Der Stern - 22.08.2019

(Tuis.) #1
Christian Ewers glaubt, die Schalker
Fanseele recht gut zu kennen. Er hat
früher öfter im Fußballteam des
Fanklubs Königsblau Berlin mitgespielt

hängt haben, sind keine echten Schalker.


Das war der größte Blödsinn. Wo stünden


wir denn heute ohne Clemens?“


In der Tat ist Tönnies der wichtigste


Mann beim FC Schalke. Seit 1994 gehört er


dem Aufsichtsrat an, seit 2001 ist er dessen


Vorsitzender. Er hat aus dem chronisch


klammen Verein einen soliden Bundesli­


gisten geformt, der es immer wieder mal


in die Champions League schafft.


Tönnies gewährte zu Beginn des vergan­

genen Jahrzehnts seinem Klub ein Dar­


lehen über 30 Millionen Euro – für ihn


sind das Peanuts. Das Privatvermögen des


Fleischproduzenten wird auf 1,4 Milliar­


den Euro geschätzt.


Tönnies fädelte den Sponsorenvertrag


mit dem halbstaatlichen russischen Ener­


giekonzern Gazprom ein, der von Vertrau­


ten des Präsidenten Wladimir Putin geführt


wird. Der Deal brachte Tönnies Kritik unter


den Anhängern ein – ebenso wie sein eige­


nes Geschäftsgebaren. 2011 etwa musste


er sich wegen der irreführenden Etiket­


tierung von mehr als 175 Millionen Hack­


fleisch­Packungen vor dem Landgericht


Essen verantworten. Der Prozess wurde


gegen Zahlung einer Geldauflage von 1,9


Millionen Euro eingestellt. 2016 geriet


Tönnies mit seinen Firmen ins Visier des


Bundeskartellamts. Wegen illegaler Preis­


absprachen wurde ein Bußgeld von 128


Millionen Euro verhängt. Doch das Geld


konnte nicht eingetrieben werden. Tönnies


hatte die Geschäfte der betroffenen Firmen


in andere Gesellschaften seines Konzerns
verschoben und die Firmen aus dem Han­
delsregister gelöscht. Dieser Fall ging als
„Wurstlücke“ in die deutsche Rechts­
geschichte ein.
Auch wenn Tönnies nun sein Amt für
drei Monate ruhen lässt, eine Art selbst
auferlegte Strafe, ist er im Klub allgegen­
wärtig. Die Presseabteilung des FC Schalke
lehnte alle Interviewanfragen des stern ab;
zu groß scheint die Angst zu sein, es sich
mit dem mächtigen Oberhaupt zu ver­
scherzen.
Das gilt auch für manch ehemaligen
Spieler. Anruf bei Olaf Thon, Weltmeister
1990 und Mitglied der Schalker „Jahr­
hundert­Mannschaft“. Auf die Bitte, die
Tönnies­Aussagen zu bewerten, sagt Thon
lediglich: „Jeder hat eine zweite Chance
verdient. Wir haben eine sportlich schwie­
rige Saison vor uns. Wir müssen jetzt nach
vorne schauen.“
Yves Eigenrauch hingegen ist zu einem
Gespräch bereit. Der kantige Verteidiger
gewann 1997 mit Schalke den Uefa­Cup.
Heute lebt er zurückgezogen am Rand des
Ruhrgebiets, zuletzt arbeitete er in einem
Callcenter für einen Baumarkt.
Eigenrauch, 48, ist ins Café Zutz nach
Gelsenkirchen­Buer gekommen. Hier hat
er oft als Spieler Kaffee getrunken nach
dem Training. Tönnies’ abschätzige Bemer­
kungen könne er nicht ernst nehmen, sagt
Eigenrauch: „Seine Aussage ist doch Unfug.
Die ausufernde öffentliche Empörung

darüber befremdet mich allerdings auch.
Kann denn Tönnies überhaupt ein Vorbild
sein? Jemand, der für Massentierhaltung
steht und der sich beispielsweise mit
einem juristischen Trick einer Strafzah­
lung entzieht? Eher nicht. Jetzt scheinen
alle aus den Wolken zu fallen. Auch das ist
populistisch. Als ob vorher alles bestens
gewesen wäre.“
Susanne Franke sieht Tönnies schon seit
Jahren kritisch. Franke, 53, ist Vorstands­
mitglied der „Schalker Fan­Initiative“,
ein Verein, der sich seit 1992 gegen Dis­
kriminierung und Rassismus engagiert.
Schon als sie den Gazprom­Deal kritisier­
te, wurde sie von Schalke­Fans angegan­
gen. Jetzt sei alles noch schlimmer, sagt
Franke: „Wir kriegen in den sozialen Me­
dien viel auf die Fresse. Für einige Fans
sind wir Verräter.“
Aber Susanne Franke und die rund 350
Mitglieder der Fan­Initiative werden nicht
weichen. Auch von anderer Seite gibt es
womöglich Unterstützung. Für das Heim­
spiel gegen den FC Bayern am Samstag soll
die Fangruppierung „Ultras“ Aktionen pla­
nen – gegen Tönnies.
Der wird dann wohl nicht auf der Tribü­
ne sitzen. Für ihn wäre es ein Auswärts­
spiel im eigenen Stadion. 2

„Wenn’s dunkel
ist in Afrika“:
Aufsichtsratschef
Clemens Tönnies

„Die Aussage
ist Unfug“: der
ehemalige Spieler
Yves Eigenrauch

SOLL MAN SICH VOM KLUB SEINES HERZENS VERABSCHIEDEN?


22.8.2019 99
Free download pdf