Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

6 |SA./SO.,24./25.AUGUST2019DAgenda:WaAgendahlkampf in SocialMedia ERSTANDARDWOCHENENDE


Die Sozialdemokraten haben imFrühjahr eineAufholjagdinsozialenMediengestartet.


Die SPÖstecktnun Geld und Ressourcen inFacebook, Instagram und Co–vor allemaber hat


sie Schweizer Strategengeholt, diePolitiker mittelsVerhaltensökonomie beliebtmachen.


Wi edie SPÖ


Facebook entdeckte


BERICHT:Katharina Mittelstaedt, Leopold Stefan

F


ast alle Parteien tun es, die
meisten sprechen bloß nicht
darüber: Online-Targeting.
„Wenn wir wollten, könnten
wir ein Posting nur an Face-
book-User ausschicken, die
sich gerade in diesem Kaffee-
haus befinden“, sagt Michael Würges,
Leiter der Social-Media-Abteilung der SPÖ,
und rührt seinen Verlängerten. Das wäre
freilich nicht besonders zielführend.
Die Sozialdemokraten würden diese
Form gezielter Kommunikation aber etwa
anwenden, wenn sie am 1. Mai Leute, die
sich gerade in der Nähe des Demozuges
befinden, motivieren möchten, auch teil-
zunehmen.Man könne auch ausschließlich
FPÖ- oder Grünen-Sympathisanten, Junge,
Alte oder Menschen auf dem Land mit per-
fekt für die Zielgruppe geeigneten roten
Inhalten erreichen–Sozialthemen für FPÖ-
Anhänger,Klimaforderungen nur für Grü-
nen-Affine. Facebook macht das möglich.
Der Social-Media-Konzern weiß schließlich
alles über seine Schäfchen–und stellt die
InformationenKommunikatoren bereit.
Die heimische Sozialdemokratie hat
diesen Frühling Social Media für sich ent-
deckt. Im Onlinewahlkampfteam arbeiten
heute rund zwei Dutzend Leute, seit März
2019 hat die SPÖ mehr als 150.000 Euro
in ihre Facebook-Reichweite gesteckt. Im
WahlkampfvonChristianKernwarendiese
Dimensionen noch völlig undenkbar.

Mehr Likes sind kein Zufall
Lange Zeit galten die FPÖ und ihr dama-
liger Chef Heinz-Christian Strache als Vor-
reiter der Onlinekommunikation. Dann zog
ÖVP-Obmann Sebastian Kurz nach. Im Juli
2019 war es die SPÖ, die die meisten Inter-
aktionenindenrelevantensozialenMedien
verzeichnete, zeigt eine Auswertung der
Monitoringseite Storyclash. Chefsozial-
demokratin Pamela Rendi-Wagner hat mit
rund 100.000 Fans auf Facebook zwar deut-
lich weniger Anhänger als Kurz mit mehr
als 800.000 Followern. Aber sie bekommt
mehrLikes,SharesundKommentarealsdie
Konkurrenz.
Das ist kein Zufall. Dahinter steckt eine
Strategie. Und die wurde nicht von den ro-
ten Chefkommunikatoren, sondern einer
Schweizer Beratungsagentur entworfen.
Fehr Advice heißt das Unternehmen, das
sich gemeinsam mit den Sozialdemokraten
kein geringeres Ziel gesteckt hat, als mit
jedem Österreicher mit Facebook-Account
vor der Wahl am 29. September zumindest
ein Mal in Kontakt zu treten.
Die externen Social-Media-Experten set-
zen dabei auf etwas, das in der gängigen
Politikberatung für gewöhnlich weniger
Beachtung findet: Verhaltensökonomie.
Um zu verstehen, was diese in der politi-
schen Kommunikationnutzt, muss man
Fehr Advice genauer betrachten: Am An-

fang der Unternehmensgründung standen
ein ungleiches Brüderpaarund eine Idee.
Die beiden gebürtigen Österreicher Ernst
undGerhardFehrwolltenihreExpertiseaus
der Weltder Wissenschaft und des Unter-
nehmertums verbinden. Der an der Uni
Zürich forschende Volkswirt Ernst Fehr ist
Pionier der Verhaltensökonomieund gilt als
einer der einflussreichsten Ökonomen im
deutschsprachigen Raum, viele handeln
ihn als Anwärter auf den Nobelpreis. Sein
jüngerer Bruder Gerhard Fehr, ebenfalls
Ökonom, sammelte über vieleJahre Erfah-
rung in der Schweizer Finanzbranche.

Wie Menschen ticken
VorelfJahrenwurdedieIdeegeboren,aus
dem 25-jährigen Fundus des Verhaltens-
forschers praktische „Managementtools“
für Wirtschaft und Politik abzuleiten.
Wie das funktioniert? Statt theoretische
Modelle zu basteln, die auf abstrakten
Annahmen über Individuen basieren, stu-
dierten Fehr und seine Kollegen, wie sich
Menschen tatsächlich verhalten. Durch ge-
schickt gestaltete Experimente ergründen
die Forscher seither, wie sich Leute mo-
tivieren lassen und was dahintersteckt,
wenn jemand scheinbar irrational handelt.
Indem sie ihre Probanden in Spielen um
Geld gegeneinander antreten oder zusam-
menarbeiten lassen, sehen die Ökonomen,
wann der Mensch dazu neigt, andere übers
Ohr zu hauen–oder sich zugunsten der
Allgemeinheit aufzuopfern.

Was Ökonomen dabei helfen soll, das
Verhalten von Marktteilnehmern besser zu
verstehen, ist ein gefundenes Fressen für
Marketingabteilungen und Politiker, die
sich nichts sehnlicher wünschen, als das
Verhalten ihrer Kunden oder Wähler zu
verstehen–besser noch: zu beeinflussen.
Genau das verspricht Fehr Advice seinen
Klienten. Mit „Behavioral Tech“ designen
die Berater Umfragen und Experimente für
ihre Kunden, die auf den Erkenntnissen der
Verhaltensökonomie beruhen.
Eine zentrale Erkenntnis der Disziplin:
Menschen werden oft am besten motiviert,
wenn sie sich stark mit einer Sache identi-
fizieren. Das ist weniger banal, als es klingt.
Schließlich konkurrieren Identitätsanreize
oftmals mit egoistischen Gewinnchancen.
Aufs Politische übertragen: Ein Wähler
unterstützt mitunter eher eine Partei, die
für etwas einsteht, womit er sich identi-
fiziert, selbst wenn die Pläne der Politiker
vom Wähler Opfer fordern–man denke an
einen Autofahrer, der die Grünen wählt.
Am Anfang der Beratung der SPÖ stan-
den ein „Basisworkshop zu Social-Media-
Strategien und -Kampagnen“ und eine
Fehleranalyse. Was die Sozialdemokraten
demnach bisher falsch machten: Über So-
cial Media wurden „Botschaften“ platziert.
„Wir mussten erkennen, dass das so nicht
mehr funktioniert“, sagt Würges. „Die Leu-
te haben uns einfach nicht zugehört.“
Fehr Advice hat deshalb ein Konzept
entwickelt, das gerade bei eingesessenen

SPÖ-Chefin Pamela
Rendi-Wagner setzt
im Wahlkampf trotz ständiger
Begleitung eines Profi-
fotografen auf Bilder der
Kategorie „Schnappschüsse“.
Die Fotos würden kaum
retuschiert, heißt es.
Screenshots: Instagram/Twitter SPÖ
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