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ie Geschichte von Patricia hätte
ziemlich düster ausgehen können:
eine junge Frau aus dem Ruhrgebiet,
die ihre Kindheit in verschiedenen Pflege-
familien verbrachte. Danach zeitweise
ohne festen Wohnsitz war, ohne Schulab-
schluss, ohne Perspektive, dafür bald mit
einem Baby. Wie die nächsten Jahre ver-
laufen würden, schien vorgezeichnet, Hap-
py End nicht in Sicht.
Aber heute lässt sich Patricias Geschich-
te ganz anders erzählen: eine junge Frau
aus dem Ruhrgebiet, die in ihrem Eltern-
haus keine guten Voraussetzungen hatte,
um den Weg durch das deutsche Bildungs-
system zu meistern. Die es aber trotzdem
schaffte, mit einem starken Willen und
der richtigen Unterstützung – und die
nun ein Zeugnis erhielt, das ihr einen mitt-
leren Schulabschluss mit der Note 1,5
bescheinigt.
»So ganz glaube ich das noch nicht«,
sagt Patricia und lächelt verlegen.
Glück gehörte für Patricia auch dazu,
denn die Chance, die sie ergriffen hat, be-
kommen nicht alle. Vor zwei Jahren erhielt
sie einen von 20 Plätzen in einem Dort-
munder Pilotprojekt namens »Prejob«. Es
hat zum Ziel, gestrandeten Jugendlichen
zu einem Schulabschluss und damit zu
einem Neustart ins Leben zu verhelfen.
Das deutsche Bildungssystem driftet
auseinander. Einerseits nahmen 2018
mehr als eine halbe Million junger Men-
schen ein Studium auf. Jahr für Jahr mel-
det das Statistische Bundesamt solche
Rekordwerte aus den Hochschulen. Auf
der anderen Seite wächst die Zahl derjeni-
gen, die ohne Abschluss von der Schule
gehen: Nach dem historischen Tiefststand
2013 mit 46 295 Abbrechern wurde diese
Gruppe wieder kontinuierlich größer.
Zuletzt nahm der Anteil von 5,7 auf
6,3 Prozent eines Jahrgangs zu. Das geht
aus dem INSM-Bildungsmonitor 2019 her-
vor, den das Institut der Deutschen Wirt-
schaft Köln im Auftrag der Lobbyorgani-
sation »Initiative Neue Soziale Markt -
wirtschaft« (INSM) angefertigt und in
der vergangenen Woche vorgestellt hat.
Hauptgrund für diese Entwicklung dürfte
der gestiegene Anteil neu zugezogener
Migranten sein. Wer erst als Jugendlicher
nach Deutschland kommt, ist oft nicht lang
genug im Schulsystem, um es erfolgreich
abschließen zu können.
Der Schulabschluss gilt als Vorausset-
zung für späteren beruflichen Erfolg, für
ein regelmäßiges Einkommen, für eine
gesicherte Zukunft. Zwei von drei Schul-
abbrechern gelingt es nicht, eine Ausbil-
dung abzuschließen, schreibt das Bundes -
bildungsministerium in einem aktuellen
Bericht. Wie viele Jugendliche die Schule
erfolgreich beenden, unterscheidet sich in
Deutschland stark von Bundesland zu
Bundesland. Mit rund 95 Prozent eines
Jahrgangs, die mindestens den Hauptschul-
abschluss schaffen, liegt Hessen vorn,
Sachsen-Anhalt steht am schlechtesten da
(siehe Grafik).
Die großen Unterschiede zeigen: Schul-
abbrecher scheitern nicht nur an Schick-
salsschlägen oder schlechten Voraussetzun-
gen im Elternhaus. Auch das jeweilige
Schulsystem, die Ansprechpartner vor Ort
und der politische Wille, Schwache aufzu-
fangen, können über Erfolg oder Abbruch
entscheiden.
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Deutschland
Neustart ins Leben
BildungDie Zahl der Schulabbrecher steigt, ihr Risiko, in Armut
abzurutschen, ist groß. In Dortmund wird
Jugendlichen geholfen, doch noch ihren Abschluss zu schaffen.
LARS BERG / DER SPIEGEL
Absolventin Patricia: »Irgendwann hat es klick gemacht«