Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 34


W


enn Rolf thilo gesetzes-
brecher bei der Arbeit be-
obachten möchte, steigt
er in sein taxi und fährt
zum Flughafen Berlin-
tegel. Ein, zwei Kilome-
ter vor dem Ankunftsbe-
reich deutet er auf ein weißes Fahrzeug. »Da ist
einer!«, sagt er dann und fährt an einem toyota
Prius vorbei. Als er wenig später im Parkplatzbereich
des Flughafens ankommt, dort, wo sich die mögli-
chen Fahrgäste tummeln, wird es unübersichtlich ob
der vielen Übeltäter. »Da!«, sagt thilo. »und hier!«
Rolf thilo schimpft auf seine neue Konkurrenz.
Es sind Fahrer, die Passagiere für den Fahrdienst uber
einsammeln. Laut gesetz dürften sie nur auf An-
frage befördern und nicht – wie taxis – am Flughafen
warten, bis zufällig Kunden kommen. Doch am
terminalausgang in tegel stehen teilweise Fahrzeuge
mit uber-schriftzug in der schlange, als wären sie
gewöhnliche taxis.
thilo ärgert diese Konkurrenz nicht nur. ubers
Angriff auf den deutschen Markt, der 2013 zunächst
zögerlich begann, bedrohe mittlerweile seine Exis-
tenz. Über uberX können Kunden seit 2016 güns-
tige Fahrten buchen. Allein im vergangenen Jahr, so
erzählt es der 56-Jährige, seien »die umsätze der
Berliner taxis um 30 Prozent eingebrochen«. Die
taxi-Innung bestätigt das.
thilo selbst ist als Fahrer für einen Berliner groß-
betrieb mit 300 taxen unterwegs. Er bekommt für
seine Arbeit den Mindestlohn von 9,84 Euro brutto
die stunde und zusätzlich eine umsatzbeteiligung.
so verdient er netto zwischen 1200 und 1500 Euro
im Monat. Vorausgesetzt, das geld kommt an. Im-
mer wieder hat er den Arbeitgeber gewechselt, »weil
meine früheren Chefs bisweilen die Löhne nur un-
regelmäßig zahlten«.


Thilo glaubte, in einer geschützten Branche
zu arbeiten. Dann kam Uber


um genug zu verdienen, muss er 200 Euro umsatz
pro schicht einfahren. Daran ist gerade nicht zu
denken. Das liege ein bisschen am sommer, sagt
thilo, aber vor allem an uber. »Meistens schaffe ich
zurzeit in acht stunden nur einen umsatz zwischen
120 und 130 Euro.« Er sagt das nicht nur so dahin,
er führt genau Buch über seine Fahrten, trägt jede
ein und behält so den Überblick.
Am Freitag vergangener Woche hörte thilo im
Radio, dass uber einen Rekordverlust in Höhe von
mehr als fünf Mil liar den Dollar in einem Quartal
verbucht habe. Der Aktienkurs des unternehmens


brach zeitweise um über zehn Prozent ein. Wenig
später hörte thilo dann Radiowerbung. Für uber.
50 Prozent Rabatt für die nächste Fahrt verspricht
das unternehmen darin. »Kein Wunder, dass die
Riesenverluste machen«, sagt thilo. Nebenbei gehe
»die gesamte Branche kaputt«.
In Berlin gibt es 3000 taxiunternehmer mit
über 8100 Fahrzeugen. Zugleich zählt die taxi-
Innung weit über 2000 Mietwagenfahrer, die allein
in der Hauptstadt für das us-unternehmen unter-
wegs sind. uber äußert sich dazu nicht. Fakt aber
ist: Vor zwei Jahren war es nur ein Bruchteil. Viele
taxifahrer sorgen sich, dass uber einen nach dem
anderen von ihnen mit Kampfpreisen aus dem
Markt drängt und am Ende allein übrig bleibt –
und die Preise dann erhöht. The winner takes it all.
thilo liebt seinen Beruf, weil er sich frei fühlt,
wenn er morgens in seinen Diesel-Mercedes steigt,
der schon über 230.000 Kilometer auf dem tacho
hat. »Ich kann mir den tag selbst einteilen und, wenn
ich mal nach Hause muss, einfach hinfahren.« Er mag
auch die Mitfahrer. Okay, oft seien es geschäftsleute
mit Handy am Ohr, aber immer wieder auch Exoten
wie jene Hells-Angels-Rocker, die ihn schon beim
Einstieg mit den Worten begrüßten: »Mach dir mal
nicht in die Hose, wir sind ganz friedlich.«
thilo ist geschieden und hat drei Kinder, zwei
leben bei ihm in der Wohnung in spandau. Ein
silberfarbener schutzengel seiner tochter fährt
immer mit, es ist ein schlüsselanhänger, den er zu
Weihnachten bekam.
thilo ist schon einmal einer Veränderung ent-
kommen, die Ökonomen gerne strukturwandel
nennen. Damals war es nicht die Digitalisierung, die
seinen Arbeitsplatz gefährdete, sondern die globali-
sierung. Bald 24 Jahre ist das her. Nach dem schul-
abschluss arbeitete thilo jahrelang als Einzelhandels-
kaufmann in der Lagerbuchhaltung einer Berliner
spedition. Doch in den Neunzigerjahren wurde
wegen der billigeren osteuropäischen Konkurrenz der
Wettbewerb härter. Die umsätze brachen ein, und
thilo suchte sich einen neuen Job. Er sagt: »Ich woll-
te keinen Chef im Nacken haben und nicht im Büro
sitzen.« so wurde Rolf thilo taxifahrer. In einer
Branche, die durch das Personenbeförderungsgesetz
geschützt ist. so dachte er zumindest.
Dann kam uber. und stellte das staatlich prote-
gierte geschäftsmodell stärker als je zuvor infrage.
Wer sich das als Kunde zu eigen macht und sich da-
rüber wundert, dass zwei in einem Berliner taxi zu-
rückgelegte Kilometer acht Euro kosten – mit uber
fährt man selbst ohne Rabatt fast doppelt so weit für
das geld –, dem hält thilo einen langen Vortrag über
die Vorteile seines gewerbes: Ein taxifahrer hat eine

Beförderungspflicht und darf selbst die Fahrt zur
Arztpraxis um die Ecke nicht verweigern. Die Mit-
fahrer haben eine Insassenversicherung, die bei un-
fallschäden über die übliche Haftpflichtversicherung
hinausgeht. Arbeitszeiten müssen aufgezeichnet und
Kilometerabrechnungen an das Berliner Finanzamt
übermittelt werden. groß angelegter steuerbetrug
des taximonopols sei damit geschichte.
Auch die Mietwagenfahrer müssen Buch führen
über ihre Fahrten. Eigentlich. Denn viele haben eine
Ausnahmegenehmigung. Für 25 Euro pro Fahrzeug
lassen sie sich von der Pflicht befreien, einen Weg-
streckenzähler mitzuführen. thilo sagt: »Ehemalige
taxiunternehmer, die weniger sozialabgaben zahlen
wollen, fahren jetzt einfach für uber.« Er und seine
Kollegen kennen folgende Rechnung: Von jedem
Euro umsatz mit dem Mietwagen bekomme uber
25 Prozent für die Vermittlung, die Fahrer erhielten
40 Prozent, die umsatzsteuer und rund zehn Prozent
landeten bei den unternehmen, die die Fahrzeuge
bereitstellen. uber bestätigt, dass die Provision des
unternehmens 25 Prozent betrage.
seit es uber gibt, arbeitet thilo nach eigenen
Angaben länger als zuvor für den gleichen umsatz.
Aus dem Berufsfahrer thilo wurde ein Berufs-
warter. »Vor allem am Flughafen stehen wir viel
rum, denn die ausländischen Fahrgäste haben meist
die uber-App auf ihrem smart phone, und da die
Fahrzeuge am Flughafen warten, werden sie direkt
gebucht.« Plötzlich konkurriert er mit Fahrern, die
nicht von ihrer Arbeit allein leben müssen: »Die
uber-Fahrer, die ich kennenlerne, bessern mit den
Fahrten meist ihre Hartz-IV-Bezüge auf und zahlen
keine sozialabgaben.« Ein uber-sprecher teilt auf
Anfrage mit, dass der großteil der Fahrer bei den
Partnern sozialversicherungspflichtig angestellt sei
und in der Regel deutlich über dem gesetzlich vor-
geschriebenen Mindestlohn verdiene. Die Ein-
haltung der gesetze könnten nur die zuständigen
Berliner Behörden überprüfen.
Die touristen und geschäftsleute sehen nicht, wie
uber sich trickreich an die gesetze hält. Eigentlich
dürfte uber in Deutschland gar nicht fahren. Die Be-
förderung von Personen ist taxen, Bussen und Bahnen
vorbehalten. Doch unter dem Namen uberX bündelt
der us-Konzern die Angebote verschiedener Miet-
wagenfirmen, die an die App angeschlossen sind. Die
Fahrer haben nur einen einfachen Personenbeförde-
rungsschein, müssen nicht einmal nachweisen, dass
sie ortskundig sind. Dem Navigationsgerät sei Dank.
Die einzige Voraussetzung: Nach jeder Fahrt müssen
sie zum unternehmenssitz zurückkehren. theoretisch.
Doch das tun wohl nur die wenigsten, wie der dichte
uber-Verkehr am Flughafen zeigt.

uber braucht das nicht weiter zu kümmern, weil
die Mietwagenfirmen für die Einhaltung der gesetze
verantwortlich sind. uber ist nur Mittler. »Wir halten
uns an die gesetze«, verkündet das unternehmen bei
jeder gelegenheit. und erzählt die Erfolgsstory eines
der am stärksten wachsenden Digitalkonzerne der
Welt (siehe Kasten). Dieses Wachstum sorgt dafür,
dass die Macht noch rasanter zunimmt. Denn darauf
basiert das geschäftsmodell. Je mehr Fahrer für uber
fahren, desto zuverlässiger können Fahrgäste mit
einem uber-Fahrzeug in der Nähe rechnen und
gegenüber einer taxifahrt geld sparen.

Er demonstriert gegen Uber – und wirkt doch
eher nachdenklich als wütend

Bevor Rolf thilo nach tegel fuhr, hatte er eine
Demonstration am Amtssitz der Berliner Verkehrs-
senatorin Regine günther besucht. seine Kollegen
hatten Dutzende Plakate in die Höhe gehalten.
»schluss mit dem Wild-West von uber & Co!«
stand auf einem.
thilo wirkt an diesem Vormittag eher wie ein neu-
traler Beobachter als wie ein Betroffener, weniger
wütend als seine Kollegen. »uber raus!«, brüllen die
Fahrer. sie werden noch angestachelt vom verkehrs-
politischen sprecher der Linken im Berliner Abge-
ordnetenhaus, Harald Wolf. »uber führt Krieg gegen
das taxigewerbe«, sagt er in ein Mikrofon.
Würde thilo auch von Krieg sprechen?
»Ich habe nicht geglaubt, dass es so brutal wird«,
sagt er. Er fährt nun öfter am Wochenende und hängt
abends noch ein paar stunden dran. sein Rücken
schmerzt vom vielen sitzen, aber wann soll er sport
machen? Er will geld verdienen. Doch »wenn es
weiter so bergab mit den umsätzen geht, fürchte ich
wie viele Kollegen um die Existenz«, sagt er.
Die zuständige senatsverwaltung betont, dass
sich uber an alle Regeln halte. »Der Betrieb einer
reinen Internetplattform zur Vermittlung geneh-
migter Verkehrsformen ist weder verboten noch
genehmigungspflichtig.«
und die Zustände in tegel? »Es ist richtig, dass
Mietwagen (...) sich nicht wie eine taxe bereithalten
dürfen und nach Ausführung eines Beförderungs-
auftrages unverzüglich an den Betriebssitz zurück-
kehren müssen.« Da es denkbar sei, dass neue Auf-
träge noch während der Rückfahrt oder der Auftrags-
erledigung bei den Fahrern eingingen, »erweist sich
die Aufklärung von Verstößen als schwierig«. sehr
wohl gebe es aber Kontrollen und Betriebsprüfungen.
thilo kann das kaum glauben. »Ich habe das
Ordnungsamt seit Monaten nicht am Flughafen
gesehen«, sagt er.

Unterwegs im Wilden Westen


seit der Fahrdienstvermittler uber von Berlin aus Deutschland erobern will, fürchten klassische taxifahrer wie Rolf Thilo um ihre Existenz VO N C L A A S TATJ E


Das Geschäft


mit den Fahrten


Das Milliarden-Geschäft Taxi
Das erste taxiunternehmen
Deutschlands wurde 1893 in Dessau
gegründet. Damals ersetzten
motorbetriebene Droschken
Pferdekutschen. Drei Jahre später
kam das erste taxameter, ein
mechanisches Zählwerk, das, an den
Motor gekoppelt, die gebühren
ermittelte. Heute zählt das gewerbe
in Deutschland über 50.000 taxen.
Besonders umkämpft ist der Berliner
Markt, wo mit rund 8000 Fahrzeugen
im Jahr 2016 ein taxi auf 500
Einwohner kam. Die Branche setzte
im Jahr 2017 deutschlandweit mehr
als fünf Milliarden Euro um.

Der milliardenschwere Angreifer
Mitte Mai ging das us-unternehmen
uber an die Börse (kleines Foto). Das
geschäftsmodell beruht auf einer App,
die Fahrten vermittelt. taxen oder
Mietwagenfirmen, die damit Fahrgäste
gewinnen, zahlen eine gebühr. uber
breitet sich weltweit aus, verdient
jedoch bisher kein geld. Allein im
ersten Halbjahr 2019 machte das
unternehmen Verluste von über sechs
Mil liar den us-Dollar. Der Börsenwert
beträgt rund 63 Milliarden Dollar.

Der Fahrer Rolf Thilo an einem Taxistand am Brandenburger Tor

WAS BEWEGT ROLF THILO?


26 WIRTSCHAFT


Fotos: Valerie Schmidt für DIE ZEIT; Intertopics (u.)
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