miniere die Koalition. Dabei stammen
viele Gesetze von Ihrer Partei. Das zeigt:
Egal was die SPD macht – sie verliert in
diesem Bündnis immer.
Mützenich: Ja, diese Diskrepanz erlebe
ich auch, und sie stört mich natürlich. Wie
wir wahrgenommen werden, liegt aber
schon auch an uns. Wir sollten selbst -
bewusster auftreten, mutiger.
SPIEGEL: Ihren Anspruch, die Fraktion
eigenständiger zu führen, haben Sie in Ih-
rer Rede zur Vereidigung von Annegret
Kramp-Karrenbauer als Verteidigungs -
ministerin deutlich gemacht. Eignet sich
die Außen- und Sicherheitspolitik wirklich
zur parteipolitischen Profilierung?
Mützenich: Es geht nicht um Profilierung,
sondern um die Souveränität des Parla-
ments und der Fraktion. Es dürfte nieman-
den überraschen, dass ich mich als Parla-
mentarier mit einem klaren außenpoliti-
schen Standpunkt zu Wort melde. Das
habe ich in der Vergangenheit schon getan,
auch wenn dies hin und wieder
zu Spannungen mit der Bundes-
regierung oder innerhalb der
Koalition führte.
SPIEGEL: Sie nannten das Zwei-
Prozent-Ziel der Nato einen
»Tanz ums Goldene Kalb«.
Haben Sie vergessen, dass der
damalige SPD-Außenminister
Frank-Walter Steinmeier dieses
Ziel auf einem Nato-Gipfel mit-
beschlossen hat?
Mützenich: Das war eine Un-
terschrift der Regierung. Ich
habe aber immer gesagt: Das
Budgetrecht liegt beim Parla-
ment. Und als Parlamentarier
erlaube ich mir, die Regierungs-
arbeit kritisch zu hinterfragen.
Wir haben in den letzten Jahren
oft erlebt, dass wir den je -
weiligen Verteidigungs ministern
einen Haushalt zur Verfügung gestellt ha-
ben, der entweder nicht voll ausgeschöpft,
ineffektiv oder gar falsch aus gegeben wur-
de. Ich weigere mich, unser sicherheits -
politisches Engagement nur in Militär -
investitionen zu messen.
SPIEGEL: Eine Umfrage hat neulich erge-
ben, dass 50 Prozent der Deutschen das
Zwei-Prozent-Ziel stützen. Warum ist das
Verständnis für Bündnissolidarität in der
Bevölkerung stärker als in der SPD?
Mützenich: Ich vermute, die Antwort
wäre eine andere gewesen, wenn die Men-
schen gefragt worden wären, ob sie dafür
72 Mil liarden Euro ausgeben wollen. Ich
wehre mich einfach gegen diese Unterstel-
lung. Herbert Wehner hat 1960 nach dem
Godesberger Programm in einer viel be-
achteten Rede eine Sozialdemokratie po-
sitioniert, die sich für die Westintegration
und die Nato entschieden hat – also für
ein Bündnis, das lange Zeit in der SPD um-
stritten war. Trotzdem lassen wir es uns
nicht nehmen, immer wieder kritische Fra-
gen an dieses Bündnis zu stellen.
SPIEGEL: Auch beim Thema Rüstungs -
exporte sind Sie auf Konfrontationskurs
mit der Union. Das Moratorium für Liefe-
rungen an Saudi-Arabien und andere Ak-
teure im Jemenkrieg läuft Ende September
aus. Sollte es verlängert werden?
Mützenich: Wir haben im Koalitionsver-
trag die Jemenklausel durchgesetzt, wo-
nach die Regierung keine Waffen an Län-
der liefern soll, die unmittelbar am Jemen-
krieg beteiligt sind. Die Kanzlerin hat sich
diesen Grundsatz leider erst zu eigen ge-
macht, nachdem der saudische Journalist
Jamal Khashoggi im Istanbuler General-
konsulat brutal ermordet wurde und die
Öffentlichkeit zu Recht empört war. Wenn
sowohl der US-Kongress, mit Bezug auf
nachrichtendienstliche Erkenntnisse, wie
auch die Uno-Sonderbeauftragte davon
ausgehen, dass höchste Kreise des saudi-
schen Königshauses in den
Mord ver wickelt sind, fehlt mir
die Fantasie, wie wir das Ende
des Moratoriums rechtfertigen
könnten. Zumal Saudi-Arabien
nach wie vor den Jemenkrieg
schürt.
SPIEGEL: Die deutsche Haltung
hat dazu geführt, dass Frank-
reich selbst Ersatzteile für Sani-
tätsfahrzeuge nicht nach Saudi-
Arabien liefern konnte, weil die
Bundesregierung Bauteile zu-
rückhielt. Wie passt ein solcher
nationaler Alleingang zum
Anspruch der SPD, »Europa-
partei« zu sein?
Mützenich: Deutschland und
den EU-Partnern ist es bislang
nicht gelungen, den Verhaltens-
kodex der EU zu Waffenliefe-
rungen aus dem Jahr 1998
verbindlich zu machen. Er legt für gemein -
same Rüstungsexporte schärfere Richt -
linien fest. Das wäre doch auch mal eine
Aufgabe für die neue Kommissionspräsi-
dentin Ursula von der Leyen. Im Übrigen:
Europäische Gesinnung manifestiert sich
nicht durch gemeinschaf tliche Waffenliefe-
rungen an auto ritäre Regime oder gar
Kriegsparteien.
SPIEGEL: Deutschland unterstützt den
Kampf gegen den »Islamischen Staat« mit
Soldaten und Flugzeugen im Irak und
in Jordanien. Bei der Vereidigung von
Kramp-Karrenbauer haben Sie der Verlän-
gerung dieses Anti-IS-Mandats eine Ab -
sage erteilt. Bleiben Sie dabei?
Mützenich: Ich habe mich auf das bezogen,
was Kramp-Karrenbauers Vorgängerin Ur-
sula von der Leyen am 18. Oktober 2018
in der Debatte um das Bundeswehrmandat
dem Parlament unmissverständlich zuge-
sagt hat, ich zitiere: »Wir machen das noch
ein ganzes Jahr, dann sind es dreieinhalb
lange Jahre gewesen. Aber dann erwarten
wir auch, dass jemand anderes uns auslöst,
dann melden wir uns von diesem Einsatz
ab.« Das ist eine Selbstverpflichtung, an
die sich die Regierung halten sollte.
SPIEGEL: Können sich die Bündnispartner
jetzt nicht mehr auf Deutschland verlassen,
weil die SPD um ihr Überleben kämpft?
Mützenich: Wir haben ein Jahr im Voraus
angekündigt, unsere Soldaten und Flug-
zeuge abzuziehen. Darauf konnten sich
unsere Partner einstellen. Ich habe keine
Kritik gehört, als die Niederlande, Norwe-
gen oder Belgien ihre Kampfjets aus der
Region mit der Begründung abzogen, der
»Islamische Staat« stelle in dem Gebiet
keine militärische Bedrohung mehr dar.
Ich erwarte deshalb, dass sich Frau Kramp-
Karrenbauer an den Bundestagsbeschluss
aus dem letzten Jahr hält.
SPIEGEL: Bei ihrer Reise nach Jordanien
und in den Irak stellte sich heraus, dass an-
dere Bündnispartner die deutschen Aufga-
ben nicht übernehmen können. Eine Fort-
setzung der »Tornado«-Mission sei daher
»unabdingbar«, sagt Kramp-Karrenbauer.
Mützenich: Frau Kramp-Karrenbauer hat
diese Erklärung bereits vor ihrer Abreise
auf dem Flugfeld in Berlin-Tegel abgege-
ben. Neue Erkenntnisse von ihrer Reise
können in diese Bewertung also nicht ein-
geflossen sein. Das finde ich irritierend.
Meines Wissens gibt es ein Dutzend Staa-
ten, die über diese Fähigkeiten verfügen.
SPIEGEL: Der jordanische Außenminister
Ayman Safadi sagt, der Kampf gegen den
IS sei noch nicht gewonnen. Halten Sie es
angesichts dieser Situation für verantwort-
lich, die deutschen Flugzeuge abzuziehen?
Mützenich: Nach meinen Informationen
hat die Reise der Bundesverteidigungs -
ministerin nicht ergeben, dass der IS wie-
der zu einer territorialen Bedrohung ge-
worden ist. Vielleicht ist die Aussage des
jordanischen Außenministers eher so zu
verstehen, dass er die deutsche Finanzie-
rung des von den »Tornados« genutzten
Luftwaffenstützpunkts gerne beibehalten
würde.
SPIEGEL: Passt die SPD mit solch einem
kompromisslosen Kurs nicht viel besser in
die Opposition?
Mützenich: Kluge Außenpolitik bedeutet
aus unserer Sicht keine einseitige Fixie-
rung auf das Militärische. Wir vertreten
einen erweiterten Sicherheitsbegriff unter
Einbeziehung von zivilen Instrumenten,
des Dialogs, der internationalen Regeln
und der multilateralen Institutionen. Es ist
die Aufgabe von uns Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten, in der Koalition
immer wieder dieses Gleichgewicht her-
zustellen. Das können wir nur in der Re-
gierung, nicht in der Opposition.
Interview: Veit Medick, Christoph Schult
34
Deutschland
Bundeswehr-
einsatz
gegen den IS
439
Soldaten
in Jordanien und
im Irak stationiert
4
»Tornado«-
Aufklärungsjets
1
Airbus-Tankflugzeug
Stand: 12. August 2019