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107298_ANZ_10729800019318_23737163_X4_ONP26 1 09.08.19 13:34
- August 2019 DIE ZEIT No 34
- Der ideale Bieter
Die Einlieferer schätzen ihn, wenn er das, von
dem sie sich trennen, für begehrenswert hält.
und die Versteigerer mögen es, wenn er nicht
nur bieteifrig Ausdauer zeigt, sondern durchaus
bereit ist, dabei seine – finanziell gebändigten –
Vorsätze zu vergessen, und seiner sammellei-
denschaft frönt. Das ist der Bieter als Ideal, der,
ganz seiner Begehrlichkeit untertan, die spiel-
regeln einer Auktion kritiklos akzeptiert. - Gebot ist Gebot
Die Regeln sind streng. gebot ist gebot lautet
eine. unwiderruflich. Mit dem »... und zum
Dritten« gehen Besitz und gefahr auf den Bie-
ter über. Infolgedessen hat er den schaden,
wenn das Kunstwerk – selbst ohne sein Ver-
schulden (soweit nicht grobe Fahrlässigkeit im
spiel ist) – unmittelbar danach beschädigt wird.
Eigentümer, der frei über das Objekt verfügen
kann, wird er erst, wenn er den Zuschlagpreis
samt Aufgeld, die fälligen steuern und gegebe-
nenfalls die Folgerechtsabgabe bezahlt hat. - Zuschlag verweigert
Die Versteigerungsbedingungen legen meist
fest, dass ein gebot auch dann wirksam bleibt,
wenn es überboten wurde. Der Auktionator
darf einen Zuschlag grundlos verweigern – bei-
spielsweise wenn er den Bieter nicht kennt, ihn
für nicht zahlungsfähig hält oder eine Kollision
mit dem geldwäschegesetz vermutet werden
muss. Dann gilt das vorangegangene gebot. - Unter Vorbehalt
Das gebot ist auch bei einem Zuschlag unter
Vorbehalt verbindlich. Der Vertrag ist dann
»schwebend unwirksam«, weil er einer zusätzli-
chen Zustimmung bedarf. Der Bieter ist dann
- da unterscheiden sich die Auktionshäuser –
zwischen vierzehn tagen und sechs Wochen
gebunden. Nicht anders ist es, wenn der Auk-
tionator, besonders bei höheren Beträgen, den
Zuschlag unter dem Vorbehalt erteilt, dass der
GRUNDKURS
Der Bieter
Hier erklären wir an Begriffen,
wie der Kunstmarkt funktioniert.
Diese Woche:
24 WIRTSCHAFT
Bieter zuvor eine sicherheitsleistung (zum Bei-
spiel eine Bankbürgschaft) beibringt.
- Schadensersatz
Zahlt der Bieter innerhalb der festgesetzten
Frist nicht, darf der Versteigerer das Kunstwerk
erneut ausrufen. Die zusätzlichen Kosten muss
der säumige Bieter zahlen. Außerdem kann der
Auktionator von ihm für sich und den Einliefe-
rer schadensersatz für den entgangenen ge-
winn in Höhe des Minderbetrages fordern,
wenn bei der zweiten Auktion das erste Ergeb-
nis nicht erreicht wird. PETER DITTMAR
Der Raum braucht sie
An gleich drei Orten sind derzeit Arbeiten von Vera Röhm zu sehen. Wo immer die 76-jährige Bildhauerin
auftaucht, wird sie sofort zum Mittelpunkt VON ANNA VON MÜNCHHAUSEN
KUNSTMARKT
Ein Modell des
»Kubenturms« – das
Original steht in Darmstadt
A
n einem sommerlichen
Nachmittag im Juni ver-
sammeln sich auf der
Darmstädter Mathilden-
höhe knapp hundert Künst-
ler. Es gibt etwas zu feiern:
Vor einem Jahrhundert
gründeten Maler und Bildhauer die Avantgarde-
Initiative Darmstädter sezession. Im garten
des »Designhauses« sind skulpturen ausge-
stellt, eine Jazzband spielt.
Als Vera Röhm eintrifft, fühlt manch ein gast
sich an die Auftritte der Queen erinnert: Die
76-Jährige, in Darmstadt wie in Paris zu Hause,
wird zum Mittelpunkt, sie grüßt, plaudert, fragt
nach. Dann wirft sie einen Blick hinüber zu einer
Installation auf dem Rasen. Ihr Kubenturm steht
da wie ein Ausrufezeichen. Acht Meter hoch, 15
quadratische Elemente nicht einfach aufeinan-
dergestapelt, sondern jeweils um fünf grad ver-
schoben. »Eine säule in der Mitte stabilisiert den
turm«, erklärt Röhm. »Das Material ist Corten,
ein besonders präparierter stahl, der selbstständig
rostet. Ziemlich teuer.«
Ein Ausrufezeichen zur Karriere einer un-
gewöhnlichen Künstlerin. Vera Röhm hat nie
dem Klischee der Bildhauerin entsprochen.
Hat nie das handliche, sondern meist das mo-
numentale Format gewählt. Nie figürlich ge-
arbeitet, nur abstrakt. Nie den stein behauen,
sondern Metall und Holz verarbeitet. und statt
stichel und Meißel zu nehmen, lässt sie ihre
Arbeiten nach präzisen Konzepten, Fotografien
und Modellen in einer spezialfabrik fertigen.
In jüngster Zeit hat diese Karriere noch
einmal richtig an schwung gewonnen. An
nicht weniger als drei Orten sind derzeit Ar-
beiten von Vera Röhm zu sehen, und dabei ist
die Ausstellung ihrer Fotografien in der Pariser
galerie gimpel & Müller nicht einmal mit-
gezählt. Über ihr Leben und ihr Werk unter-
halten wir uns im Mai in ihrem Atelier, das
- angemessen für eine Künstlerin, deren Ar-
beiten viel Raum in Anspruch nehmen – in
einer Fabrikhalle untergebracht ist, in der
einst Feinmechanisches gefertigt wurde. Hin-
ter meterhohen Doppeltüren warten Arbeiten
aus drei Jahrzehnten, zum Beispiel die Tetraeder,
sauber geteilte Dreieckskörper.
Alles, was Röhm schafft, braucht Raum,
ihre Formate machen sich niemals klein.
sammler wie schrauben-Milliardär Reinhold
Würth und Marli Hoppe-Ritter (Ritter-sport-
schokolade) haben sie angekauft, außerdem
ist Röhm in internationalen Museen vertreten.
Ihre skulpturen – solche aus der Werkgruppe
der »Ergänzungen« werden je nach Format zu
Preisen zwischen 150.000 und 200.000 Euro
gehandelt – sind Reflexionen über geometrie,
Raum und Licht. Mit äußerster Präzision wer-
den störrische Materialien wie Metall, Holz
oder Kunststoff bearbeitet, durch schnitte
und Brechungen zerlegt oder mit artfremdem
Material verbunden, das die strenge der sym-
metrie durchbricht.
so wie in Heilbronn. Auf einem Kanal im
gelände der Bundesgartenschau schwimmen
zehn Kuben aus schwarz lackiertem Aluminium.
Ihre gelaserte, von innen beleuchtete Inschrift
wirkt vor allem im Dunkeln magisch. sie variiert
ein Wort des Naturwissenschaftlers Johann
Leonhard Frisch: »Die Nacht ist der schatten
der Erde«. Diesen satz hat Vera Röhm inzwi-
schen in 500 sprachen variiert. Eine Hommage
an die Vielfalt menschlicher Kommunikation,
wobei die Hexaeder als platonischer Körper für
die Erde herhalten. »Es gibt nur noch 2000
sprachen auf der Welt, und nach Aussagen von
sprachwissenschaftlern werden es angeblich
immer weniger.« In ihrer Recherche wird die
Künstlerin seit einem Jahr von einem schrift-
steller und Übersetzer unterstützt. Außerdem
arbeitete sie von Anfang an mit einem grafiker
zusammen, um die jeweils passenden typogra-
fien für die Inschriften auszuwählen.
Im April wurde die Arbeit von einem Or-
kan zerlegt, die Kuben kippten um und muss-
ten im Darmstädter Atelier aufwendig instand
gesetzt werden. Zu allem Überfluss sah sich
die Buga-Leitung monatelang außerstande,
ein passendes Kabel bereitzustellen, um die
Würfel ins rechte Licht zu setzen. Der Künst-
lerin, die Ordnung, system und Kontrolle
schätzt, fehlt für derlei unzulänglichkeiten je-
des Verständnis, ja mehr noch: Als immerhin
eingeladene Künstlerin sieht sie ihr Werk
missachtet.
Bonn: Im Rahmen einer sammelausstel-
lung zum Bauhaus-Jubiläum hat die Darm-
städterin sich auf kompakte Objekte konzen-
triert, etwa ihr Glaslabyrinth – du sollst, du
sollst nicht, das sie für den Innenhof des göt-
tinger Landgerichts entworfen hat und das
dort seit vielen Jahren Kläger wie Beklagte
nachdenklich macht.
Aix-en-Provence: Auf dem gelände der
Fondation Vasarely steht eine ihrer typischen
Monumentalskulpturen Rhythmus 800. sie
zählt zur Werkgruppe der Binome, die
Röhm seit vielen Jahren immer wieder vari-
iert. Hier wurden 25 säulen aus eloxiertem
Aluminium auf einem quadratischen so-
ckel angeordnet. Jede säule ist variabel un-
terbrochen durch ein Plexiglas-Element,
was der Installation strenge nimmt und et-
was schwebendes verleiht. »Es sind Ideen,
die man verwirklicht. Erst das Konzept,
dann arbeite ich mit Zeichnungen und Mo-
dellen. Das geht schrittweise, und manch-
mal sind diese schritte sehr zeitaufwendig.«
Das Prinzip, unvollständiges, mitunter
auch Beschädigtes wie zersplitterte Vier-
kantbalken zu verlängern, aufzufüllen und
zu transformieren, hat so überzeugt, dass sie
damit immer wieder kopiert wird. In den
meisten Fällen dient Plexiglas als Material
dafür, und hier gibt es eine tragende Ver-
bindung zur Familiengeschichte. Ihr groß-
ihre Wirkung intensiv in Natur und Land-
schaft. Da stehen sie im Austausch mit Licht
und schatten, tag und Nacht, festem grund
und hohem Himmel.
ungeachtet der sperrigen Frage, wo sie ein-
zuordnen ist, findet die Künstlerin derzeit jeden-
falls große Zustimmung. An offenen Wettbewer-
ben nimmt sie nicht mehr teil, sie hat einen Ruf,
man kommt auf sie zu, neue Aufträge wachsen
von selbst nach. Manchmal mehr, als ihr lieb
sind. »Dieses Jahr ist gut, aber es ist auch sehr
anstrengend und braucht viel Energie.« Kaum
hat sie das gestanden, fällt ihr eine Aprikose auf
den gebürsteten Betonfußboden. sie bückt sich,
schneller als die jüngere Besucherin.
gerade hat sie sich wieder einmal nach
Korsika in ein einsam gelegenes strandhaus
zurückgezogen, zum Nachdenken und Entwi-
ckeln. so war es zumindest gedacht. Am Ende
hat sie täglich mit dem Atelier daheim telefo-
niert. Es hat seinen Preis, gefragt zu sein.
vater, der Chemiker Otto Röhm, ist nicht nur
in Darmstadt eine bekannte größe, er ent-
deckte unter anderem Enzyme, die die Leder-
verarbeitung revolutionierten. Vor allem aber
erfand er in den Dreißigerjahren des vergange-
nen Jahrhunderts Acryl, ein bis heute vielseitig
eingesetztes Material, in der Zahnmedizin, für
Brillen und vieles mehr – wobei die Verwen-
dung in der Kunst sicher die ungewöhnlichste
ist. »Es hat den Vorteil, durchsichtig zu sein,
zwar kratzempfindlich, aber lichtleitend.«
In den Konzepten der Enkelin spielt das
leichte Plexiglas eine ganz freie Rolle – gleich-
zeitig materiell und immateriell. schwebend,
oszillierend, so wie ihre Arbeiten geometri-
sche Abstraktion, Minimalismus und Kon-
zeptkunst kreuzen. Aber Etiketten dieser Art
interessieren Vera Röhm nicht, sie fühlt sich
weder bei den Konstruktivisten noch in der
Minimal Art richtig aufgehoben; ihre archi-
tektonisch konstruierten Positionen entfalten
Foto: Octavian Beldiman/Archiv Vera Röhm/VG Bild-Kunst, Bonn 2019
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