Süddeutsche Zeitung - 31.08.2019

(Tuis.) #1
von marco völklein

E


in kleines Bisschen macht Joa-
chim Breuninger, der Direktor
des Verkehrsmuseums in Dres-
den, es so wie der sächsische
Kurfürst Friedrich August I., ge-
nannt August der Starke. Als der 1719 sei-
nen Sohn Friedrich August II. mit der öster-
reichischen Kaisertochter Maria Josepha
verheiratete, war Prunk und Protz ange-
sagt. Mehr als 1000 Gäste aus ganz Europa
kamen angereist, feierten einen Monat
lang. Und auch Breuninger und seine Kolle-
gen setzen nun ein wenig auf die Pracht
von damals, wenn sie in einer Sonderaus-
stellung an die Hochzeit erinnern.
So haben die Ausstellungsmacher eine
Prachtkutsche organisiert, vor etwas mehr
als einer Woche kam die Leihgabe per Lkw
aus dem tschechischen Olmütz. „Das ist
unser Eyecatcher“, sagt Breuninger. Die
Grand Carrosse, die prächtig gestaltete
Kutsche – es wurden nur edelste Hölzer
verarbeitet, dazu Leder und Seide für die
Innenausstattung, Gold- und Silberele-
mente schmücken das Äußere – soll die Be-
sucher anlocken in die Sonderausstellung.
Allein sieben Fenster umrahmen den
Fahrgastraum der Karosse – ein Zeichen
dafür, dass hier jemand Hochgestelltes un-
terwegs war, erklärt Benjamin Otto, der Be-
reichsleiter Ausstellungen im Verkehrsmu-
seum. „Acht Fenster waren das Maxi-
mum.“ Je mehr Fenster eine Grand Carros-
se aufwies, je mehr Pferde dem Prunkwa-
gen vorgespannt waren – desto wichtiger
war die Persönlichkeit, die in ihm unter-


wegs war. Als die Braut aus Österreich im
August 1719 nach der Vermählung in Wien
und einer anstrengenden Reise nach Dres-
den feierlich in der Residenzstadt einzog,
waren acht Pferde vorgespannt, sagt Otto.
Auch das war das Maximum, eigentlich
nur Königen und Päpsten vorbehalten.
Mehrere Dresdner Museen erinnern in
diesem Jubiläumsjahr an die prunkvolle
Hochzeit vor 300 Jahren. Sie zeigen auf,
wie strategisch August der Starke vorging,
wie er versuchte, durch die Vermählung sei-
nem Kurfürstentum im Gerangel der euro-
päischen Adelshäuser mehr Geltung zu ver-
schaffen. Im Verkehrsmuseum richten die
Ausstellungsmacher den Fokus dabei auf
die Mobilität im 18. Jahrhundert.

Und sie machen schon zu Beginn der
Sonderschau klar: „Damals schon waren
die Menschen sehr mobil“, sagt Otto. Und
zwar nicht nur die aus der Oberschicht. Wa-
ren mussten transportiert werden, Fuhr-
leute organisierten das. Der Adel und das
gut situierte Bürgertum gingen auf Bil-
dungs- und Besuchsreisen, Kaufleute und
Bankiers brachen auf, um Geschäfte anzu-
bahnen. Auch Migration war ein Thema,
weil Hungersnöte oder Seuchenausbrüche
die Menschen dazu zwangen, sich auf den
Weg zu machen. Wohin auch immer.
Doch mobil zu sein war damals alles an-
dere als bequem, es war beschwerlich und

zeitaufwendig. Wer es sich leisten konnte,
fuhr mit der Postkutsche oder mit dem ei-
genen Wagen, Männer indes reisten meist
hoch zu Ross. Sich im Wagen von A nach B
kutschieren zu lassen, galt als „unmänn-
lich“, sagt Dana Runge, die Kuratorin der
Dresdner Sonderschau. Frauen wiederum
reisten selten alleine; und wenn doch,
dann oft verkleidet als Mann.
Denn Reisen zur damaligen Zeit war ge-
fährlich. „So mancher verfasste sein Testa-
ment, bevor er aufbrach“, sagt Ausstel-
lungsmacher Otto. „Strauchdiebe“ lauer-
ten den Reisenden auf, hockten – daher
der Name – im Strauch am Wegesrand und
sprangen hervor, sobald sich ein Fuhrwerk
näherte. Wer auf Reisen ging, bewaffnete
sich deshalb nicht selten, zum Beispiel mit
Handfeuerwaffen. Wer in einer Gruppe
reiste, zusammen mit weiteren Bewaffne-
ten, war sicherer unterwegs als ein Allein-
reisender. Auch das zeigen die Ausstel-
lungsmacher in Dresden.
Vor allem aber verdeutlichen sie, wie die
höfische Gesellschaft ihre Mobilität nutz-
te, um Kraft und Stärke zu demonstrieren,
um politisch Zeichen zu setzen. Geheiratet
wurde am 20. August 1719 in Wien, zwei Ta-
ge später machten sich Maria Josepha und
ihr Gemahl Friedrich August II. auf den lan-
gen Weg nach Dresden, begleitet von ei-
nem ganzen Tross, bestehend aus Bediens-
teten, aus Hofdamen und dem Oberhof-
meister Graf von Dietrichstein. Der für den
zeremoniellen Einzug in Dresden gedach-
te Galawagen der Braut wurde vorausge-
schickt, ebenso die „Bagagewagen“ mit
dem Gepäck der Reisegesellschaft.

Der Sommer 1719 war heiß und trocken,
sagt Kuratorin Runge, die Wege steinhart
und vielerorts mit Spurrillen versehen.
Chausseen, also gut ausgebaute, befestig-
te Straßen für den überörtlichen Verkehr,
wurden nach französischem Vorbild vieler-
orts erst später angelegt. Die Reisewagen
waren relativ leicht und einfach konstru-
iert, der Wagenkasten war an Lederriemen
aufgehängt, was zwar Unebenheiten abmil-
derte, die Passagiere im Wageninneren
aber auch kräftig durchschüttelte. „Viele
wurden da drin seekrank“, sagt Museums-
direktor Breuninger.
Die Route führte Braut und Bräutigam
samt Gefolge von Wien aus auf einer alten
Poststraße quer durch das heutige Tsche-

chien in Richtung Sachsen. Tagsüber wur-
de gereist, abends Quartier gemacht. In
Prag legte Maria Josepha eine dreitägige
Erholungspause ein, ihr Gatte ritt derweil
weiter gen Dresden. Um die Anstiege des
Erzgebirges zu überwinden, schickte der
Dresdner Hof Vorspannpferde, die in den
steilen Passagen zusätzlich vor die Kut-
schen gespannt wurden. Neun Tage war
der Tross bis Pirna unterwegs, fünf Tage
davon waren reine Fahrzeit, sagt Runge.
In Pirna schließlich begann der prunk-
volle Einzug nach Dresden. Die Prinzessin
bestieg eine vergoldete Prunkgondel, eine
„Bucentauro“. Die hatte August der Starke
extra für die „Brauteinholung“ anfertigen
lassen; in einer Hamburger Werft waren zu-
vor auf Bestellung des Sachsen 15 große
Schiffe vom Stapel gelaufen und mit Pfer-
den die Elbe flussaufwärts nach Pirna ge-
treidelt worden. Der Fluss sollte so zum
„Canal Grande von Dresden“ werden. „Der
Subtext dabei war immer“, sagt Breunin-
ger: „Sachsen wollte zur Weltmacht auf-
steigen.“ Selbst auf den Weltmeeren wollte
der Kurfürst von nun an also mitmischen.
„Wobei wir uns schon gefragt haben,
wie die das damals gemacht haben“, sagt
Kuratorin Runge. Selbst bei Normalwasser
ist die Elbe in Dresden kein reißender
Strom, in einem trockenen Sommer kann
der Wasserstand deutlich sinken. Vermut-
lich wurde der Fluss an manchen Stellen
aufgestaut und dann abgelassen, sagt Run-
ge, um ausreichend Tiefgang für die gro-
ßen Schiffe vorzuhalten.
Finanziell übrigens war die Reise des
Brautpaares, die zahlreichen Feiern und

die Unterbringung der vielen Gäste aus
den europäischen Adelshäusern, ein Fias-
ko. Die sächsischen Landstände hatten
125000 Taler für die Feiern bewilligt, die
tatsächlichen Kosten beliefen sich dann
auf sechs Millionen Taler. Zum Vergleich:
Ein höfischer Beamter verdiente damals et-
wa 900 bis 1200 Taler im Jahr, ein Berg-
mann im Erzgebirge kam auf einen Jahres-
verdienst von 55 Taler. Die Staatseinnah-
men des Kurfürstentums Sachsen beliefen
sich auf 4,5 Millionen Taler im Jahr. Der au-
ßenpolitische Prestigegewinn, den die
Sachsen mit der repräsentativen Inszenie-
rung der Hochzeit zweifellos errungen hat-
ten, war also teuer erkauft.
Zumal der sächsische Kurfürst namhaf-
te Künstler engagierte, um die Feierlichkei-
ten für die Nachwelt festzuhalten. Maler,
Zeichner und Kupferstecher wurden nicht
nur mit üppigen Gehältern ausgestattet,
vielmehr stellte ihnen der sächsische Hof
auch Miet-Karossen, kümmerte sich um
Unterkunft und Verpflegung. Die Dresd-
ner Ausstellungsmacher wissen auch des-
halb über die Details aus dem Jahr 1719 so
gut Bescheid, weil August der Starke ei-
gentlich vorhatte, eine Art Bildband mit
Zeichnungen und Kupferstichen aufzule-
gen und das Werk an die europäischen Hö-
fe zu versenden, sagt Dana Runge. Daraus
allerdings wurde nichts. Der Kurfürst
starb 1733, noch bevor der prächtige Bild-
band produziert werden konnte.

Die Sonderausstellung „Von Prunkgondeln, Pracht-
kutschen und Pferdeäpfeln“ läuft bis 5. April 2020,
http://www.verkehrsmuseum-dresden.de

Holprig unterwegs


Die Menschen im 18. Jahrhundert waren


erstaunlich mobil, lebten dabei aber mitunter gefährlich


DEFGH Nr. 201, Samstag/Sonntag, 31. August/1. September 2019 68


MOBILES LEBEN

„So mancher
verfasstesein Testament,
bevor er aufbrach.“

Mühsam und beschwerlich war
das Reisenim 18. Jahrhundert.
Wertsachen wurden im
Reisetresor deponiert; um ein
Rad zu wechseln, kam ein
Wagenheber aus Eisen zum
Einsatz. Außerdem wird die
Grand Carrosse in einer
Sonderschau des Dresdner
Verkehrsmuseums gezeigt.
FOTOS: ANJA SCHNEIDER/VERKEHRSMUSEUM,
KUPFERSTICH „VON BERLIN NACH DANZIG“
VON DANIEL CHODOWIECKI

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Menschheit nicht braucht  Seite 67

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