Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
Amazon-Logistikzentrum:
Händler müssen den Platt-
formbetreibern ihre Umsatz-
steuernummern vorlegen.

REUTERS

Florian Kolf Düsseldorf

D


ie Betreiber von On-
linemarktplätzen be-
schäftigt zurzeit eine
ungewöhnliche Aufga-
be. Von jedem ihrer
Händler müssen sie eine Bescheini-
gung mit der Umsatzsteueridentifi-
kationsnummer einholen – und
zwar bis spätestens zum 1. Oktober


  1. So soll verhindert werden,
    dass die Händler die Umsatzsteuer
    hinterziehen. Denn wenn die Platt-
    formbetreiber diese Bescheinigung
    nicht vorliegen haben, haften sie
    selber für den Steuerausfall.
    Was auf den ersten Blick trivial
    scheint, ist ein riesiger Aufwand.
    Schließlich verkaufen beispielsweise
    über Amazon fast 100 000 Händler,
    bei Ebay sind es noch deutlich
    mehr. Und es gibt rund 70 kleinere
    Marktplätze allein in Deutschland –
    Tendenz steigend.
    Doch der entscheidende Punkt:
    Die Steuerbehörden stellen diese
    Bescheinigungen ausschließlich in
    Papierform zur Verfügung. „Das
    größte Problem ist, dass das Verfah-
    ren, das die Politik gewählt hat, uns
    einen unglaublich hohen manuellen
    Aufwand aufbürdet“, klagt Lars
    Schade, Geschäftsführer der Platt-
    form Mercateo, eines Marktplatzes
    für Geschäftskunden.
    In der Regel erhält er von den
    Händlern ein eingescanntes PDF-
    Dokument, das sich digital nicht


vernünftig weiterverarbeiten lässt.
„Die Dokumentation ist mühselig
und bedeutet einen großen Büro-
kratieaufwand“, so Schade. Dabei
steht er dem ganzen Projekt eigent-
lich sehr positiv gegenüber. „Im
Grundsatz begrüßen wir, dass die
Politik jetzt endlich gegen Umsatz-
steuerbetrug im Onlinehandel vor-
geht“, sagt Schade. „Das Problem ist
lange unterschätzt worden.“
Seit Jahren war bekannt, dass
dem Staat so Steuereinnahmen in
Milliardenhöhe entgehen, doch die
Politik griff nicht ein. Erst als immer
mehr chinesische Händler mit ille-
galen Steuertricks als Billigkonkur-
renz auf die Marktplätze drängten,
wuchs der öffentliche Druck – und
die Regierung sah sich zum Handeln
genötigt. „Daraus ist dann leider
kurzfristiger politischer Aktionismus
geworden“, stellt Schade fest.
Im November 2018 beschloss der
Bundestag das „Gesetz zur Vermei-
dung von Umsatzsteuerausfällen
beim Handel mit Waren im Inter-
net“, das die Plattformen in die Haf-
tung nimmt. Den Marktplatzbetrei-
bern wurden zwei Fristen gesetzt.
Alle Händler, die nicht aus der EU
kommen, mussten sich bis zum


  1. März 2019 spätestens registriert
    haben. Für alle anderen gilt nun der

  2. Oktober als Stichtag.
    In vieler Hinsicht hat das Gesetz
    seinen Zweck erfüllt. Das zeigt sich


schon bei den chinesischen Online-
händlern, von denen in der Vergan-
genheit kaum einer die Umsatzsteu-
er korrekt abführte. Waren 2017 nur
432 Onlinehändler aus China, Hong-
kong und Taiwan in Deutschland
steuerlich registriert, sind es jetzt
mehr als 15 000.
Bisher waren diese Händler nur
schwer zu greifen, deshalb blieb
Steuerbetrug in der Regel folgenlos.
Es sei denn, die Behörden betrieben
großen Aufwand wie im Januar


  1. Damals ließen die Fahnder in
    einer Blitzaktion im Weihnachtsge-
    schäft Konten von Händlern auf
    Amazon einfrieren und Güter be-
    schlagnahmen. Knapp hundert chi-
    nesische Händler waren betroffen.
    Amazon hatte voll kooperiert und
    die notwendigen Daten zur Verfü-
    gung gestellt.
    Nun sind bei den Behörden zu-
    mindest bald alle Händler, die auf
    Plattformen anbieten, angemeldet.
    Wenn nicht, werden sie von der
    Plattform ausgeschlossen. Der Staat
    erhofft sich durch die stärkere Kon-
    trolle erhebliche Mehreinnahmen.
    Zwar hat die Verstärkung der Kapa-
    zitäten des zuständigen Finanzamts
    Berlin-Neukölln nach Angaben der
    Bundesregierung einmalig 4,6 Mil-
    lionen Euro gekostet.
    Doch dem stehen erhoffte Mehr-
    einnahmen allein in diesem Jahr in
    Höhe von mehr als 500 Millionen


Euro gegenüber. Das wäre immer-
hin schon die Hälfte der Summe,
auf die man im Finanzministerium
die bisher jährlich hinterzogene
Umsatzsteuer schätzt.
Doch schon bei der Verabschie-
dung des Gesetzes kritisierten Bran-
chenexperten, dass der politische
Schnellschuss zu massiven Proble-
men bei den Plattformbetreibern
führen würde. So betonte der Han-
delsverband HDE, der seit Jahren
ein härteres Durchgreifen beim Um-
satzsteuerbetrug gefordert hatte,
das Papierverfahren sei „nicht zeit-
gemäß“. Es entstehe Bürokratie, die
schwer zu rechtfertigen sei.
Das zeigt sich jetzt bei der Umset-
zung. „Unstrittig ergibt sich zumin-
dest im Rahmen der Erstanwen-
dung in diesem Jahr ein deutlich
erhöhter Bürokratieaufwand“, be-
obachtet Philipp Breker, Partner der
Steuerberatungsgesellschaft Dorn-
bach. Er kann der Sache aber auch
einen positiven Aspekt abgewinnen:
„Während auf der einen Seite der
Bürokratieaufwand sicherlich er-
höht wird, erhöht sich auf der ande-
ren Seite auch die Seriosität des An-
gebots.“

Wettbewerb soll fairer
werden
„Das Gesetz gegen Steuerbetrug im
Onlinehandel soll steuerehrliche
Unternehmen schützen und für fai-
ren Wettbewerb zwischen Verkäu-
fern aus dem In- und Ausland sor-
gen“, erinnert Breker an die Grund-
intention der neuen Regelung, die
ja auch im Interesse des Handels ist.
„Der Schaden, der durch den Um-
satzsteuerbetrug in der Wirtschaft
entsteht, ist so groß, dass wir es
nachvollziehen können, die Plattfor-
men mit in die Haftung zu neh-
men“, stimmt auch Mercateo-Ge-
schäftsführer Schade zu.
Doch er fordert, dass der Staat
den Unternehmen bei der Abwick-
lung entgegenkommt. „Wir erwar-
ten, dass die Behörden uns eine di-
gitale Lösung zur Verfügung stel-
len“, sagt er. Der Staat habe
versprochen, ein Jahr nach dem
Start des Gesetzes eine zentrale Da-
tenbank aufzubauen, in der man ab-
fragen kann, ob ein Händler steuer-
lich gemeldet ist. „Doch bisher ist
nichts passiert“, so Schade.
In der Tat hatte die Bundesregie-
rung im Oktober 2018 in einer Ge-
genäußerung zur Stellungnahme
des Bundesrats zum Gesetzentwurf
geschrieben, dass die Arbeiten „zur
schnellstmöglichen Umsetzung ei-
ner elektronischen Abfragemöglich-
keit für Betreiber von elektroni-
schen Marktplätzen“ aufgenommen
seien. Eine Implementierung ein
Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes
werde angestrebt.
Ein halbes Jahr später hörte sich
das wieder ganz anders an. Auf eine
kleine Anfrage der FDP-Fraktion
antwortete die Bundesregierung im
April: Es werde mit „höchster Prio-
rität“ an einer digitalen Lösung ge-
arbeitet. Doch eine verlässliche Aus-
sage zur Fertigstellung sei zum der-
zeitigen Stand der Arbeiten nicht
möglich. Seitdem, so heißt es in
Branchenkreisen, herrsche auch auf
Nachfrage auf allen Ebenen Stille.
Es seien nicht mal Ausschreibungen
für den Aufbau einer Datenbank zu
sehen.

Umsatzsteuererfassung


Bürokratiemonster für


Onlinehändler


Digitale Marktplätze müssen künftig haften, wenn Händler keine Steuer


zahlen. Doch dafür mutet der Staat den Online-Unternehmen


ein analoges, sehr aufwendiges Verfahren zu.


Xing

Das Verfahren,


das die Politik


gewählt hat,


bürdet uns


einen


unglaublich


hohen


manuellen


Aufwand auf.


Lars Schade
Geschäftsführer
Mercateo

Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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