Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
Ralf Kleber

Mit Risiken agieren lernen


Der Deutschlandchef von
Amazon stellte sich an der
FOS/BOS Kaufbeuren den
Fragen der Abiturienten mit
Wirtschaftsschwerpunkt.

Welche Führungsqualitäten brau-
chen Chefs von morgen?
Die neuen Technologien ermögli-
chen uns ein ganz anderes Arbei-
ten. Ich kann an jeder Stelle der
Erde in meinen Geschäftsbetrieb
einsteigen und bin nicht mehr an
meinen Schreibtisch gebunden.
Die große Kunst wird sein, eine gu-
te Balance zu finden zwischen der
Technik und der menschlichen
Komponente. Eine E-Mail, ein Chat
oder eine WhatsApp-Nachricht
sind gut, aber manchmal sind drei
erklärende Worte telefonisch oder
„face to face“ noch besser. Ein Ge-
fühl dafür zu bekommen, wann es
wichtig ist, miteinander zu reden,
das wird für viele die große He-
rausforderung.

Ein weiteres wichtiges Thema für ei-
ne Führungskraft ist, dass sie eine
offene, aufgeschlossene Kultur etab-
liert. Das kann man als Chef gene-
rieren, indem man nicht den Chef
markiert. Wenn bei uns der Werk-
student ein Thema betreut, hat er
auch die Federführung. Meetings
auf Augenhöhe – dann kommt ein
Team gerne und bringt sich ein.
Nicht, wenn der Chef per Position
schon alles besser weiß.

Was tun Sie angesichts von Fach- und
Führungskräftemangel, um Mitarbei-
ter zu gewinnen und zu halten?
Eines unserer 14 Führungsprinzi-
pien lautet „hire and develop the
best“. Für „hire“ gehen wir ver-
stärkt dorthin, wo die Menschen ih-
re Jobentscheidungen treffen. Wir

sind viel auf Jobmessen, an Univer-
sitäten und natürlich auch online
mit unserer Jobseite und den Social-
Media-Profilen präsent. Man muss
als Arbeitgeber sichtbar werden –
als guter Arbeitgeber.
Womit wir bei „develop“ wären: Ne-
ben einem guten Onboarding ist
uns wichtig, dass unsere Mitarbeiter
stets wissen, wie sie sich bei uns
entwickeln können, welche Mög-
lichkeiten sie haben. Wir setzen
zum Beispiel viel auf Mentoren, die
einen in den ersten Monaten und in
bestimmten Entwicklungsphasen
begleiten. Daneben gibt es Sonder-
programme etwa für weibliche Füh-
rungskräfte und ein breites Angebot
von Kursen und Fortbildungen.

Hatten Sie in Ihrer Karriere Vorbil-
der?
Ja. Wolfgang Ley und Beate Rapp,
meine Chefs bei Escada, für die ich
als Assistent der Geschäftsleitung
gearbeitet habe. Die haben mir zum
Beispiel viel über den „Bias for Acti-
on“ – die Bereitschaft zum schnel-
len Handeln – beigebracht. In der
Modebranche mit ihren schnellen
Innovationszyklen herrscht eine ex-
trem hohe Geschwindigkeit. Man
hat nicht die Zeit, jede Entschei-
dung aufs Tausendstel abzuwägen,
bis man ganz sicher ist. Also musst
du lernen, mit Risiken zu agieren.

Als Sie sich für Amazon entschieden
haben, war der Konzern noch eine
kleine Nummer. Hatten Sie keine Sor-
ge, dass die pleitegehen?
Wenn ich nur nach den nackten
Zahlen gegangen wäre, hätte mein
Entschluss tatsächlich heißen müs-
sen: Viel Glück, Jungs, aber gerne
ohne mich. Denn 1999 hatten erst
3,5 Millionen Haushalte Computer
und Internet. Die Verbindung war
höllisch langsam und jedes Umblät-
tern kostete ein kleines Vermögen.
Auch wenn absehbar war, dass sich
die Technik weiterentwickeln wür-
de, blieb immer noch die kritische
Frage, ob wir so lange durchhalten
würden.
Aber darüber habe ich mir keine
Gedanken gemacht. Ich hatte ein-
fach Lust auf dieses Abenteuer. Die
Leute passten, die Idee passte, da
war es mir egal, dass andere das
merkwürdig fanden. Ich war kein
Internetexperte, aber Jeff Bezos’ be-
rühmten Shareholder-Letter von
1997 fand ich überzeugend. Da woll-
te ich dabei sein.

Markus Ochsner

Vertrauen ist die Basis


Der Finanzvorstand bei ABB
Deutschland besuchte an
der Frankfurter Liebig-
schule Zehntklässler mit
Wirtschaftsschwerpunkt.

Welche Führungsqualitäten brau-
chen Chefs von morgen?
Durch Smartphone und Co. arbei-
ten wir alle immer dezentraler. Und
das kommt auch der Arbeitsweise
der jungen Generation entgegen.
Ein Chef muss deshalb akzeptieren,
dass nicht alle seine Mitarbeiter
permanent im Büro sitzen und
auch nicht sitzen müssen. Wollte
ich das von meinen Mitarbeitern
fordern, müsste ich das ebenfalls
machen. Gleiche Regeln für alle.
Aber wie sollte ich das anstellen,
wo ich mindestens die Hälfte mei-
ner Arbeitszeit unterwegs bin? Ich
muss darum auf Telefon oder Sky-
pe zurückgreifen.
Virtuelle Teams muss man jedoch
anders führen. Hierbei spielt die Er-
kenntnis eine große Rolle, dass
Leistung nicht unbedingt etwas mit
Anwesenheit zu tun hat. Wenn Mit-
arbeiter ihre Aufgaben gut erledi-
gen, man als Vorgesetzter nicht
auch noch das „Wie“ bestimmen
will und Vertrauen hat, dann ist das
eine zukunftsfähige Grundlage für
eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Was tun Sie angesichts des Fach-
kräftemangels, um Mitarbeiter zu
gewinnen und zu halten?
Es sind viele kleine Bausteine, mit
denen wir uns bei potenziellen Mit-
arbeitern bekanntmachen. Einer al-
lein reicht nicht. So kooperieren wir
zum Beispiel mit einer ganzen Rei-
he von Partnerhochschulen, um
den Nachwuchs zu erreichen. Im
Forschungszentrum der deutschen
ABB in Ladenburg arbeiten ständig
80 bis 100 Studierende für und mit
uns an Projekten. Über ein Akzele-
ratorprogramm stärken wir zudem
den Kontakt zu Start-ups.

Warum produzieren Sie in
Deutschland, wenn es im Ausland
doch viel billiger ist?
Personalkosten sind ein Aspekt bei
der Standortwahl, aber längst nicht
der einzige. Eine entscheidende
Rolle spielen vor allem die Kompe-
tenzen der Beschäftigten, die Quali-
tät ihrer Arbeit und dessen Ergeb-
nis. Viele unserer Mitarbeiter an
deutschen Standorten haben einen

unglaublichen Erfahrungsschatz –
ein wichtiger Erfolgsfaktor!
Wir dürfen an dieser Stelle aber
auch nicht vergessen, dass Indus-
trie 4.0 zu neuen Arbeitsplätzen
führt. Digitalisierung und Automa-
tisierung bieten die Chance, Pro-
dukte nach Losgröße 1 zu Preisen
der Massenproduktion herzustel-
len. Unsere Montagelinie für die
Pol-Fertigung von Sicherungsauto-
maten am Standort Heidelberg ist
ein Musterbeispiel für eine Pro-
duktionsanlage im Zeitalter von In-
dustrie 4.0. Sie ist hochautomati-
siert, global vernetzt, flexibel und
ermöglicht eine äußerst wirtschaft-
liche Produktion.

Machen Roboter die Arbeitsplätze ka-
putt?
Der zunehmende Einsatz von Robo-
tern verändert die Arbeitswelt –
aber im positiven Sinne. Wir bei
ABB sind fest davon überzeugt, dass
Roboter keine Bedrohung für Ar-
beitsplätze darstellen. Werfen wir
einen Blick auf Deutschland, Japan
und Südkorea: Diese Länder haben
die höchste Roboterdichte: mehr als
300 Roboter pro 10 000 Arbeiter –
und zugleich die niedrigsten Ar-
beitslosigkeitsraten. Roboter stei-
gern Produktivität und Wettbe-
werbsfähigkeit und führen letztlich
dadurch zu insgesamt mehr Jobs.
Der Einsatz von Robotern erleich-
tert die Arbeit und bietet Freiraum
für erfüllendere Aufgaben.

Was halten Sie von einer Frauenquote?
Ich bin kein Anhänger von Quoten-
regelungen. Um die geforderte Quo-
te erfüllen zu können, müssten wir
quasi alle weiblichen Absolventin-
nen aus den technischen und natur-
wissenschaftlichen Fächern in
Deutschland für ABB gewinnen. Das
würde nicht funktionieren.
Aber ich sehe sehr wohl die Not-
wendigkeit, Unternehmen wie un-
seres attraktiver für Frauen zu ma-
chen. Seit 2010 haben wir entspre-
chende Programme im Haus. Wir
kooperieren mit MINT-Frauennetz-
werken und vergeben anspruchs-
volle Praktika an Studentinnen.
Dennoch ist es eine Herausforde-
rung, Frauen für E-Technik und
Naturwissenschaften zu begeis-
tern. Trotzdem müssen wir ihren
Anteil unbedingt steigern – nicht
nur aufgrund des zunehmenden
Mangels an Fach- und Führungs-
kräften.

Markus Ochsner:
Finanzvorstand bei
ABB Deutschland.

Bernd Roselieb für Handelsblatt


Ralf Kleber:
Deutschlandchef
von Amazon.

© argum / Thomas Einberger

Sonderveröffentlichung
DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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Alle Interviews in
voller Länge finden
Sie auch unter:
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com/chef-zu-
gewinnen

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