SEITE 28·MITTWOCH, 4. SEPTEMBER 2019·NR. 205 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
T
alent allein reicht nicht. Mit die-
ser Binse des Leistungssports
muss man den Spielern der Basket-
ball-Nationalmannschaft nicht kom-
men. Sie haben alle hart gearbeitet,
und jeder Einzelne hat längst bewie-
sen, was in ihm steckt. Die hohe Er-
wartung an diese Auswahl war kein
Hirngespinst. Sie entstand aus der
Beobachtung etwa der souveränen
WM-Qualifikation und einem Re-
chenspiel: Die Summe der individuel-
len Fähigkeiten führte zu der berech-
tigten Einschätzung, auf das begab-
teste Team in der Geschichte des
deutschen Basketballs zu blicken.
Daran hat sich auch nach dem Desas-
ter von Shenzhen nichts geändert.
Aber Talente drohen solche zu blei-
ben, zu unerfüllten zu werden, falls
ihnen der nächste Schritt nicht inner-
halb einer gewissen Entwicklungs-
phase gelingt. Die deutsche Auswahl
ist krachend durch die Reifeprüfung
gefallen.
Niederlagen werden einer Genera-
tion Begabter nachgesehen, solange
sie jung ist. Vor allem wenn sie erfah-
renen, gestählten Gegnern unterlie-
gen wie die Deutschen bei der EM
2017 Spanien im Viertelfinale. Zwei
Jahre später aber hat sich an diesem
Bild nichts geändert. Im entscheiden-
den Moment, dann, wenn man sich
keine Fehler in dieser Häufigkeit leis-
ten darf, wie bei einer WM, fehlt die
Kaltschnäuzigkeit, das Potential aus-
zuspielen. Es mag sein, dass die Er-
folge während der Vorbereitung auf
die WM nun das wahre Bild von der
Leistungsfähigkeit unter Druck ver-
fälscht haben. Die Gegner zählten,
sieht man von den Australiern ab,
eher zur zweiten Garde. Aber das än-
dert nichts an dem erschütternden
Eindruck von China, der Mann-
schaft fehle der Spirit einer ver-
schworenen Gemeinschaft. Verant-
wortlich dafür sind in erster Linie
die Spieler selbst, die Führungsfigu-
ren unter ihnen. An der Fähigkeit
von Dennis Schröder als Solist gibt
es keinen Zweifel. Aber er versteht
sich als das Alphatier, als der Mann,
der alles richtet, mit Würfen und mit
Pässen. So trat er schon bei der EM
2015 in der Vor-
runde in Deutsch-
land auf – und ließ
einen gewissen
Dirk Nowitzki ver-
hungern. Schröder
hat sich seitdem
zwar enorm entwi-
ckelt. Aber in Chi-
na gelang es ihm
nicht, die Teamkol-
legen zu einer schlagfertigen Mann-
schaft zu verknüpfen. Seine Körper-
sprache, sein Hadern mit aller Welt
lenkte am Dienstag ab, anstatt alle
Mann aufzurütteln, die Kräfte zu
bündeln. Die Besten zeigen in diesen
Momenten ihre Qualität und wach-
sen, wenn sie unter größtem Druck
schwierige Aufgaben bewältigen. In
der Regel überraschen sie mit einfa-
chen Lösungen Freund wie Feind.
Schröder zieht das Spektakuläre vor.
Das kommt an beim Publikum. So
lassen sich vielleicht mal Spiele ge-
winnen, aber kaum Meisterschaften.
Auf diesen sehenswerten, unter-
haltsamen, kaum zu haltenden Spiel-
macher kann die deutsche Mann-
schaft nicht verzichten. Die Frage
ist, ob er sich die Kernaufgabe des Al-
phatiers zu eigen macht. Denn – aus
der Distanz betrachtet – wirkte die
deutsche Mannschaft nicht wie eine
Einheit, eher wie ein Grüppchen um
Schröder mit weiteren Mitspielern.
Daran muss sich auch der Bundes-
trainer messen lassen. Henrik Rödl
ist beliebt. Er weiß dank seiner Er-
fahrung als Spieler, wie man Meister-
schaften gewinnt und welche Autori-
tät ein Trainer ausüben muss, um Ta-
lente gewinnbringend in Szene zu
setzen. Auch er hat noch Spielraum
bei der Führung einer Generation,
der man Kredit einräumen sollte.
Manchmal entstehen aus den
schlimmsten Niederlagen die größ-
ten Erfolge.
Reifeprüfung
vermasselt
Von Anno Hecker
V
erlieren gegen die Dominikani-
sche Republik? Diese Option
gehörte nicht ins Programm
der deutschen Basketball-Na-
tionalmannschaft und ihrer
Fans: das Ende der Reise, bevor die Welt-
meisterschaft in China erst richtig ange-
fangen hat? Unmöglich. Dabei wussten
die Profis von der Qualität ihres Gegners
im zweiten Gruppenspiel am Dienstag.
Es gibt kaum mehr Auswahlteams, deren
herausragende Spieler nicht über NBA-Er-
fahrung verfügen oder in Europa auf
höchstem Niveau spielen. „Vergessen Sie
mir die Dominikanische Republik nicht“,
hatte Liviu Calin dieser Zeitung vor dem
Turnierstart zugerufen. Er weiß, wovon
er spricht. Calin hat Dennis Schröder
einst in Braunschweig auf dem Freiplatz
entdeckt, Deutschlands schillerndsten,
schnellsten Spieler. Nun wird eine ganze
Basketball-Generation das famose En-
semble aus der Karibik auf Jahre hinaus
mit einer bitteren, niederschmetternden
Niederlage der Deutschen verknüpfen:
Mit dem 68:70 platzte der Traum, in Chi-
na eine neue Ära beginnen zu können,
wie eine Seifenblase. Weil Frankreich
sein Spiel gegen Jordanien gewann, kön-
nen die auch von sich selbst hochgeschätz-
ten Deutschen in der Plazierungsrunde
bestenfalls einen Platz für ein Olympia-
Qualifikationsturnier gewinnen, obwohl
sie doch von der direkten Qualifikation
bei dieser WM träumten. Was ist pas-
siert?
Die Gesichter von Spielern und Trai-
nern Augenblicke nach dem Desaster ver-
rieten die Fallhöhe der Deutschen. Nie zu-
vor, da sind sich die Experten bis hin zu
Dirk Nowitzki einig, stand eine so ausge-
glichen hoch talentierte deutsche Aus-
wahl auf dem Parkett. Vier mit mehr oder
weniger großer NBA-Erfahrung, Europa-
liga-Spieler, Profis, die es technisch und
körperlich mit der Elite aufnehmen kön-
nen (sollten). Während im Spiel gegen
Frankreich (74:78) schwachen Phasen
teils gute folgten, lief die Auswahl von
Bundestrainer Henrik Rödl am Dienstag
konstant tief unter der selbst so hoch ge-
legten Latte (Viertelfinale) durch. Die äu-
ßerst schwache Trefferquote aus der Dis-
tanz (3 von 21 Dreiern) erklärt diesen
Tiefpunkt nicht. Die Profis aus der Kari-
bik brauchten elf Würfe bis zum ersten Er-
folg, steigerten sich im Gegensatz zu den
Deutschen (6/22) ein bisschen. Sie fan-
den ins Spiel, und sie merkten mit jeder
Minute, wie Schröder und Co. zu knacken
sind. Mit einfachen Mitteln, mit den
Grundlagen des erfolgreichen Basket-
balls: harter Verteidigung, hohem Tempo
im Angriff in einer gefährlichen Phase,
als die Deutschen von ihrer Offensive auf
Defensive umschalteten. Viel zu häufig
zu langsam. „Laufen, laufen“, rief Rödl
seinen Spielern zu. Sie werden die Order
gehört haben. Allein die Beine wollten
nicht?
„Man kann den Spielern nicht vorwer-
fen“, sagte Rödl dem Livestreamanbieter
Magenta, „dass sie nicht alles gegeben ha-
ben.“ Trotzdem überspielte die Dominika-
nische Republik die Deutschen in der so-
genannten Transition immer wieder, kam
in Überzahl und dank kluger Pässe zu
„einfachen“ Punkten. So einfach ist das
gegen die sonst so starke Verteidigung
mit Daniel Theis und Maximilian Kleber
als Abräumern? So simpel sah es aus,
nämlich nach einem hochmotivierten Zu-
sammenspiel (22 Assists) unter Führung
von Gelvis Solano auf dem Parkett, ange-
peitscht von einem engagierten Coach
Nestor Garcia, mit Venezuela 2014 Süd-
amerikameister. Seine Spieler wuchsen
mit der von den ersten Minuten (0:8) an
greifbaren Unsicherheit der Deutschen,
mit deren teils unnötigen Ballverlusten
und haarsträubenden Fehlentscheidun-
gen bis in die Schlusssekunden hinein.
Die Partie entwickelte sich zu einem Para-
debeispiel für die Chance eines nominell
unterlegenen Teams, das de facto besser
besetzte mit den Grundlagen erfolgrei-
chen Basketballs aufs Kreuz zu legen. Die
großen Deutschen bekamen den langen,
muskulösen Eloy Vargas (16 Punkte)
nicht in den Griff, verloren das so wichti-
ge Rebound-Duell. Ihre knappe Führung
zur Pause (39:37) verwandelte sich in ei-
nen Acht-Punkte-Rückstand zu Beginn
des vierten Viertels (60:52).
Wo blieb die Spielführung in schwieri-
gen Phasen? Auf den ersten Blick er-
scheint Schröder wieder als bester deut-
scher Spieler mit 20 Punkten, gefolgt von
Theis (12). Doch der Aufbauspieler ver-
wandelte nur 27,8 Prozent seiner Würfe
aus dem Feld (ohne Freiwürfe), Theis traf
sechs von 16. Das kann passieren. Aber
wieso schlich ein gestandener NBA-Spie-
ler wie Kleber nach fast fünfzehn Spielmi-
nuten ohne Punkt vom Feld? Wieso kam
der Scharfschütze gegen Frankreich, Jo-
hannes Voigtmann (zwei Würfe, zwei
Punkte), nicht zum Zug? Bei Schröder
und Theis wurden dagegen 34 Abschlüsse
gezählt, elf mehr als bei den acht übrigen,
mit ausreichend Spielzeit eingesetzten
Teamkollegen zusammen. Dazu zählt der
Versuch, mit einem Kunststück dem Spiel
in den letzten Sekunden eine Wende ge-
ben zu wollen. Aus Schröders Pass über
Ringniveau auf den abgehobenen Theis
wurde ein symbolisches Bild: Deutsch-
land spektakulär gescheitert. Vor allem an
sich selbst. „Wir bleiben“, sagte der kon-
sternierte Rödl, „weit unter unseren Mög-
lichkeiten im Moment.“
Die Punkteverteilung:Schröder (Oklahoma City
Thunder/NBA, 20), Lo (FC Bayern München, 10), Akpi-
nar (Besiktas Istanbul, 3), Obst (ratiopharm ulm), Ben-
zing (Basket Zaragoza/ESP, 6) Zipser (München, 4),
Giffey (Alba Berlin, 2), Thiemann (Alba Berlin), Bar-
thel (München, 9), Kleber (Dallas Mavericks/NBA),
Theis (Boston Celtics/NBA, 12), Voigtmann (ZSKA
Moskau/RUS, 2).
FRANKFURT.Vahid Sarlak hat die Isla-
mische Republik Iran vor neun Jahren ver-
lassen. Inzwischen kämpft der Judoka für
den 1. Judoclub Mönchengladbach. Und
Vahid Sarlak trainiert die tadschikische
Nationalmannschaft. Deshalb war er am
vergangenen Mittwoch in Tokio, bei der
Weltmeisterschaft – und Iran wieder ganz
nah. Er sah Saeid Mollaei wieder. Saeid
Mollaei, Weltranglistenerster der Klasse
bis 81 Kilogramm, Weltmeister von 2018.
„Mein bester Kumpel seit Kindertagen“,
sagt Sarlak. Der beste Kumpel weinte. „Er
war durcheinander. Jeder kennt Saeid. Er
hatte große Angst.“ Saeid Mollaei war das
Ein-Mann-Team Irans bei der WM, und
sein Land verlangte von ihm, dass aus
dem Ein-Mann-Team ein Kein-Mann-
Team wird. Er sollte verlieren. Um nicht
gegen den Israeli Sagi Muki zu kämpfen,
der diesen Tag als Weltmeister beenden
würde.
Der Judoka Vahid Sarlak, Medaillenge-
winner bei internationalen Wettkämpfen,
hat Iran vor neun Jahren den Rücken ge-
kehrt, weil er „den Kindergarten“, wie er
das nennt, nicht mehr mitmachen wollte.
Das Verbot für Iraner, gegen Israelis zu
kämpfen – für Sarlak eine „Scheißpositi-
on. Was soll das? Wir sind Sportler.“ Seit-
dem habe er seine Familie nicht mehr be-
sucht in Iran. „Aber für mich war es nicht
so schlimm, im Vergleich. Heute gibt es
Instagram, jeder kriegt alles mit.“ Als dem
Judoka Mohammad Mohammadi Bari-
manlu eröffnet wurde, es gebe kein Visum
für ihn, weil er gegen einen Israeli kämp-
fen könnte in Tokio, beendete Barimanlu
seine Karriere. Am 22. August, via Instag-
ram. Mollaei war allein in Tokio.
Sarlak erlebte dort, wie der Präsident
des Nationalen Olympischen Komitees
Irans und der stellvertretende iranische
Sportminister Mollaei drängten, sich aus
dem Wettbewerb zurückzuziehen – einem
Wettbewerb, in dem Mollaei den russi-
schen Olympiasieger Chalmursajew be-
siegt hatte. „Wie ein Terminator“, sagt Sar-
lak. Resa Salehi Amiri, der Präsident des
iranischen NOK, und Mohammad Dawar-
sani, der stellvertretende Sportminister,
wiesen Mollaei in Telefonaten immer deut-
licher hin auf das Verbot, gegen Israelis an-
zutreten. Salehi Amiri, bestätigt Sarlak,
habe Mollaei gesagt, seine Eltern hätten
Besuch von Sicherheitskräften. Freunde
bestätigten dem Judoka per Kurznach-
richt, dass sein Vater von Leuten aufge-
sucht worden sei, die ihn aufforderten, sei-
nen Sohn zum Rückzug zu bewegen. Mol-
laei sagte dem in London ansässigen oppo-
sitionellen TV-Sender Iran International,
Salehi Amiri habe ihm für einen Rückzug
Ruhm und Anerkennung versprochen.
Ruhm und Anerkennung? Bekam 2017
Ringer Aliresa Karimi, der seinen Kampf
bei der U-23-WM in Polen verlieren muss-
te, um einem israelischen Gegner aus dem
Weg zu gehen. Das geistliche Oberhaupt
der Islamischen Republik, Ajatollah Ali
Chamenei, empfing ihn am 10. Dezember
- Auf der Website des Revolutionsfüh-
rers ist das Treffen, auch auf Englisch, hin-
terlegt. Bis heute ist zu lesen, dass „Gott
dich mit spirituellem Segen für diese Tat
belohnen wird“, wie Chamenei Karimi
verspricht. Besser ist nicht zu dokumentie-
ren, wer bestimmt, was in Iran Gesetz ist.
Der Internationale Ringerverband UWW
sperrte Karimi, das schwächste Glied der
Kette.
Marius Vizer, der Präsident des Interna-
tionalen Judo-Verbandes (IJF), verließ
sich auf den Brief, den ihm NOK-Präsi-
dent Salehi Amiri und der Präsident des
iranischen Judo-Verbandes geschrieben
hatten am 9. Mai 2019. Darin bestätigen
sie, die olympische Charta und ihre Nicht-
diskriminierungsgrundsätze einzuhalten.
Der Nachsatz hätte ebenfalls eine War-
nung sein können: „Derweil kooperieren
wir mit dem Sportministerium und scheu-
en keine Mühe, mit dem Parlament zu ver-
handeln, um die angemessenen rechtli-
chen Lösungen zu identifizieren.“ Vizer,
der über Jahre wieder und wieder sah, wie
iranische Judoka, auch Mohammadi Bari-
manlu und Mollaei, Kämpfen gegen israe-
lische Sportler aus dem Weg gingen, stell-
te seine diplomatische Initiative als Erfolg
dar. Dabei war von Ajatollah Chamenei
nichts zu hören. Auch nicht vom Sportmi-
nisterium in Teheran. Eine „Verarschung“
sei das Versprechen der Verbände gewe-
sen, sagt Sarlak. Er lobt Vizer gleichwohl
für dessen Verhalten gegenüber Mollaei in
Tokio. „Der hat zu Saeid gesagt: Entschei-
de selbst, was du machst, aber wir wissen,
was los ist. Der Vizer hat zu Saeid gesagt:
Mach den Zirkus nicht mehr mit.“ Die ira-
nische Botschaft in Tokio schickte derweil
Mitarbeiter, um Mollaei zu bearbeiten.
Mollaei, so sagt er es in dem Video, das
die IJF veröffentlicht hat, so sagte er es
Iran International, verlor sein Halbfinale
gegen den Belgier, weil er Angst um seine
Sicherheit und die seiner Familie hatte.
Mollaei verlor in der Verlängerung. Im
Kampf um Platz drei gab Mollaei nach ei-
gener Darstellung „zehn Prozent“. „Sie ha-
ben das Gesetz zuletzt noch verschärft“,
sagt Sarlak. „Jetzt darf die iranische Flag-
ge keinesfalls unter der Israels hängen bei
einer Siegerehrung.“ Vizer will Mollaei
nun einen Platz im Flüchtlingsteam für
Olympia beschaffen. Auf Twitter kündig-
te er am Montag ein Verfahren gegen den
iranischen Judo-Verband an. Das IOC hat
einen Bericht vom IJF angefordert. Weite-
re Fragen werden nicht beantwortet. Sagi
Muki sagte nach dem WM-Titel, er halte
Mollaei für eine „großartige Person“:
„Wir haben gesehen, dass uns die Iraner
mögen und nicht hassen. Ihre Regierung
ist extrem.“ Er träume davon, gegen Mol-
laei anzutreten. „Es ist egal, wer gewinnt.
Ich will seine Hand schütteln, ihn umar-
men.“ Vahid Sarlak sagt, Mollaei und
Muki unterhielten sich, bei Gelegenheit.
„Wenn es keiner merkt. In Tokio standen
sie hintereinander, zehn Zentimeter.“ Er
habe Mollaei geraten, abzutauchen, sagt
Vahid Sarlak. Für die Familie Mollaeis in
Iran könnte eine schwere Zeit anbrechen,
fürchtet er. „Er ist jetzt ein großes Thema.
Aber die Menschheit steht hinter Saeid“,
sagt Sarlak. „Für mich ist er ein olympi-
scher Held, selbst wenn er nie zu Olympia
kommt.“ CHRISTOPH BECKER
Foto dpa
Foto Imago
„Die Menschheit steht hinter Saeid“
Vom Widerstand iranischer Judoka gegen die Anti-Israel-Politik ihres Landes
FRANKFURT.In dem ziemlich jungen
deutschen Frauenteam, das derzeit bei
der Volleyball-Europameisterschaft für
Aufsehen sorgt und an diesem Mittwoch
(20.30 Uhr) in Lodz gegen Gastgeber Po-
len um den Einzug ins Halbfinale spielt,
ragt Jana Franziska Poll ein bisschen her-
aus. Denn sie ist schon 31 – bei einem Al-
tersschnitt von 23,7 Jahren im Team. Als
tonangebende Anführerin sieht sich die
1,86 Meter große Poll trotz ihrer Lebens-
erfahrung aber deswegen noch lange
nicht. „Man muss das anderesherum se-
hen“, stellt sie eine Gegenrechnung auf:
„Ich hab ja erst mit 25 angefangen, Natio-
nalmannschaft zu spielen. Die Jungen
sind viel erfahrener als ich.“
Das derzeitige Turnier ist tatsächlich
das erste, bei dem Jana Poll als Außenan-
greiferin in der Startformation gesetzt ist
und auch erst ihr drittes, an dem sie über-
haupt teilnimmt. Dennoch erweckt sie
angesichts ihres souveränen, nahezu feh-
lerfreien Spiels den Eindruck, schon viel
länger in maßgeblicher Position dabei zu
sein. „Überragend“, nennt Bundestrai-
ner Felix Koslowski die Art und Weise,
wie die Spielerin mit der Nummer 5 auf-
tritt, „ruhig und gelassen“ – sowohl auf
als auch außerhalb des Feldes.
Dass Alter dennoch nicht mit Erfah-
rung gleichzusetzen ist, erklärt sich aus
dem Lebenslauf von Jana Franziska Poll,
der so gar nicht dem typischen Ablauf ei-
ner Leistungssport-Karriere entspricht.
Als achtjähriges Kind hatte sie in Mep-
pen nur deshalb angefangen, Volleyball
zu spielen, weil sie ihr Asthma bekämp-
fen sollte. „Es war eigentlich nicht der
Plan, sportlich Karriere zu machen“,
sagt sie noch heute. Bevor sie dennoch
mit Alemannia Aachen den Einstieg in
die Volleyball-Bundesliga schaffte, hatte
sie eine Ausbildung absolviert und schon
zwei Jahre Vollzeit gearbeitet, als Heiler-
ziehungspflegerin bei der Lebenshilfe.
Nach einer gewissen Zeit unter Doppel-
belastung ließ sich Jana Poll dann vom
Job beurlauben, um konsequenter Volley-
ball spielen zu können. Und gerade als
sie dachte, jetzt reiche es auch mal wie-
der mit der Spielerei – „ich gehe zurück
zur Lebenshilfe“ –, ereilte sie 2013 der
Ruf der Nationalmannschaft. Der heuti-
ge Bundestrainer Koslowski war damals
noch Assistent und hatte den richtigen
Blick für ihr Können. „Jetzt kann ich
nicht aufhören“, dachte Jana Poll, beriet
sich mit dem Betriebsrat der Lebenshilfe
und bekam den Rücken gestärkt: „Arbei-
ten kannst du noch lange genug.“
Und so nahm eine unwahrscheinliche
Karriere noch mal richtig Fahrt auf.
Denn nachdem sie 2016 Topscorerin der
Bundesliga wurde, ihr damaliger Verein
Aurubis Hamburg sich mangels Sponsor
aber vom Spielbetrieb abmeldete, wagte
Jana Poll den nächsten großen Schritt
und ging ins Ausland. Mit Olympiakos Pi-
räus gewann sie prompt das griechische
Double und sogar ei-
nen internationalen
Titel. Zurück in
Deutschland, wurde
Jana Poll mit dem
MTV Stuttgart zum
ersten Mal auch deut-
sche Meisterin.
Doch das Abenteu-
er Volleyball hatte für
sie noch immer nicht
seinen Höhepunkt er-
reicht. Eigentlich wollte sie wieder zu-
rück nach Aachen, auch ihrem Ehemann
zuliebe, „weil Fernbeziehungen auf Dau-
er nicht so schön sind“. Doch weil der
Verein finanzielle Probleme bekam und
sie bat, den Vertrag auszulösen, änderte
ihr Lebensweg wieder einmal abrupt die
Richtung – nach der EM wechselt Jana
Poll nach Neapel in die italienische Liga:
„Der Traum jeder Volleyball-Spielerin.“
Selbst wenn sie von sich „nie gedacht hät-
te, das jemals zu schaffen“.
Zu ihrer eher defensiven Selbstein-
schätzung passt, dass sich Jana Poll auf
dem Feld eher als „Sicherheitsperson“
einstuft. Sie kann sich auf eine stabile An-
nahme verlassen, schlägt solide auf,
macht relativ wenige Fehler, empfindet
ihr Spiel aber als nicht besonders spekta-
kulär. „Wenn ich einen guten Tag habe,
versuche ich mehr anzugreifen.“ Bei der
EM hatte sie bislang viele davon. Gegen
Polen treten die deutschen Frauen mit
der Bilanz von sechs Siegen in sechs EM-
Spielen an, aber dennoch als Außensei-
ter gegen ein physisch starkes Heimteam
mit 12 000 Zuschauern im Rücken. „Po-
len zu schlagen wäre ein Riesending“,
meint Jana Poll. Doch auszuschließen ist
es keineswegs. Das hat sie aus ihrem eige-
nen Lebensweg gelernt. ACHIM DREIS
EUROSPORT1:15 Uhr: Rad, Spanien-Rundfahrt,
elfte Etappe von Saint-Palais nach Urdax.
SPORT1:17.55 Uhr und 20.25 Uhr: Volleyball, Eu-
ropameisterschaft der Frauen, Viertelfinale in
Lodz/Polen: Italien – Russland und Deutschland
- Polen. 18.05 Uhr: Tennis, US Open in New
York, Viertelfinale.
(Durch kurzfristige Absagen oder Verschiebun-
gen können sich Übertragungszeiten ändern.)
Spektakulär
gescheitert
Henrik Rödl
Sport live im Fernsehen
Eine Spätzünderin
Volleyballspielerin Jana Poll überzeugt bei der EM
Jana-Franziska Poll
Für das deutsche Basketballteam sollte bei der WM
in China eine neue Ära beginnen. Dieser Traum
platzt mit der 68:70-Niederlage gegen die
Dominikanische Republik wie eine Seifenblase.
Von Anno Hecker, Frankfurt
Vergeblich gestreckt:Niels Giffey und Danilo Barthel, überflügelt von Ronald Roberts Foto Reuters
„Wie ein Terminator“:Mollaei Reuters
Basketball-Desaster