Der Spiegel - 24.08.2019

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M


it seinen 70 Jahren ist Hans
Adam Schanz seit drei Monaten
ein Pionier des Schwerlastver-
kehrs. Mehrfach täglich pendelt einer sei-
ner Lastwagen über die achtspurige Auto-
bahn zwischen Darmstadt und Frankfurt
und zieht dabei Strom aus einer Oberlei-
tung. Schanz ist Spediteur aus dem süd-
hessischen Ober-Ramstadt. Auf einem fünf
Kilometer langen Abschnitt der A 5 fährt
sein Spezial-Lkw mit Elektroenergie, die
aus dem Netz kommt.
In beiden Richtungen hat die hessische
Straßenbauverwaltung dort Stromlei -
tungen über die äußeren Fahrstreifen span-
nen lassen – und im Mai den ersten
»E-Highway« auf einer öffentlichen Straße
in Deutschland eröffnet.
Die Strecke ist Teil eines Großversuchs,
den sich das Bundesumweltministerium
mehr als 70 Millionen Euro kosten lässt,
inklusive wissenschaftlicher Auswertung.
Die Idee: Mit dem Strom aus den Fahr-
drähten könnte ein großer Teil des Güter-
verkehrs künftig emissionsarm und leise
über die deutschen Fernstraßen rauschen.
Der Aufwand dafür ist allerdings enorm:
Allein die über fünf Kilometer verlaufende
Teststrecke in Hessen kostete mit zwei


Umspannwerken und 229 Oberleitungs-
masten fast 15 Millionen Euro. Eine wei-
tere Stromtrasse dieser Art wurde im Juni
auf der A 1 in Schleswig-Holstein fertig.
Sie könne derzeit nicht genutzt werden,
weil noch technische Abnahmen fehlten,
so das Verkehrsministerium in Kiel. Mög-
licherweise starte der Betrieb zwischen
Lübeck und Reinfeld Ende September.
Verzögerungen gibt es auch bei der drit-
ten geplanten Teststrecke auf der Bundes-
straße 462 bei Kuppenheim in Baden-
Württemberg. Mit dem Bau soll im kom-
menden Jahr begonnen werden, heißt es
im Stuttgarter Verkehrsministerium.
Daher besteht der Großversuch bislang
aus den Fahrten eines einzigen Oberlei-
tungs-Lkw, dem von Hans Adam Schanz.
Leider habe das Testfahrzeug gelegentlich
pausieren müssen, sagt der Spediteur, der
die Firmenleitung inzwischen seinen bei-
den Töchtern übertragen hat. Alles in al-
lem vier Wochen Werkstattaufenthalt sei-
en seit Mai zusammengekommen, auch
wenn es meist nur Kleinigkeiten zu repa-
rieren oder zu verbessern gegeben habe.
Nach Schanz’ Erfahrungen gibt es auf
der Strecke eine Stelle, an der die Strom-
versorgung regelmäßig abreißt: An einer
Bodenwelle wird der Lastwagen so durch-
gerüttelt, dass sich der über dem Führer-
haus montierte Stromabnehmer automa-
tisch absenkt. »Das Fahrzeug muss dann
erst wieder an die Oberleitung andocken«,
sagt Schanz. Aber das sei kein großes Pro-
blem: Kurzzeitig ziehe der elektrische Lkw-
Motor seine Energie eben aus der Batterie.
Schanz nutzt den neuartigen Laster für
regelmäßig anfallende Transporte aus dem
Darmstädter Umland zum Frankfurter
Osthafen. Diese Tour führt ohnehin über
die Teststrecke auf der A 5. Dort könne
der Lkw an den Fahrdrähten genug Strom
tanken, um noch bis zu 15 Kilometer

im Batteriebetrieb voranzukommen, so
Schanz. Danach schalte sich der Diesel -
motor an, über den das Hybridgefährt des
Herstellers Scania zusätzlich verfügt.
Emissionsfrei ist das Fahrzeug dadurch
nicht. Auch die Verbrauchswerte klingen
in einer ersten Bilanz der Herstellerfirma
nicht gerade beeindruckend. Auf den ers-
ten 1000 Testkilometern habe der Lkw
»circa 10 Prozent« an Diesel eingespart,
meldete Scania im Juni. Der verbrauchte
Strom soll immerhin aus erneuerbaren
Quellen stammen.
Wirklich belastbare Werte könne man
erst nach Ablauf der voraussichtlich vier-
jährigen Testphase vorlegen, erklärt die
Landesbehörde »Hessen Mobil«, die für
die Versuchsstrecke zuständig ist.
Scania soll im Auftrag des Bundes -
umweltministeriums insgesamt 15 Ober-
leitungs-Lkw an interessierte Transport -
firmen liefern, fünf für jede der drei Test-
strecken. Experten sollen dann beurteilen,
ob sich die Fahrzeuge im Alltag bewähren
und betriebswirtschaftlich rentieren.
Die Befürworter der »E-Highways« wis-
sen: Wenn das Modell auf dem Markt eine
Chance haben soll, dürfen die Lücken zwi-
schen den Oberleitungspassagen nicht all-
zu groß sein.
In Deutschland reiche es, wenn knapp
ein Drittel des Autobahnnetzes elektrifi-
ziert werde, meint das Öko-Institut in Ber-
lin, das zu den Unterstützern des Ober -
leitungsmodells gehört. Das wäre eine Stre-
cke von rund 4000 Kilometer. Die Kosten
dafür lägen nach einer Schätzung des In-
stituts bei zehn bis zwölf Milliarden Euro.
Die Transportbranche ist skeptisch.
Elektrofahrzeuge seien im Gütertransport
eher für Kurzstrecken in Städten geeignet,
sagt Thomas Rackow vom Unternehmens-
verband Logistik Schleswig-Holstein. Im
Fernverkehr halte er beispielsweise die
Wasserstofftechnologie mit Brennstoffzel-
len für vielversprechender. Dafür müssten
nur die bestehenden Tankstellen mit Was-
serstoffzapfstellen ausgerüstet werden.
Clemens Knobloch vom Bund der Steuer-
zahler in Hessen bezeichnet die Oberlei-
tungsversuche wegen des großen Auf-
wands schlicht als »Blödsinn«.
Der Scania-Konkurrent Daimler will es
immerhin auf einen Wettbewerb ankom-
men lassen. Wegen der »hohen Infrastruk -
turkosten« sehe man nur wenig Chancen
für das Oberleitungsmodell, erklärt eine
Sprecherin des Unternehmens. Man setze
stattdessen auf reine Batterie-Lkw, ohne
Stromabnehmer auf dem Dach. Diese Fahr-
zeuge, kündigt Daimler an, werde man auf
der geplanten Teststrecke in Baden-Würt-
temberg im »Direktvergleich« gegen die
Oberleitungslaster antreten lassen.
Matthias Bartsch
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 35

Laster unter


Strom


VerkehrAuf einer hessischen
Autobahn hat ein Modellversuch
mit elektrischen Oberleitungs-
Lkw begonnen. Die Branche
ist skeptisch.

SILAS STEIN / PICTURE ALLIANCE / DPA
Testfahrzeug auf der A 5: Fast 15 Millionen Euro für fünf Kilometer
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