Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
Bulle & Bär

Weitere


Risiken für


das Pfund


D


er Antrittsbesuch des briti-
schen Premierministers Boris
Johnson in Berlin am Mittwoch
stand unter schwierigen Vorzeichen.
Bereits im Vorfeld hat Bundeskanzle-
rin Merkel seiner Forderung zu Nach-
verhandlungen des Austrittsabkom-
mens mit der EU eine deutliche Absa-
ge erteilt.
Die Fronten bei den Verhandlungen
sind verhärtet, und die Wahrschein-
lichkeit eines harten Brexits ist hoch.
Das hat in den vergangenen Wochen
bereits dem britischen Pfund zuge-
setzt. Seit Anfang Mai hat es um rund
sieben Prozent gegenüber dem Euro
abgewertet. Zuletzt stabilisierte sich
der Wechselkurs aber etwas. Das Risiko
weiterer Verluste bleibt dennoch hoch.
Was in der Debatte zu kurz kommt:
Großbritannien hat einige gravierende
strukturelle Schwächen, über die In-
vestoren bislang hinwegschauen. Ein
harter Brexit könnte sie viel stärker in
den Fokus rücken – und das Pfund
noch mehr unter Druck setzen.
So schreibt Großbritannien seit Jah-
ren hohe Defizite im Handel von Waren
und Dienstleistungen mit dem Ausland.
Bislang ließ sich das Leistungsbilanzde-
fizit durch Kapitalzuflüsse aus dem
Ausland kompensieren. Im Falle eines
harten Brexits aber wird das viel
schwerer. Um einen stärkeren Absturz
der Wirtschaft zu verhindern, müsste
die britische Notenbank eigentlich die
Zinsen senken. Die Gefahr wäre dann,
dass internationale Investoren wegen
der geringeren Renditen Kapital von
der Insel abziehen. Ähnlich wie in man-
chen Schwellenländern mit hohen
Leistungsbilanzdefiziten droht Großbri-
tannien dann eine stärkere Pfund-Ab-
wertung und höhere Inflation.
Hinzu kommt: Auch die politischen
Verhältnisse wären nach einem harten
Brexit weiter kompliziert. Auf der ei-
nen Seite ist die tief zerstrittene Kon-
servative Partei – auf der anderen Seite
die Labor-Partei, deren Chef Jeremy
Corbyn bekennender Sozialist ist und
als Schrecken der Märkte gilt. Wer ei-
nen harten Brexit als Ende mit Schre-
cken sieht und glaubt, dass danach al-
les nur besser werden kann, liegt
falsch. Wahrscheinlicher ist ein Schre-
cken ohne Ende.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Jan Mallien

ten, dass in allen Branchen und auch in ganz
Europa der Technologie- und Strukturwandel ge-
hemmt wird durch die expansive Geldpolitik:
Durch immer neue Finanzierungsrunden wird das
eine oder andere Unternehmen am Leben ge-
halten. Preiserhöhungen sind schwer
umzusetzen, weil es noch Firmen
gibt, die mit billigen Angeboten zu
überleben versuchen und ihre
Marktanteile verteidigen wol-
len. Das wirkt negativ auf die
gesamte Wirtschaft.


Könnte eine aktive Fiskalpo-
litik helfen? Bundesfinanz-
minister Olaf Scholz hat An-
deutungen gemacht, dass die
Bundesregierung dazu im Kri-
senfall bereit wäre.
Das könnte hier und da etwas helfen,
etwa bei Infrastruktur- oder Bildungspro-
jekten, kann aber kein Allheilmittel für die Wirt-
schaft sein. Außerdem müssen solche Maßnahmen
erst mal umgesetzt werden. Solange nur geredet
wird, könnte das sogar zu einer unerwünschten
Starre führen. Denn Konsumenten machen, bis ei-
ne Förderungsmaßnahme beschlossen ist, erst mal
gar nichts. Im Heizungsbau etwa gibt es jetzt schon
solche Sorgen, nachdem CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer die Diskussion über eine Ab-
wrackprämie für Ölheizungen angestoßen hat.


Halten Sie jetzt einen höheren Anteil Liquidität in
Ihren Fonds, etwa wie zur Zeit der Finanzkrise
2008?
Nein. Wir erleben zwar die ersten Tendenzen einer
Krise, aber nicht in der Breite wie vor gut zehn Jah-
ren: Es gibt keine Schockstarre bei den Unterneh-
men, Orders werden nicht massiv storniert, Ban-
ken kürzen Finanzierungen nicht. Wenn wir eine
tiefe Rezession erwarten würden, würden wir viel-
leicht zehn Prozent Liquidität halten, um das
Fondskapital zu schützen.


Ausländische Investoren machen einen großen
Bogen um Europa. Wo sehen Sie den Dax und den
Euro Stoxx 50 am Jahresende?
Etwa auf dem heutigen Niveau, wenn es keine wei-
tere Eskalation, aber auch keine echte Lösung gibt



  • und die Aktienkurse können noch heftig weiter
    schwanken. Je nach Zuspitzung oder Entspannung
    der Lage kann sich der Dax zwischen 9000 Punk-
    ten bei einem ungeordneten Brexit und einer Eska-
    lation im Handelsstreit und 13 000 Punkten bei ei-
    ner echten Einigung zwischen den USA und China
    bewegen.


Wie setzen Sie Ihre Erwartungen strategisch in Ih-
ren Fonds um?
Wir fahren auf Sicht in unseren Portfolios. Kon-
junktursensible, also zyklische Branchen gewich-
ten wir so niedrig wie nie: Autohersteller und -zu-
lieferer, Chemie, Maschinen- und Anlagebauer –
das gesamte verarbeitende Gewerbe gewichten wir
unter gegenüber dem Vergleichsindex. Auch im In-
dustriesektor, bei Industriegütern und -automati-
on, sind wir vorsichtig. Viele halten diese Aktien in-
zwischen ja für extrem günstig. Aber solange es
diese Unsicherheit gibt rund um Weltkonjunktur,
Exportmärkte und die Investitionsbereitschaft von
Unternehmen, bleiben wir kurz- bis mittelfristig
vorsichtig – es kann unserer Ansicht schon noch
mal schlimmer werden, bevor es besser wird. Die
Wachstumsfantasie fehlt. Auch Immobilienunter-
nehmen halten wir eher für teuer, außerdem lei-
den sie unter politischen Restriktionen wie der
Mietpreisbremse. Auch gegenüber Versorgern sind
wir vorsichtig wegen der Nachhaltigkeitsanforde-
rungen.


Was bleibt dann noch übrig?
Technologieunternehmen haben recht gute Ge-
schäftszahlen vorgelegt. Und wir setzen stärker auf


Versicherungen, auch wenn diese ebenfalls unter
den niedrigen Zinsen leiden. Das spiegelt unser Ge-
wicht von gut 17 Prozent im Finanzsektor etwa im
DWS Deutschland wider. Auf Versicherer setzen
wir eher mangels Alternativen, allerdings wei-
sen die Unternehmen seit einigen Jah-
ren ordentliche Bilanzen vor, haben
Kosten gespart und Aktien zu-
rückgekauft – die Titel haben
sich mit am besten entwickelt
in diesem Jahr.

Wie finden Sie Aktien deut-
scher Banken?
Wir halten fast keine Banken
mehr in Deutschland. Sie lei-
den zu sehr unter der geringen
Zinsmarge und unter dem har-
ten Wettbewerb. US-Banken ge-
winnen in Europa immer mehr
Marktanteile. Es gibt ein ungleiches Kräf-
teverhältnis: Die US-Banken verdienen auf ih-
rem Heimatmarkt gutes Geld und können in
Europa mit Stärke auftreten.

Wie hat sich Ihre Performance entwickelt nach
dem schwachen Jahr 2018?
Unsere Fonds haben sich mit den steigenden Ak-
tienkursen bis ins Frühjahr hinein überdurch-
schnittlich entwickelt. Aber seit die Börsen wieder
ins Straucheln geraten sind, hat die Performance
wieder etwas nachgegeben. Im breiter, stärker in
Wachstumswerte investierenden „DWS Aktienstra-
tegie Deutschland“ liegen wir noch etwas besser
als der Börsenvergleichsindex. Im „DWS Deutsch-
land“ und „DWS Investa“, der stärker auf zyklische
Aktien setzt, aber noch nicht. Wir wollen die Port-
folios auch nicht zu defensiv aufstellen, um eine
eventuelle Kurserholung nicht zu verpassen.

Spiegelt dies auch die Kapitalabflüsse in diesem
Jahr von netto 800 Millionen Euro aus Ihren deut-
schen Aktienfonds wider?
Anleger sagten uns, dass sie Gewinne mitgenom-
men haben, die sie bis Mai gesehen haben. Das ist
nachvollziehbar nach einem schwachen Jahr 2018:
Im schlechten vierten Börsenquartal sind wir
durch den frühen Abschwung auf dem falschen
Fuß erwischt worden. So pessimistisch waren wir
nicht, und wir hatten zu stark auf konjunktursensi-
ble, zyklische Werte gesetzt.

Wie geht es Ihnen mit Ihrer neuen Struktur im
Team für deutsche Aktien, die Sie nach Ihrer Volte


  • kurz weg und wieder zurück zur DWS – einge-
    führt haben?
    Die neue Struktur bewährt sich: Wir arbeiten im
    Team und vertreten uns zu dritt gegenseitig bei un-
    seren drei großen Flaggschifffonds. Nach wie vor
    gibt es aber für jeden Fonds einen Hauptverant-
    wortlichen. Hansjoerg Pack steht für den DWS Ak-
    tienstrategie Deutschland, Christoph Ohme für den
    DWS Investa und ich für den DWS Deutschland.


Asoka Wöhrmann hat Sie im vergangenen Herbst
zurückgeholt, als Sie dabei waren, zur Berenberg
Bank zu wechseln. Wie zufrieden sind Sie mit Ih-
rem neuen Chef, der ganz schön aufräumt in der
DWS – zehn Prozent Ihrer Managing Directors im
mittleren Management mussten ja bereits gehen,
wie es heißt.
Wir sind sehr zufrieden. Asoka Wöhrmann steht
unter anderem für eine Stärkung des aktiven
Fondsmanagements, des Researchs und des Stand-
orts Frankfurt. Er räumt den Fondsmanagern Frei-
raum ein und gibt jedwede Unterstützung. Das ist
auch sehr wichtig in einer Welt, in der eine strenge-
re EU-Regulierung dazu führt, dass in der Branche
Kosten für Research eher gespart werden.

Herr Albrecht, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Anke Rezmer.

Konjunktursensible,


zyklische Aktien


gewichten wir


so niedrig


wie noch nie.


Strategie
DWS Deutschland
Anlagestruktur in %
des Fondsvermögens

Branchen

Industrien

Finanzsektor

IT

Grundstofe

Gesundheit

Konsumgüter 1

Kommunikation 2

Immobilien

Versorger

Hauptverbrauchs-
güter

19,0

17,5

16,4

14,8

11,7

10,2

4,7

2,

1,8

0,5

% % % % % % % % % %

9,

9,

7,0

5,1

5,1

%

%

%

%

%

HB

1) Dauerhafte Konsumgüter;
2) Dienstleistungen Kom.
Stand: 31.7.2019

Davon:

1,1 %
Liquidität,
Sonstiges

Davon:

Quelle: Unternehmen

Aktien

989 %

Top-5-Aktien

SAP

Allianz

Siemens

Adidas

Bayer

Private Geldanlage


DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
33

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