Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1

Apple Card


Riskant, aber


richtig


Goldman Sachs hat seinen Kunden,
Mitarbeitern und Aktionären in den
vergangenen Jahren einiges zuge-
mutet. Der Aufbau des Privatkun-
dengeschäfts mit der Onlinebank
Marcus war eine Zäsur. Die einstige
Investmentbank der Reichen und
Einflussreichen vergibt nun Klein-
kredite an Normalverdiener, bietet
profane, aber beliebte Sparkonten
und Tipps für die Budgetplanung.
„Es ist ein bisschen so, als würde
man nicht mehr Kaviar servieren,
sondern Cheeseburger“, stichelte
Wells-Fargo-Analyst Mike Mayo im
vergangenen Jahr, kurz bevor David
Solomon den Chefposten der Invest-
mentbank von Lloyd Blankfein
übernahm.
Dass Goldman nun auch ins Kre-
ditkartengeschäft einsteigt, ist ein
logischer Schritt oder – um in
Mayos Analogie zu bleiben – eine
gute Ergänzung zum Cheeseburger-
Menü. Ziel des ambitionierten Stra-
tegieschwenks ist es, die volatilen
Umsätze aus dem Investmentban-
king mit stabileren Einnahmen aus
dem Privatkundengeschäft zu un-
termauern. Dafür braucht Goldman
jedoch eine ganze Reihe von Pro-
dukten in dem hart umkämpften
Geschäftsfeld. Sicher, die Invest-
mentbank hat keine Erfahrung im
Kreditkartengeschäft und keinen
riesigen Datenpool, um Schlüsse
über das Verhalten der Kunden in
guten wie in schlechten wirtschaftli-
chen Zeiten zu ziehen. Auch verlan-
gen Goldman und Apple für diese
Karte keine Gebühren. Klar ist: Es
wird erst einmal ein Verlustgeschäft
sein. Gerade, wenn eine Rezession
bevorsteht.
Solomons Plan ist riskant, doch
er kann aufgehen. Denn Goldman
hat einen entscheidenden Vorteil.
Wie schon bei Marcus baut das
Wall-Street-Haus neue Plattformen
auf und muss sich nicht damit ab-
mühen, alte Infrastrukturen mühse-
lig auf den neusten Stand zu brin-
gen. Wenn alles nach Plan läuft,
wird Apple nicht der einzige Kredit-
kartenpartner bleiben. Und wenn
die Technologie stimmt, wird es
relativ einfach und günstig sein,
neue Kunden an die Plattform an-
zudocken und am Ende damit Geld
zu verdienen.


Goldman Sachs steigt mit Apple
ins Kreditkartengeschäft ein. Der
Schritt könnte sich langfristig
auszahlen, meint Astrid Dörner.

„Ein Ticketpreis von 9,90 Euro deckt
weder Steuern noch Gebühren.
Es muss jedem klar sein, dass die
Beschäftigten dafür den Preis bezahlen.“
Christine Behle, Verdi-Vorstandsmitglied, über
den Wettbewerb im europäischen Luftverkehr

Worte des Tages


Die Autorin ist Korrespondentin in
New York.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]


M


artin Zielke versucht, auch in
schwierigen Situationen Zuversicht
auszustrahlen. Als die Fusion mit
der Deutschen Bank im April platz-
te, erweckte der Commerzbank-
Chef den Eindruck, als sei das für sein Institut über-
haupt kein Problem. „Wir haben eine funktionieren-
de Strategie“, sagte er. Bei den anstehenden Bera-
tungen über die künftige Ausrichtung werde das Ma-
nagement lediglich prüfen, „ob wir an der einen
oder anderen Stelle noch einmal nachschärfen“.
Heute zeigt sich, dass diese Darstellung – freund-
lich formuliert – zu optimistisch war. Die Not bei der
Commerzbank ist zwar nicht ganz so groß wie bei
der Deutschen Bank, die nun radikale Einschnitte im
Investmentbanking vornimmt und 18 000 Stellen
streicht. Aber auch bei den Gelben ist die Lage pre-
kär. Der Gewinn ist im ersten Halbjahr eingebro-
chen. Die Aktie fiel vergangene Woche auf ein Re-
kordtief. Und die Aussichten sind mau.
Es ist deshalb überfällig, dass Zielke und seine Kol-
legen nun auch Dinge auf den Prüfstand stellen, die
bei der Commerzbank lange als unantastbar galten.
Dazu zählte bisher auch das Filialnetz, das nun mög-
licherweise von 1 000 auf 800 bis 900 Zweigstellen
reduziert wird. Diese Maßnahme allein wird jedoch
nicht ausreichen, um die Situation von Deutschlands
zweitgrößter Privatbank nachhaltig zu verbessern.
Angesichts der Konjunktureintrübung und einer
weiteren Lockerung der Geldpolitik, die EZB-Präsi-
dent Mario Draghi demnächst verkünden wird, darf
es bei der Commerzbank und allen anderen Geld-
häusern in Deutschland keine Denkverbote geben.
Denn viele althergebrachte Grundsätze des Bank-
geschäfts gelten heute nicht mehr. Für Einlagen, die
Institute bei der EZB parken, bekommen sie keine
Zinsen mehr gutgeschrieben, sondern müssen Straf-
zinsen bezahlen. Wenn die Zentralbank die Einlagen-
zinsen bald noch weiter in den negativen Bereich
drückt, werden Banken gezwungen sein, Gebühren
anzuheben oder bei hohen Einlagen Strafzinsen von
Privatkunden zu verlangen. Zudem sorgen die Vor-
gaben der Aufsichtsbehörden, die nach der Finanz-
krise aus gutem Grund verschärft wurden, dafür,
dass sich viele Geschäfte heute nicht mehr rechnen.
Viele Bankmanager müssen deshalb in den kom-
menden Monaten und Jahren unpopuläre Entschei-
dungen treffen. Sie müssen verärgerten Sparern er-
klären, warum diese immer schlechtere Konditionen
bekommen. Sie müssen Geschäftsbereiche aufgeben,
die Institute über viele Jahrzehnte erfolgreich betrie-
ben haben. Sie müssen Mitarbeitern erklären, wa-
rum diese künftig nicht mehr gebraucht werden.

Und sie müssen sich in Einzelfällen vielleicht einge-
stehen, dass ihre Bank allein nicht überlebensfähig
ist – und dass ein Verkauf oder eine geordnete Ab-
wicklung die beste Lösung ist.
Auch bei der Commerzbank ist die Frage, ob sie
dauerhaft allein bestehen kann, noch nicht abschlie-
ßend beantwortet. Vieles spricht dafür, dass das
1870 von Hamburger Kaufleuten gegründete Institut
irgendwann von einer ausländischen Bank ge-
schluckt wird. Doch in naher Zukunft ist dies aus
mehreren Gründen unwahrscheinlich. Grenzüber-
schreitende Fusionen sind nach wie vor schwierig,
weil es in den EU-Staaten unterschiedliche Regeln
gibt, die ein Zusammenlegen von Geschäften er-
schweren und positive Effekte einer Fusion abschwä-
chen. Zudem werden potenzielle Käufer angesichts
der bevorstehenden Zinssenkung und der Gefahr,
dass es im Abschwung zu mehr Kreditausfällen
kommt, aktuell die Füße stillhalten.
Die Commerzbank muss deshalb alles tun, um aus
eigener Kraft erfolgreicher zu werden. Das Institut
hat in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Kun-
den gewonnen. Aber das Geldhaus hat es bisher
nicht geschafft, dies in auskömmliche Gewinne um-
zumünzen. Künftig muss der Fokus deshalb stärker
auf Profitabilität als auf Wachstum liegen. Und es
muss weitere Kosteneinsparungen geben.
Letzteres gilt auch für die Deutsche Bank und viele
andere Institute, die über ihre künftige Aufstellung
nachdenken – zum Beispiel die BayernLB. Die Mün-
chener Landesbank hat sich in den vergangenen bei-
den Jahren zu sehr auf dem eigenen Erfolg ausgeruht
und es verpasst, früher Einschnitte vorzunehmen,
beispielsweise im Kapitalmarktgeschäft. Nun berät
das Institut über eine neue Strategie, bei der es laut
Vorstandschef Stephan Winkelmeier nicht um eine
Revolution, sondern um eine Evolution der Bank ge-
hen soll. Aber warum so zurückhaltend? Die erfolg-
reiche Direktbanktochter DKB könnte verkauft, das
restliche BayernLB-Geschäft bei einem anderen In-
stitut angedockt werden. Dem Mehrheitseigner, dem
Land Bayern, blieben dann immer noch zwei För-
derbanken, um Wirtschaftsförderung zu betreiben.
Und Ministerpräsident Markus Söder wäre das Risiko
los, die Landesbank im Fall einer Schieflage erneut
stützen zu müssen. Söder wäre gut beraten, über
diese Option ernsthaft nachzudenken. Denn heilige
Kühe sollte es nirgends geben – in Frankfurt genauso
wenig wie in München.

Leitartikel


Ran an die


heiligen Kühe


Die Sparpläne der
Commerzbank
unterstreichen,
dass im
Finanzsektor viele
unpopuläre
Entscheidungen
anstehen, sagt
Andreas Kröner.

Das Streichen


von Filialen wird


allein nicht


ausreichen, um


die Situation


der Commerz-


bank nachhal-


tig zu verbes-


sern.


Der Autor ist Finanzkorrespondent in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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