagtMolyneux.

Angst vor dem


Klimawandel


Expertenrechnenmitkürzerlaufenden
Policen,daWetterextremezunehmen
undsichschnellverändernkönnen

VersichererkündigenKunden,
diemitfossilenBrennstoffen
arbeiten

WasserfürdieWüste:
DieProduktion
mussweiterlaufen

Unternehmenmüssen
ganzbesondersauf
sichereStandorteachten

Beimanchengehören
Fahrerschulungen
zumRisikomanagement

Betriebsrätehaben
Bedenken,wasden
Datenschutzangeht

DEFGH Nr.199,Donnerstag,29.August2019 SZSPEZIAL– KONZERNE VERSICHERN 31


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