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s war der 25. November 2017, als der Wirt Peter Hubert
seinen Kampf gegen den Algorithmus aufnahm. An je-
nem Samstag, sagt Hubert, kamen Kunden in sein Bräu-
stüberl Tegernsee und sagten, er könne froh sein, dass sie
sich überhaupt auf den Weg zu ihm gemacht hätten, denn
im Internet stehe, man müsse bei ihm lange auf einen Tisch
warten. Hubert wunderte sich. Er sagte zu den Gästen, das
könne nicht stimmen, im Schankraum seien noch mindestens
20 Tische frei, sie sähen es ja selbst, sie stünden mittendrin.
»Schau doch nach«, hätten die Gäste erwidert und auf ihre
Smartphones verwiesen, und Hubert hatte auf seinem eige-
nen Smartphone »Bräustüberl Tegernsee« gegoogelt. Unter
einem Diagramm aus blauen Balken, das den Besucher -
andrang in seinem Wirtshaus bis
auf die Stunde genau anzeigen soll-
te, stand: »Live: stark besucht.
Wartezeiten normalerweise bis zu
einer Stunde und 45 Minuten«.
Hubert googelte, wie man Goo-
gle telefonisch erreichen kann,
wenn man ein Problem mit Google
hat. Er fand nur eine E-Mail-Adres-
se. An die schrieb er, dass die An-
gaben zu seinem Bräustüberl falsch
seien und geschäftsschädigend, weil
die Kunden zur Konkurrenz gingen,
wenn sie sähen, dass sie bei ihm lan-
ge warten müssten. Er schrieb drei-
mal in sechs Wochen an die Adres-
se. Hubert sagt, er habe sich gefühlt,
als würde er Nachrichten in ein
schwarzes Loch schicken.
Schließlich antwortete Google doch, per E-Mail. Darin
hieß es, man könne die Angaben leider nicht verändern, da
die Parameter von Google für die gesamte Welt gelten wür-
den. Ein Algorithmus berechne das Diagramm. Auf der Goo-
gle-Support-Seite könne er alles nachlesen. Hubert ärgerte
sich. Er wollte nicht die Support-Seite lesen, er wollte, dass
sie den Algorithmus abschalten. Er fragte sich, wie der Algo-
rithmus den Andrang berechnen konnte. Schließlich sei die
Gastronomie abhängig von Faktoren wie dem Wetter und
der Qualität der Speisen. Analoge Parameter, die selbst für
ihn, der seit vielen Jahren im Schankraum steht, schwierig
vorauszusagen seien. Ein Algorithmus ist digital, er schwitzt
nicht im Sommer und isst keine Knödel. Wenn man Hubert
fragt, wie gut er sich mit Algorithmen auskennt, lacht er und
ruft: »Ich bin Wirt und Schweinshaxenverkäufer!«
Schließlich fand Hubert doch eine Telefonnummer von Goo-
gle, in Hamburg unterhält der Konzern ein Büro. Am Telefon
sagte ein Mann zu Hubert: »Der Algorithmus kann nicht geän-
dert werden. Der Algorithmus kann nicht abgeschaltet werden.«
Hubert engagierte einen Anwalt, der schickte eine Abmahnung
per Einschreiben an die Google-Filiale in Hamburg und per
E-Mail an die von Google zur Verfügung gestellte Adresse. Lei-
der, sagt Hubert, kam die Abmahnung im April 2018 zurück.
Und zwar in einer netten Mail. Darin stand wieder, Hubert
solle sich die Support-Hinweise auf Google anschauen.
Auf Anfrage des SPIEGELerklärt Google, die Wartezeiten
basierten auf anonymen Daten von Personen, die den Ort
besucht hätten. Nach solchen Besuchen kann man bei Google
fast alles bewerten: Restaurants, Museen, sogar Bahnhöfe.
Jeder, der bei Google ein Konto besitzt, kann ein bis fünf
Sterne vergeben und sein Urteil in einem Kommentar erklä-
ren. Die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen etwa wird mit
4,5 Sternen von den Nutzern bewertet. Der Rezensent »Fifa
Time« kritisiert aber: »Sehr sehr langweilig leider.« Dafür
entstehen laut Google dort keine Wartezeiten.
Huberts »Bräustüberl Tegernsee« ist mit 4,4 Sternen be-
wertet. Mönche eröffneten das Wirtshaus in einem alten Klos-
ter im Jahr 1675, um ihr selbst gebrautes Bier zu verkaufen.
Der Schankraum befindet sich noch heute im historischen
Kreuzgewölbe, dessen Wände bemalt sind mit Buzi, dem
Hund, und seinem dicken Herrchen. Auf der Speisekarte ste-
hen Bierbratl mit Kartoffelsalat für 9,95 Euro und Schnaps-
würst vom Rost für 7,90 Euro. Hubert sagt: »Wir leben Tradi-
tion, hier bei uns am Tegernsee ist die Welt noch in Ordnung.«
Die Tradition von Google reicht 22 Jahre zurück, bis 1997.
Damals starteten Larry Page und Sergey Brin ihre Suchma-
schine. Die Firmenzentrale liegt im Silicon Valley und sieht
aus wie ein Raumschiff aus Kristall.
Im Silicon Valley essen sie eher kei-
ne Bierbratl und Schnapswürst.
Gerade soll dort das sogenannte
Microdosing im Kommen sein. Da-
bei nimmt man jeden Morgen zum
Frühstück ein kleines bisschen von
der halluzinogenen Droge LSD, da-
mit man im Büro kreativer ist. Hu-
bert weiß nicht, ob Larry Page und
Sergey Brin schon einmal bei ihm
im Bräustüberl zu Gast waren. Er
sagt, es kämen auch Amerikaner.
Hubert verklagte Google. Das
Landgericht München verfügte die
Zustellung der Klage an Google in
Hamburg. Das Gericht versandte
die Klage, Google nahm die Post
nicht an, so berichtet es Hubert. Im
März dieses Jahres schrieb Google, dass man in Deutschland
nicht zuständig sei. Er solle sich an die Zentrale im Silicon
Valley wenden. Hubert dachte an das, was der Mitarbeiter
gesagt hatte: Der Algorithmus kann nicht abgeschaltet wer-
den. Wie könnte er, der Wirt vom Tegernsee, sich gegen einen
Konzern wehren, der auf juristische Schreiben mit netten
Mails und Hinweisen auf seine Support-Website reagiert?
Das Landgericht lud Google und Hubert zur mündlichen
Verhandlung. Doch die Google Germany GmbH sandte die
Ladung zurück. Am 28. August entscheidet das Gericht, ob
Google in Deutschland die Klage überhaupt annehmen muss.
Vor sechs Wochen, es war der Morgen des 12. Juli, googelte
Hubert wieder mal sein Bräustüberl. Das Diagramm war ver-
schwunden. »Wie von Zauberhand«, sagt Hubert. Auf An-
frage schrieb Google dem SPIEGEL, man könne bestätigen,
dass man die Funktion »Wartezeiten« beim Bräustüberl ent-
fernt habe. Man werde den Fall untersuchen, um Google
Maps »weiter zu verbessern«. Hubert hat gewonnen, »ein
bisschen«, sagt er. Der Algorithmus war abgeschaltet.
Max Polonyi
Schweinshaxen-
Valley
Wie ein bayerischer Wirt versuchte,
seinen Interneteintrag zu löschen
Eine Meldung und ihre Geschichte
T. DATZER
Von der Website Welt.de
Hubert mit Ehefrau